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Ein Plakat der Kundgebung „Bad Freienwalde ist bunt“ hängt am Marktplatz von Bad Freienwalde.

© dpa/Christoph Soeder

Update

„Skrupellose Gewalt“: Entsetzen nach Attacke auf „Bad Freienwalde ist bunt“

Der Schock nach dem Angriff einer vermummten Schlägertruppe auf ein Fest für Vielfalt ist groß – nicht nur in Brandenburg. Von den Tätern fehlt bislang jede Spur. Bedrohungen gab es bereits zuvor.

Stand:

Schockiert reagieren Bündnisse für Toleranz und gegen Rechtsextremismus sowie Politikerinnen und Politiker aus Landes- und Bundespolitik auf den gewaltsamen Angriff einer Gruppe Vermummter auf ein Fest für Vielfalt in Bad Freienwalde (Märkisch-Oderland) am Sonntagmittag.

Vor Beginn der Kundgebung des Bündnisses „Bad Freienwalde ist bunt“ „gegen Rechtsruck, gegen Hass und Hetze“ hatten Unbekannte das wartende Publikum mit Schlagwerkzeugen oder Holzstöcken angegriffen und mindestens zwei Personen leicht verletzt, so die ersten Erkenntnisse der Polizei am Sonntag. Die Gruppe von 10 bis 15 Personen war geflüchtet, Tatverdächtige konnten bis Sonntagabend nicht festgestellt oder identifiziert werden. Der für politisch motivierte Straftaten zuständige Staatsschutz der Polizei soll die Ermittlungen übernehmen.

Das Fest fand trotz des Angriffs statt. Unter teils schwer bewaffneter Polizeipräsenz.

© dpa/Christoph Soeder

Brandenburgs Landesregierung fordert am Montag eine zügige Aufklärung des Vorfalls. Man sei „bestürzt“ über den Angriff, sagte eine Sprecherin der Staatskanzlei der dpa. So etwas sei nicht hinnehmbar. Nun müsse konsequent reagiert und schnell gehandelt werden.

Amadeu Antonio Stiftung: „Müssen alle CSDs schützen“

„Dieser hinterhältige Angriff reiht sich in eine besorgniserregende Serie rechtsextremer Gewalt in Brandenburg ein“, heißt es vom Aktionsbündnis „Brandenburg zeigt Haltung“, das sich solidarisch mit den Organisatoren und den Menschen zeigt, die sich für Demokratie und Vielfalt einsetzen. „Wer Menschen angreift, die sich für Vielfalt und Zusammenhalt engagieren, greift unsere Demokratie an. Wir dürfen nicht zulassen, dass Gewalt und Einschüchterung das bürgerschaftliche Engagement schwächen“, sagt Jann Jakobs, ehemaliger Oberbürgermeister von Potsdam und Sprecher des Bündnisses. „Jetzt ist es wichtiger denn je, Haltung zu zeigen und den Mut der Betroffenen nicht vergebens sein zu lassen.“

Die Amadeu Antonio Stiftung spricht von einem rechtsextremen Angriff, der zeige, wie enthemmt die Szene auftrete. Die Stiftung rechnet mit weiteren Gefahren für queere Veranstaltungen. „Wenn 10 bis 15 Nazis am helllichten Tag, bewaffnet einen CSD angreifen, sind wir von den Baseballschlägerjahre 2.0 nicht mehr weit entfernt“, schrieb die Organisation auf der Plattform X. „Wir alle müssen CSDs schützen.“

Lorenz Blumenthaler, der sich bei der Stiftung mit Rechtsextremismus befasst, sieht angesichts rechtsextremer Vorfälle im Osten Deutschlands die Gefahr einer Rückkehr der sogenannten Baseballschlägerjahre in den 1990er Jahren. „Es entsteht ein Klima der Gewalt und der rechtsextremen Mobilisierung, das an die 90er erinnert – es droht ein Flächenbrand“, sagte er der dpa. Der Verein CSD Deutschland berichtete davon, dass Gruppen junger Rechtsextremisten verstärkt zu Aktionen gegen Christopher Street Days (CSD) aufriefen.

Auf dem Marktplatz von Bad Freienwalde nach der Kundgebung.

© dpa/Christoph Soeder

Eine verletzte Person berichtet

Der Flüchtlingsverein „Wir packen’s an“, der seit Gründung des Fests sich beteiligt, berichtet am Montag, dass ein Vereinsmitglied verletzt wurde. „Ich hatte gerade unseren Infostand aufgebaut, als eine Truppe Vermummter auf den Marktplatz gestürmt kam. Als ich mich einem der Angreifer in den Weg stellte, schlug er mir mit der Faust ins Gesicht”, erzählt das betroffene Mitglied. Die Gruppe hätte das Gelände gestürmt, Transparente heruntergerissen und Gäste bedroht. Trotz bekannter Sicherheitsrisiken war die Polizei zu dem Zeitpunkt nicht vor Ort.

Immer wieder käme es in ihrer Arbeit zu Anfeindungen und Beschimpfungen. „Aber dieser gewalttätige Angriff, mitten am Tag, auf ein Fest für Familien, Kinder und für Bad Freienwalde, hat mich tief erschüttert“, so die betroffene Person. Der Verein fordert unter anderem eine umfassende Aufarbeitung des Angriffs und der Versäumnisse beim Polizeischutz sowie mehr Mittel zur Prävention, politischen Bildung und Monitoring rechter Strukturen.

Bereits zuvor bedroht

„Diese gezielte und geplante Gewalttat ist ein erschreckender neuer Höhepunkt der rechtsextremen Organisierung in Bad Freienwalde“, sagt Tom Kurz von der Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland, zugehörig zum Verein Opferperspektive.

Bereits in den Vorjahren kam es am Rande der Kundgebung „Bad Freienwalde ist bunt“ zu rechten Störungen, etwa indem Neonazis das Publikum filmten. Im April 2024 bedrohten Rechte eine Demonstration des Bündnisses und beschmierten die Demonstrationsroute mit neonazistischen Drohungen. Im Februar versuchten Neonazis, eine Tanz-Aktion des Bündnisses zu stören, verteilten rechtsextreme Flyer und bedrohten Teilnehmende, teilt der Verein Opferperspektive mit. „Die Vorfälle der letzten Jahre zeigen die Zuspitzung der Situation vor Ort. Nicht nur hier, sondern im gesamten Landkreis sehen wir eine Radikalisierung und verstärkte Gewaltbereitschaft rechtsextremer Jugendlicher“, so Kurz.

Die Vorfälle der letzten Jahre zeigen die Zuspitzung der Situation vor Ort.

Tom Kurz, Beratungsstelle für Opfer rechter Gewalt Märkisch-Oderland

„Solche Gewalttaten haben als Ziel, zivilgesellschaftliche Gruppen und Initiativen dazu zu bringen, ihre Arbeit einzustellen“, sagt Julian Muckel von der Opferperspektive. „Dass die Veranstalter:innen sich durch den Angriff nicht haben einschüchtern lassen und die Kundgebung dennoch durchgeführt haben, ist ein starkes Zeichen für ein vielfältiges und weltoffenes Brandenburg.“ Beide Beratungsstellen fordern, die wachsende Gefahr durch extrem rechte (Jugend-)Gruppen sehr ernst zu nehmen und potenziell Betroffene besser zu schützen. 

Solidarität kommt auch von den Omas gegen rechts aus Leipzig. Auf X schreiben sie: „Das Gift, was die AfD seit Jahren verbreitet, wirkt.“

Das Zentrum für politische Schönheit fragt auf X: „Was wird Bundesministerium des Inneren tun, um die Menschen in diesem Land vor der rechtsextremen Gewalt zu schützen?“

So reagiert die Politik

Am Sonntag hatte Brandenburgs Innenminister René Wilke (parteilos) die Tat verurteilt und war nach Bad Freienwalde gefahren, um mit den Betroffenen und der Polizei zu sprechen. Er nannte es einen Angriff auf „unser Zusammenleben als Gesellschaft“, wogegen sich die Gesellschaft „egal welcher politischen Auffassung“ zur Wehr setzen müsse.

Rene Wilke (parteilos, r), Brandenburgs Minister des Innern und für Kommunales, machte sich am Sonntag ein Bild vom Ort des Geschehens. Hier mit Oliver Stepien (l), Polizeipräsident von Brandenburg.

© dpa/Christoph Soeder

Brandenburgs Antisemitismusbeauftragter Andreas Büttner nannte am Montag den Angriff „einfach nur feige“. „Wer Menschen verletzt, nur weil sie für Vielfalt und Zusammenhalt stehen, stellt sich damit klar außerhalb unserer demokratischen Gesellschaft. Wir dürfen uns davon nicht einschüchtern lassen – im Gegenteil: Jetzt erst recht laut und sichtbar für ein buntes Brandenburg“, schrieb Büttner auf X.

Sina Schönbrunn, queerpolitische Sprecherin der Brandenburger SPD-Fraktion, nennt die Tat einen „vorsätzlichen Angriff auf die Meinungs- und Versammlungsfreiheit“. Solche Taten seien nicht nur feige, sondern brandgefährlich. Der schnelle Besuch vor Ort von Innenminister Wilke sei ein klares Zeichen: „Der Staat steht an der Seite derer, die sich für Demokratie, Toleranz und Vielfalt engagieren.“ Uwe Adler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Fraktion, fordert die Prüfung „beschleunigter Verfahren im Zusammenspiel zwischen Polizei und Justiz im Themenfeld ‘Bekämpfung rechter Straftaten’“. Bestrafung in Form von Sozialstunden soll für Sichtbarkeit und Wiedergutmachung sorgen.

Der Landtagsabgeordnete Erik Stohn (SPD) zeigte bereits am Sonntag sich „zutiefst entsetzt“ und fühlt sich an die Baseballschläger-Jahre der 1990er Jahre erinnert. „Wer mit Holzknüppeln oder auch nur Fäusten um sich schlägt und damit gezielt schwere Verletzungen oder sogar den Tod unliebsamer Menschen in Kauf nimmt, stellt sich außerhalb der Gesellschaft auf, um sie und ihre Ordnung zu bekämpfen“, so Stohn. Er beobachtet „des längeren eine Verrohung in den politischen Auseinandersetzungen, verbal, medial und immer öfter auch körperlich“. 

Viele Reaktionen kamen bereits von den Grünen: Katrin Göring-Eckardt, Vize-Bundestagspräsidentin, nannte es eine „verabscheuungswürdige Tat“ auf X. Ihr Kollege Marcel Emmerich, innenpolitischer Sprecher der Grünen-Bundestagsfraktion, ergänzte: „Das ist kein Protest, das ist organisierte Einschüchterung mit skrupelloser Gewalt.“ Bad Freienwalde zeige, dass rechte Gewalt koordiniert sei und sie sich sicher fühlen. Auch Brandenburgs Landesvorsitzende der Grünen, Andrea Lübcke, nannte den Angriff „keine zufällige Eskalation – das ist gezielte rechtsextreme Gewalt gegen alles, wofür unsere freiheitliche Gesellschaft steht“. Sie verwies, dass vor der Attacke in Bad Freienwalde in der Nacht zu Sonntag die Regenbogenflagge am Rathaus von Dallgow-Döberitz (Havelland) in Brand gesetzt worden war.

Der Landessprecher*innenrat der LAG Die Linke Queer in Brandenburg nennt die Tat „keinen isolierten Vorfall, sondern Ausdruck eines wachsenden Klimas in Brandenburg, wo Regenbogenflaggen entwendet oder angezündet werden, Menschen bedroht und nun auch Opfer von Gewalt werden“. Sie fordern von der Landesregierung „eine klare und konsequente Linie gegen queerfeindliche Netzwerke und gegen gewaltbereiten Hass“ und fordern Innenminister Wilke auf, queere Akteurinnen und Akteure einzuladen und Schutzmaßnahmen für solche Veranstaltungen zu besprechen.

René Springer, Landesvorsitzender der AfD-Brandenburg, forderte „eine lückenlose Aufklärung und die rasche Ermittlung der Täter“. Er sagte: „Gewalt ist niemals zu rechtfertigen – ganz gleich, aus welchem politischen Lager sie kommt.“ Brandenburg dürfe kein Ort sein, an dem Gewalt Teil der politischen Auseinandersetzung werde. (mit dpa)

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