zum Hauptinhalt
An der Grenze. Zurzeit sind 8250 Beamte im Dienst der Polizei in Brandenburg, im Jahr 2020 sollen es nur noch 7800 sein.

© Ralf Hirschberger/dpa

Mangel bei Brandenburgs Polizei: Schicht um Schicht

Es ist nur ein Schlaglicht der verunglückten Polizeireform: An der brandenburgischen Grenze zu Polen kämpfen Polizisten einen fast aussichtslosen Kampf. Immer mehr organisierten Banden stehen sie mit immer weniger Beamten gegenüber

Stand:

Der weiße Mercedes-Sprinter taucht nur kurz im Augenwinkel auf. In Sekundenschnelle ist der Kleintransporter auf der Gegenfahrbahn des Cottbuser Stadtrings schon wieder verschwunden. „Da stimmt was nicht“, sagt die schwarzhaarige Frau am Steuer des Polizeiwagens. „Der ist doch eben hier schon mal herumgekurvt.“ Sie tritt aufs Gas, wendet und beschleunigt. Nichts stört auf der fast menschenleeren Hauptstraße in der Nähe des Energie-Stadions kurz vor Mitternacht die Verfolgung. Nach nicht einmal einer Minute hat sich die Streife hinter den Transporter gesetzt. Hauptkommissarin Kerstin Albrecht drückt die Taste für die Leuchtschrift „Polizei – Stop – Polizei“ auf dem Dach des Passats und bedient zusätzlich die Lichthupe.

Wenige Augenblicke später endet die Tour des Mietwagenfahrers und seiner beiden Begleiter. Der Mann am Steuer verbringt die nächsten Stunden auf dem Polizeirevier. Er suchte zwar scheinbar intensiv nach seiner Fahrerlaubnis, doch eine Funk-Nachfrage fiel eindeutig aus: Führerscheinsperre. Zusätzlich vernebeln offenbar Drogen seinen Blick. Später wird ein Arzt für die Blutentnahme zur Polizei gerufen. Von 18 Uhr abends bis sechs Uhr morgens dauert die Schicht von Kerstin Albrecht. Sie wird in dieser Nacht keine Minute zur Ruhe kommen. Die Polizeiarbeit in der Grenzregion zu Polen ist gerade in den vergangenen Jahren immer anstrengender geworden. Hauptkommissarin Albrecht fährt zurück zur Polizeidirektion in der Juri-Gagarin-Straße. Unterwegs verteilt sie noch zwei Zahlscheine über 35 Euro, Fahren ohne Sicherheitsgurt. Dazwischen krächzt das Funkgerät. Der Empfang ist teilweise so schlecht, dass Durchsagen aus der Zentrale über laute Musik in einem Mietshaus, über betrunkene Personen auf den Straßen oder einen heftigen Nachbarschaftsstreit zwei- bis viermal wiederholt werden müssen. Zu guter Letzt greift die 44-jährige Frau mit der Schussweste zum privaten Handy. Das funktioniert wenigstens.

Als Dienstgruppenleiterin der Polizeiinspektion Cottbus/Spree-Neiße ist sie diese Nacht Chefin von 24 Polizisten. Ihr Revier reicht von Cottbus bis Guben, Spremberg und Forst an der Grenze. Neun Streifenwagen muss sie in dieser Nacht dirigieren. Albrecht kennt die Polizeiarbeit in allen Facetten, von der Kripo bis zu Rockern. Vor 20 Jahren arbeitete sie in Cottbus noch als Kindergärtnerin, bis sie dort wegen zurückgehender Kinderzahlen entlassen wurde und sich bei der Polizei bewarb. Sie liebe ihren Beruf, sagt sie – trotz aller Probleme. 8250 Beamte sind zurzeit im Dienst der Polizei, 7800 sollen es im Jahr 2020 noch sein, nach den jüngsten Meldungen. Kerstin Albrecht sagt dazu knapp: „Ich bin froh, dass der ursprünglich geplante Kahlschlag abgeschwächt wurde.“

Der Kahlschlag, gemeint ist die Polizeireform. Knapp dreieinhalb Jahre ist es her, seit damalige Innenminister Rainer Speer mit dem Rotstift loslegte. Und niemand ahnte, als im Sommer 2010 die auf ein Jahrzehnt angelegten Beschlüsse fielen, dass er schon wenige Monate später über eine Alimenten-Affäre stürzen sollte. Damals schien es, als würde sie noch funktionieren, die alte Rollenverteilung: Speer, engster Vertrauter von Matthias Platzeck, übernahm für den beliebten Ministerpräsidenten wieder einmal das Unangenehme, Unpopuläre, die Drecksarbeit. Diesmal eben bei der Polizei, die Speer, spätestens seit er Finanzminister war, sowieso für zu teuer, aufgebläht und ineffizient hielt. Was er anschob, ging kaum radikaler: Von damals noch 8900 Polizisten sollten im Jahr 2020 noch 7000 übrig sein, und, nicht einmal zwanzig von fünfzig Polizeiwachen, in diesem Flächenland. Als Speer dies damals auf der Pressekonferenz verkündete, versprach er: Es würden genau so viele Funkstreifenwagen unterwegs sein wie vorher. Die Streifenbeamten würden ihren Dienst künftig lediglich in einer Art Garagen-Stützpunkt beginnen, satt vorher in den Wachen: „Es geht nur um die Frage, wie die Beamten zu ihrem Auto, ihrer Uniform und den Schutzwesten kommen“. Und es war, jedenfalls für ihn, nicht nur ein fiskalisches Projekt. Er, der Hemdsärmlige, der kurz vor dem Rücktritt von einem Magazin noch als der „Der letzte Liberale“ unter den Innenministern gefeiert wurde, wollte aus Überzeugung eine möglichst kleine Polizei.

