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Brandenburg: Schokolade und Seidenschirmchen

Vor 65 Jahren endete die Blockade Berlins. Amerikanische und britische Veteranen feierten das jetzt

Stand:

Berlin - Ganz wild waren die Berliner Kinder auf die kleinen Fallschirme, an denen Schokolade und andere Süßigkeiten zu ihnen herabsegelten – eine Art Urszene der Westberliner Nachkriegsgeschichte. Die Luftbrückenpiloten und allen voran Candybomber Gail Halvorsen – das waren ihre Helden. Aber es gab auch andere Vorlieben: Schokolade? Schön und gut, aber eine 16-Jährige hat vielleicht eher für das federleichte seidene Transportmittel der Schokoriegel Verwendung. Schließlich ergaben zwei Fallschirmchen zusammengenäht ein prima Höschen.

Auch solche modischen Details gehören zur Geschichte der Luftbrücke und der Berlin-Blockade, deren Ende vor 65 Jahren am Montag gefeiert wurde, mit Reden, Empfängen und dem Austausch von vielen Erinnerungen. Die in diesem Fall nicht Roswitha Barry gehören, die damals sechs war und sich dann doch mehr für Schokolade begeisterte; die sie nur weitertragen kann, wie sie ihr erzählt wurde von der damals 16 Jahre alten Stephani Plum, wie sie eine der „Berlin Airlift Kids“. Das ist eine Gruppe ehemaliger Berliner, die als Kinder die Luftbrücke miterlebt hatten, später ausgewandert waren, aber gerne mal wieder zurückkehren, und besonders gern eben zu solch einem Jubiläum.

Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) hatte in seiner Rede am Tempelhofer Luftbrückendenkmal auch die aus Kalifornien angereiste Gruppe begrüßt, neben Veteranen der amerikanischen und britischen Luftflotte, die Westberlin davor bewahrt hatten, durch die sowjetische Blockade erdrosselt zu werden. Rund 100 Gäste, deren Leben so oder so mit der Luftbrücke verbunden war, hatten den Jahrestag zum Anlass einer erneuten Reise nach Berlin genommen, betreut von der Stiftung Luftbrückendank. Die „Berlin Airlift Kids“ aus Kalifornien zählten allein 16 Personen, vorneweg die 1942 in Charlottenburg am Savignyplatz geborene Roswitha Barry. Sie hatte Berlin 1964 verlassen, aus Herzensgründen, hatte einen amerikanischen Soldaten geheiratet, den sie nicht in Berlin, sondern in Frankfurt kennengelernt hatte. Eine junge Amerikanerin hatte sie einmal auf einer Parkbank angesprochen, offenbar einsam in Deutschland, hatte sie gefragt, ob sie Englisch spreche, vielleicht ihre Freundin werden wolle – so entstand der Kontakt zur amerikanischen Gemeinde, der dann letztlich zu einem Ehemann und einem Leben in Kalifornien in die Gegend um San Francisco führte. Dort hat sie als Modeschöpferin und Lehrerin gearbeitet, nach dem Tode ihres ersten Mannes wieder geheiratet, einen deutschen Rechtsanwalt – auch er ist bereits tot.

Ihrer Luftbrücken-Vergangenheit begegnete Roswitha Barry vor fünf Jahren wieder in einer Mormonenkirche in Danville, Kalifornien, bei einer Veranstaltung mit Gail Halvorsen zur Erinnerung an die Luftbrücke. Der Bürgermeister der Stadt, selbst Luftbrücken-Veteran, hatte sie darauf hingewiesen – die Initialzündung zur Gründung der „Berlin Airlift Kids“. Denn dort in der Kirche traf sie auf sieben weitere Amerikaner aus Berlin, die wie sie als Kinder die Luftbrücke miterlebt hatten. Man verabredete sich zu weiteren Treffen, neue Alt-Berliner stießen dazu, und mittlerweile ist eine lockere Gemeinschaft entstanden, die sich alle drei Monate zu einem Essen und dem Austausch von Neuigkeiten und Erinnerungen trifft. Auch wird dabei gesammelt, Spielzeug gekauft für Kinder aus armen Familien – die „Berlin Airlift Kids“ wollen etwas zurückgeben von dem, was sie vor 65 Jahren durch die Luftbrücke empfangen haben.

In Berlin hat die Gruppe schon eine Dampferfahrt gemacht, war zur Feier am Luftbrückendenkmal, hat die Gail-S.-Halvorsen-Schule in Dahlem besucht und war urberlinerisch bei der „Dicken Wirtin“ in der Carmerstraße essen, wie Roswitha Barry in noch immer perfektem, nur mit leichtem Zungenschlag amerikanisiertem Deutsch erzählt. Sie lese viel deutsche Bücher, pflege ihre Muttersprache.

Am späten Montagnachmittag empfingen dann US-Botschafter John Emerson und seine Frau Kimberly die amerikanischen Luftbrücken-Veteranen – und auch die „Berlin Airlift Kids“ wurden in der Botschaft am Pariser Platz empfangen.

Gleich um die Ecke in der Wilhelmstraße freute sich zeitgleich der stellvertretende Britische Botschafter, Simon Gallagher, darauf, „von den außergewöhnlichen Leistungen der Veteranen zu hören und gemeinsam an die zentrale Rolle Großbritanniens während der Luftbrücke zu erinnern“. Schließlich sei die Luftbrücke eines der wichtigsten Kapitel in der deutsch-britischen Geschichte. Gallagher erinnerte in dem Zusammenhang daran, dass der britische Luftfahrtdirektor Rex Waite die Pläne ausgearbeitet und die West-Alliierten davon überzeugt habe, die größte humanitäre Luftoperation aller Zeiten zu starten. Britische Piloten und Flugzeuge hätten 1948/49 in 87 000 Flügen fast die Hälfte aller Lebensmittel und mit 540 000 Tonnen rund ein Drittel aller Hilfsgüter in die blockierte Stadt transportiert.

Elisabeth Binder/Andreas Conrad

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