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Brandenburg: Schildkröten erobern die Havel

Die Tiere landen auch in Berliner Seen

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Berlin - Für Jens Scharon, den Artenschutzexperten des Naturschutzbundes Deutschland (Nabu), sind sie „wohl die eifrigsten Sonnenanbeter Berlins“. Kein wolkenloser Sommertag, an dem sie sich nicht auf Steinen am Ufer räkeln. Auf umgestürzten Baumstämmen, die ins Wasser ragen. Auf Sandbänken oder schwimmenden Rindenstücken. Kopf und Beine und den kleinen Stummelschwanz so weit genießerisch herausgestreckt, wie es der Panzer zulässt. „Ja, ja“, sagt Scharon, „man sollte es nicht glauben, viele Leute sind überrascht. Aber es gibt tatsächlich in Berlin, in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern immer mehr Wasserschildkröten.“ Keine heimischen Artgenossen allerdings, denn die Europäische Sumpfschildkröte ist in Deutschland nahezu ausgestorben. Die neuen gepanzerten Sonnenanbeter von Berlin entstammen fast alle der Familie der nordamerikanischen Schmuckschildkröten. Genauer: der Rotwangen- oder Gelbwangen-Schmuckschildkröten. Sie sind allerdings nicht selbst ausgewandert, sondern meist in den Aquarien professioneller Züchter geboren worden. Später strampelten sie irgendwann in den Wasserbecken von Tiergeschäften, gerade mal groß wie ein Fünf-Mark-Stück. Sie wurden meist zum Spaß der Kinder erworben, aber ein paar Jahre später dann zum Problem, als das Interesse ihrer jungen Pfleger schwand und man plötzlich bemerkte, dass Wasserschildkröten recht groß werden und zu den Methusalems im Tierreich gehören. „Die können 40 Jahre alt werden“, wissen Experten. Die Lösung? Der Gang zum nächsten Tümpel. „Man setzt sie aus“, sagt der Wildtierbeauftrage des Berliner Senats, Derk Ehlert. So haben sie sich vermehrt.

Da in Nordamerika ähnliche Temperaturen herrschen wie in der neuen Heimat, fühlen sie sich auch hierzulande in Tümpeln, Seen, in der Havel und Spree wohl. Sie futtern gerne Insekten und Wasserpflanzen, davon gibt es mehr als genug. Sie können abtauchen, sind dank des Panzers gut gerüstet, wenn sie wie ein kleines Schubschiff ihre Bahnen ziehen, es drohen also kaum natürliche Feinde. Und sie bringen auch nicht unser Ökosystem durcheinander, sagen Naturschützer. Beste Voraussetzungen also, um die neugewonnenen Tümpel zu besetzen. Gäbe es da nicht eine alljährliche Hürde. „Das ist der Winter“, sagt Wildtier-Fachmann Derk Ehlert. Wenn der Frost naht, buddeln sich zwar die meisten Wasserschildkröten im Schlick und Schlamm am Gewässerrand ein und reduzieren Kreislauf und Atmung. Doch sackt das Thermometer unter zehn Grad ab, droht der Kältetod.

Naturschützer Scharon mahnt: „Wer ein Tier kauft, sollte sein Alter bedenken. Und es nicht später aussetzen.“Christoph Stollowsky

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