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Ur-Uckermärker „der etwas anderen Art“. Christian Hartphiel ist 34 Jahre alt, sitzt für die SPD in der Stadtverordnetenversammlung von Templin und ist schwul. 2005 lud er in der Stadt zu einem ersten Stammtisch für Schwule und Lesben.

© Matthias Matern

Brandenburg: Schwul in der Provinz

In der Schule wird Christian Hartphiel zum Coming-out genötigt. Heute kämpft der 34-jährige heimatverbundene Templiner gegen die Landflucht von Schwulen und Lesben

Von Matthias Matern

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Christian Hartphiel ist Ur-Uckermärker, seit rund 200 Jahren ist sein Familienname in der Region nachweisbar. „Mein fünfter Urgroßvater ist im evangelischen Kirchenbuch von Templin als Schafshirte eingetragen. Der hieß auch Christian“, erzählt der 34-Jährige. Auch Hartphiel Junior ist in der Uckermark tief verwurzelt, für die SPD sitzt er in der Templiner Stadtverordnetenversammlung, arbeitet seit 15 Jahren als Gruppenleiter in einer Behindertenwerkstatt im örtlichen Krankenhaus. Dass jemand seiner Heimat für immer den Rücken kehrt, ist für den selbstbewussten jungen Mann mit den braunen Haaren und dem stechenden Blick kaum nachvollziehbar – und schon gar nicht wegen der eigenen sexuellen Prägung. Hartphiel selbst hatte sein Comming-out bereits in der achten Klasse. Eine Klassenkameradin hatte ihn damals vor der versammelten Mannschaft zur Rede gestellt. Heute kämpft der Templiner mit seinem Verein „UM-Queer“ gegen die Landflucht von Schwulen und Lesben. Ein wachsendes Gemeinschaftsgefühl soll Homosexuellen Mut zum offenen Umgang mit ihrer Neigung machen und von einem Umzug nach Berlin, Hamburg oder Köln abhalten.

Während in der rund 80 Kilometer entfernten Bundeshauptstadt mit Klaus Wowereit seit knapp zwölf Jahren ein schwuler Bürgermeister regiert, ist die Uckermark in Sachen Schwulsein noch immer Entwicklungsland. Wer ohne Kompromisse seine Homosexualität ausleben will, zieht lieber in eine Großstdt, wo es zudem zahlreiche Angebote wie Sportvereine und Diskos für Schwule und Lesben gibt. Nach wie vor aber bringen viele den Mut für eine Offenbarung gar nicht erst auf, verstecken sich aus Angst vor gesellschaftlicher Ausgrenzung und Repressalien am Arbeitsplatz in einer vermeintlichen gesellschaftskonformen Uniformität, heiraten gegen ihre Neigung einen andersgeschlechtlichen Partner und zeugen Kinder. Immer wieder sitzt Hartphiel abends stundenlang vor dem Laptop, antwortet auf verzweifelte E-Mails oder hört sich am Telefon die Schicksale anderer an. „Dieses dauerhafte Unglücklichsein macht die Menschen krank“.