Nur, dass gerade die Mark schon immer ein Landstrich war, in dem die Leute ziemlich konservativ sind, auf Sicherheit und Stabilität Wert legen, mehr als anderswo. Manfred Stolpe, der Alt-Ministerpräsident, der hier zwölf Jahre regierte und die hiesige Mentalität noch mit am besten kennt, hat das jüngst so formuliert: Die Erwartungen der Menschen seien hier „schlicht“, sagte Stolpe, „sie wollen Sicherheit, in der Arbeit, der Wirtschaftskraft, gegen Verbrecher und für die Jugend – so einfach ist das mit der Politik in Brandenburg.“ Wenn dies stimmt, dann muss mit der verunglückten Polizeireform die innere Unsicherheit zwischen Uckermark und der Lausitz immer größer geworden sein. So groß, dass davon abhängt, wer die Landtagswahl im Herbst 2014 gewinnt?

Er hat als erster gespürt, wie gefährlich es wird, für ihn, für seine Partei. Dietmar Woidke, „der Neue“ als SPD-Ministerpräsident, der seit letzten Herbst regiert. Noch als Innenminister, als Nachfolger Speers hatte er angefangen, die schlimmsten Auswüchse zu korrigieren. Er versetzte eine Polizei-Hundertschaft in die Grenzregionen. Er entschied, dass die Polizeiwachen doch bleiben, nicht mehr rund um die Uhr besetzt, als „Reviere“. Und doch konnte auch er nicht verhindern, dass eintrat, wovor Kritiker immer gewarnt hatten. Dass Hiobsbotschaften in immer kürzeren Abstännden folgten. Eine verkündete Innenminister Ralf Holzschuher (SPD) jüngst. Er gestand ein, dass längst viel zu wenige Streifenwagen unterwegs sind, es 2013 im Schnitt weniger als einhundert waren, waren statt der nötigen 124. Er offenbarte, dass sich die „Interventionszeiten“, bis die Polizei eintrifft, im Land seit 2011 von knapp 24 Minuten auf inzwischen 28 Minuten verschlechterten. In dringenden Fällen, so relativierte Holzschuher, nämlich bei den „Blaulichtfahrten“, sei die Polizei aber schnell da. „Die Bürger können sich darauf verlassen, dass Hilfe kommt, wenn Hilfe gebraucht wird.“ Schnell wiederum sind nach seiner Statistik 18 Minuten und 42 Sekunden – bei „Blaulichtfahrten“, wenn es auf jede Minute ankommt.

Und das alles ein paar Monate vor der Landtagswahl. Längst gilt die Innere Sicherheit, egal auf welcher Seite, als ein, wenn nicht als das Thema. So entscheidend, dass Woidke sie zur Chefsache erklärte, egal wie blass sein Innenminister daneben aussieht. Der kündigte an, dass „bis Oktober“, also nach der Wahl, 150 Beamte in den Streifendienst versetzt werden, womit alles wieder besser sein soll. Doch noch im Frühjahr wird Holzschuher neue Zahlen präsentieren: Der Statistik nach, so viel ist schon bekannt, blieb 2013 die Gesamtkriminalität zwar stabil, auch die Aufklärungsquote stieg leicht an, „nicht trotz, sondern wegen der Polizeireform“, wie er immer noch meint. Doch vor allem wird aus der Statistik hervorgehen, dass Wohnungseinbrüche, Auto- und Fahrraddiebstähle schon wieder dramatisch zugenommen haben.

Und während der Herausforderer, der CDU-Chef und Spitzenkandidat Michael Schierack, sich immer häufiger Woidke vornimmt, zog sich vor ein paar Tagen die SPD-Landtagsfraktion zur Klausur ins Wellnesshotel „Klostermühle“ Alt-Madlitz zurück. Die Genossen fassten auf Betreiben Woidkes den Beschluss, nach dem es nun 2020 statt 7000 noch 7800 Polizeibeamte im Land geben soll, 450 weniger als jetzt. Ein Beschluss, mit dem die SPD beerdigte, was sie dreieinhalb Jahre zuvor selbst beschlossen hatte. Und mit dem mit dem Woidke nach der einseitig auf den „vorsorgenden Sozialstaat“ ausgerichteten Politik seines Vorgängers Matthias Platzeck die Partei neu einnordete: „Die SPD steht für soziale Gerechtigkeit und für innere Sicherheit“, sagte er da, wohl wissend, wie riskant solch späte Rettungsmanöver in der Politik sein können.

