Brandenburg: Saubere Lieferung
Bei Groß Dölln in der Uckermark testet Siemens elektrisch angetriebene Lkw. Wie bei Straßenbahnen bekommen sie den notwenigen Strom aus einer Oberleitung. Auch auf deutschen Autobahnen könnten sie bald fahren
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Groß Dölln - Höchstgeschwindigkeit 90 Kilometer die Stunde: Jörg Grützner setzt den Blinker und schwenkt mit seinem schweren Laster zurück auf die rechte Spur. Automatisch hebt sich der Stromabnehmer an die Oberleitung, der laute Dieselmotor schaltet sich ab, stattdessen ist nur noch ein gleichmäßiges Brummen zu hören. „Fährt sich wie jeder normale Lkw auch, nur schön leise, wie eine Straßenbahn“, meint der Fernfahrer. Seit mehr als 30 Jahren ist Grützner auf Europas Straßen unterwegs. Nun fährt er fast täglich die selbe Strecke, 1,5 Kilometer immer geradeaus, hin und her. Der Technologiekonzern Siemens hat den 55-Jährigen vor knapp anderthalb Jahren als Testfahrer eingestellt. Auf einem ehemaligen Militärflugplatz bei Groß Dölln (Uckermark) testet Siemens ein neues System für den Straßengüterverkehr – wegen der knapper werdenden fossilen Rohstoffe und für den Kilmaschutz. Der Lieferverkehr der Zukunft soll weniger Kohlendioxid freisetzen. Statt ausschließlich mit Diesel betrieben sollen die Lkw künftig auch mit Strom fahren – vielleicht auch bald auch großen deutschen Autobahnen.
Den Sachverständigenrat für Umweltfragen, der die Bundesregierung in wichtigen Fragen der Umweltpolitik berät, hat das Projekt offenbar überzeugt. In seinem diesjährigen Gutachten bezeichnete das mit namhaften Wissenschaftlern besetzte Gremium den Ansatz von Siemens als „eine vielversprechende Option“. Die Experten schlagen sogar vor, alle Autobahnen mit einer einstelligen Nummerierung (A 1 bis A 9) in Deutschland zu elektrifizieren. Auf Grundlage mehrerer Studien schätzen sie die Kosten für die notwendigen Oberleitungen und Einspeisestationen auf rund 14 Milliarden Euro.
Obwohl der Güterverkehr auf der Straße mit zu den schlimmsten Klimaverpestern gehört und sich bis 2050 sogar verdoppeln soll, gab es bisher kaum innovative Ansätze, den CO2-Ausstoß maßgeblich zu reduzieren. Ansatzpunkte waren etwa die Entwicklung effizienterer Motoren, neue reibungsärmere Reifen oder stromlinienförmigere Karossen. Siemens dagegen setzt auf die Hybrid-Technologie, wie sie bei Pkws bereits etabliert ist.
Begonnen hat der Konzern sein Projekt mit dem etwas sperrigen Namen „Elektromobilität bei schweren Nutzfahrzeugen zur Umweltentlastung von Ballungsräumen“ (ENUBA) vor zwei Jahren. Zwei Lkw hat Siemens dafür umbauen lassen. Insgesamt investierte der Konzern nach eigenen Angaben 5,5 Millionen Euro, 2,5 Millionen Euro davon steuerte das Bundesumweltministerium als Förderung bei. „Hauptinnovation ist unser intelligenter Stromabnehmer“, berichtet Roland Edel, Technikchef der Sparte Mobility and Logistics bei Siemens. Dieser könne entweder manuell per Knopfdruck oder aber automatisch ausgefahren werden. Zudem bewege er sich hin und her, könne so Spurschwankungen, etwa bei plötztlichen Ausweichmanövern, augleichen, sagt Edel. Verlasse der Lkw beim Überholen die rechte Spur mit der Oberleitung, springe automatisch der Dieselmotor wieder an. Um knapp 80 Prozent ließe sich somit der CO2-Ausstoß im Güterverkehr verringern. Voraussetzung sei allerdings, dass der benötigte Strom ausschließlich durch erneuerbare Energien erzeugt werde.
Neben ausgewählten Fernstraßen sieht Siemens mögliche Einsatzgebiete vor allem im Gütershuttle-Verkehr, etwa von Häfen zu Güterverkehrszentren oder von Minen zum nächsten Güterbahnhof. Interesse bekundet hätte bereits die Stadt Los Angeles, berichtet Edel. „In den beiden Häfen der Stadt werden etwa 40 Prozent aller Exportgüter aus dem Pazifikraum umgeschlagen. Die Logistikzentren jedoch liegen genau am anderen Ende. Täglich fallen dort allein deshalb bis zu 15 000 Lkw-Fahrten auf dem zentralen Freeway an“, sagt der Siemens-Technikchef.
Laut Edel haben sich die Amerikaner bereits in Groß Dölln die Teststrecke angesehen, ebenso schwedische Behörden. Ob und wann an deutschen Autobahnen Oberleitungen stehen, da will er sich lieber nicht festlegen. „Wir denken absolut international, begrüßen aber auch das Thema Deutschland“, sagt er vorsichtig. Mitziehen müsste in jedem Fall die Lkw-Industrie. Der Autobauer Daimler aber hat bereits ohne Begründung abgewunken. „Daimler begrüßt das System, will aber nicht einsteigen“, sagt Edel. Immerhin das Doppelte eines herkömmlichen Lkw würde ein Hybrid-Laster wohl kosten. Also knapp 200 000 Euro.
Fernfahrer Jörg Grützner sieht kaum eine Alternative – wegen der Dieselpreise und der Klimadebatte. Bislang habe der E-Brummi alle Fahrmanöver gut überstanden. „Rückwärtsfahren mit Anhänger, an eine Rampe andocken“, sagt er. Für die zweite Projektphase modifiziert Siemens die Strecke mit Schilderbrücke und Kurve. Grützner juckt es in den Fingern: „Mich würde einmal interessieren, wie sich der Lkw auf langen Strecken macht.“
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