Einem 53-jährigen Schiedsrichter aus Lychen hat Christian Hartphiel erst im vergangenen August geholfen, aus dem vermeintlich auswegslosen Elend auszubrechen. Nach jahrzehntelangem Versteckspiel hatte sich Burkhard Bock Anfang der Saison vor seinen Schiedsrichter-Kollegen geoutet. Die Rede dazu hatte Hartphiel geschrieben. Schon als Kind hatte Bock gemerkt, dass er offenbar anders ist als viele seiner Klassenkameraden. Früh begann er seine Verzweiflung in Alkohol zu ertränken, ließ keine Dorfkeilerei aus, um seine Mänmnlichkeit hervorzukehren, lachte bei jedem Schwulenwitz am lautesten. Nach einem Zusammenbruch mit Mitte zwanzig schwört er zwar dem Alkohol ab, verneint aber weiterhin seine Homosexualität. Erst über die Biografie des früheren DDR-Jugendnationalspielers Marcus Urban schöpft Bock 2008 Hoffnung, wendet sich mit Unterstützung einer Psychologin schließlich an den Verein „UM-Queer“. Für die Unterstützung, die er dort erhalten hat, ist er dankbar. „Für all die Leute, die versteckt leben und mit dem Gedanken spielen, sich zu bekennen, ist der Verein ein ganz wichtiger Anlaufpunkt“, sagt Bock heute. „Man fühlt sich einfach so allein, hat ja keinen Menschen, mit dem man sprechen kann. Diese Einsamkeit hat mich einfach wahnsinnig gemacht“, meint der Uckermärker. Seit seinem Coming-out lebt Bock von seiner Last befreit. Seine Kollegen haben seine Homosexualität akzeptiert. Der Fußball-Landesverband Brandenburg hat in seiner Verbandszeitschrift groß über Bock berichtet. Auch in anderen Tageszeitungen und Fernsehsendungen hat er inzwischen über sein Leben mit dem Schwulsein erzählt. Im Verband soll er nun Ansprechpartner für gleichgeschlechtliche Lebensweise werden. Zwar hat auch Christian Hartphiel schwere Zeiten durchgemacht, sich als Teenager ebenfalls aus Verzweiflung in den Alkohol gestürzt, sogar mit Selbstmordgedanken gespielt, doch im Vergleich zu vielen anderen Schwulen und Lesben auf dem Land habe er wohl noch Glück gehabt, räumt er nach kurzem Überlegen ein. Gehässige Hänseleien und kleinere nicht selten schmerzhafte Gemeinheiten, wie sie Außenseiter in Schulen oft zu erdulden haben, sind ihm nach seiner Offenbarung vor der Klasse weitgehend erspart geblieben. „Die eine hatte rote Haare, ein anderer war dick und ich war dann halt der Schwule“, erinnert er sich. Zu Hause war es dann die Oma, die Eltern und den mittlerweile 18-jährigen Sohn nach einer monatelangen Phase des Schweigens wieder an einen Tisch brachte.

Doch wie wenig selbstverständlich der Umgang mit Homosexualität noch bis vor Kurzem in der Uckermark war, zeigt die Gründung von „UM-Queer“. 2005 hatte Hartphiel mit Freunden die Idee, erstmals in Templin zu einem „Stammtisch für Schwule und Lesben“ einzuladen. „Bis dahin gab es gar nichts, keine Treffs, keine Anlaufstelle. Selbst in den Städten kannten sich die Leute untereinander nicht“, berichtet der heutige Vereinsvorsitzende. Um auf ihren Stammtisch aufmerksam zu machen, schaltete Hartphiel eine Anzeige in der örtlichen Lokalzeitung. Doch statt „Stammtisch für Schwule und Lesben“ stand dann plötzlich „Stammtisch der etwas anderen Art“ in der Zeitung.

Immerhin 30 Personen kamen trotzdem. Für Hartphiel ein mutiger Schritt. „Ein bisschen war die Atmosphäre von Angst geprägt. Auf dem Tisch hatten wir nur eine ganz kleine Regenbogenfahne stehen“, erinnert sich der heimatverbundene Lokalpolitiker. Heute hat „UM-Queer“ 50 Mitglieder, ein Drittel kommt von außerhalb der Uckermark. In Templin treffen sie sich einmal im Monat zum Bowlen, zum Tanzen oder um ins Kino zu gehen. Zudem organisiert der Verein regelmäßig in Templin das überregional bekannte Festival „Queer-Days“, engagiert sich für das Gedenken der im Konzentrationslager Ravenbrück inhaftierten und ermordeten homosexuellen Frauen und Männer.

Im kommenden Jahr will Hartphiel den Vereinsvorsitz abgeben, mehr Zeit für sich und seinen Ehemann haben. Zumindest in der 17 000-Einwohner-Stadt Templin hat der Verein für Schwule und Lesben ein Stück Normalität geschaffen, vielen die Möglichkeit gegeben, in ihrer Heimat zu bleiben. „In einigen Dörfern ist es für die jungen Leute aber noch immer schwierig“, räumt der 34-Jährige ein.

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