Viel Zeit für ein längeres Gespräch über die Polizeireform hat Kerstin Albrecht nicht. Schon gibt sie das Signal zur nächsten Kontrollfahrt. „Wir gehen mal auf Jagd“, kündigt Kerstin Albrecht an. „Meine speziellen Freunde suchen.“ Schnell wird klar, dass sie damit Auto- und Fahrraddiebe aus Osteuropa meint. In der schmalen Warschauer Straße mitten in einem Wohngebiet mit Plattenbauten muss die Hauptkommissarin in der zweiten Stunde nach Mitternacht nicht lange auf den ersten Verdachtsfall warten. Ein weißer Audi mit polnischen Kennzeichen fällt auf. Der Fahrer scheint etwas zu suchen, hält an, fährt wieder los. „Irgendwo sind bestimmt seine Komplizen. Die suchen nach speziellen Autos, die dann in den nächsten Tagen höchstwahrscheinlich gestohlen werden“, sagt die Polizistin. „Alle Autos werden auf Bestellung geklaut. Sie verschwinden dann auf Nimmerwiedersehen.“

Der junge Mann am Steuer gibt sich ahnungslos. Er suche eine Bushaltestelle, an der ein Freund aus Berlin warte und den er nach Polen bringen wolle, sagt er in gebrochenem Deutsch. Weit und breit gibt es hier aber keine Haltestelle, und der letzte Zug aus Berlin ist schon vor Stunden angekommen. Doch der Ausweis des 22-Jährigen ist in Ordnung, auch die Abfrage des Namens bringt keine verdächtigen Auskünfte. Die in der Rücksitzwand steckenden Werkzeuge allein reichen für Ermittlungen nicht aus. „Vielleicht meinte er es wirklich ehrlich“, sagt Kerstin Albrecht.

Im Polizeicomputer standen allein letzten Sonntag elf als gestohlen gemeldete Fahrzeuge. Die meisten Diebstähle werden immer montags angezeigt. Dann bemerken Firmen und Familien oft erst den Verlust ihres Autos. Gestohlen würden inzwischen alle Marken. „Achtung an alle Streifenwagen! In Beeskow ist eben ein Mitsubishi Outlander entwendet worden“, schnarrt es aus dem Funkgerät. Gegen die organisierten Banden habe man kaum eine Chance, weil die polnische Grenze nur 30 Kilometer von Cottbus entfernt liege und sich Städte wie Forst und Guben noch dichter am Nachbarland befänden. Es kommt zwar immer wieder dank der Kontrollfahrten und der Hinweise aufmerksamer Einwohner zu Verfolgungen. Aber sobald sich die Diebe über die offene Grenze retten, sei der Fall zumindest für die Streifenpolizisten beendet. Sie dürfen nicht ins Nachbarland fahren und erst recht dort niemanden festnehmen.

Jeder Polizist im Grenzgebiet kann deshalb Geschichten zu dem Thema erzählen. Selbst Nagelbretter, die zum Stoppen von Fahrzeugen quer über die Straße ausgelegt werden, nützen wenig. Die Autodiebe rasen darüber und zur Not auf Felgen über die Grenze oder zumindest irgendwo in den Wald, flüchten dann weiter zu Fuß. Bandenmitglieder holen sie dann mit geländegängigen Fahrzeugen aus ihren Verstecken. Da sind selbst Hubschrauber machtlos. Oder von massenhaften Fahrraddiebstählen, gerade rund um Cottbus, Forst und Guben. Manchmal werden ganze Keller von Hochhäusern leergeräumt, die Räder in Transporter verladen.

Nach weiteren Kontrollfahrten durch die Stadt, die zur stark bewachten Feier der „Hells Angels“ führt, kehrt Hauptkommissarin Albrecht an den Schreibtisch zurück, wo der zweite Teil des Dienstes wartet. Zwischen 50 und 80 Prozent der Arbeitszeit geht für Schreibarbeiten darauf. Trotz der vielen Computer müssen endlos erscheinende Formulare über die festgestellten Delikte per Hand ausgefüllt werden. „Das bindet wirklich Ressourcen“, sagt sie.

Kurz nach fünf Uhr morgens treffen die Kollegen der Tagschicht im Polizeigebäude ein. Die Kaffeeautomaten laufen auf Hochtouren. Streifenwagen brechen zu zwei Wildunfällen auf oder suchen einen Randalierer, der Rückspiegel von Autos abtritt. Im Trakt mit den 18 Verwahrzellen steht an diesem Morgen nur ein Paar Schuhe. Der Mann war bei einer Routinekontrolle ins Netz gegangen, gegen ihn lag ein Haftbefehl vor. Diesmal funktionierte zum Glück das Funkgerät.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })