
© Promo
Von Thorsten Metzner: Solo Sunny mit Matthias
Die SPD hat ein Wahlkampf-Modell ausgefeilt: Ministerpräsident Platzeck plauscht – ganz privat und exklusiv – mit Menschen, die etwas bewegen
Stand:
Potsdam/Caputh - Die Grillen zirpen. Die Dunkelheit ist schon lange hereingebrochen, als Matthias Platzeck kurz nach 22 Uhr vorbei am Märkischen Gildehaus von Caputh zu seinem Dienstwagen eilt. Im typischen Eilschritt, aber sichtlich zufrieden, bilanziert der brandenburgische Regierungschef, der einer der letzten in Deutschland mit SPD-Parteibuch ist: „Kein Vergleich zu 2004. Damals, vor der Landtagwahl, war die Stimmung doch eine völlig andere“. Will heißen: Schlechter, aufgeheizter, vor allem aber kritisch gegenüber der SPD, die damals die Hartz-IV-Reformen durchsetzte. Nein, so mag er auf dem Heimweg nach Babelsberg beim Telefonat mit Generalsekretär Klaus Ness die Lage analysieren, wenn der Wahlkampf so weiter geht, dann dürfte der SPD trotz der Talfahrt im Bund hierzulande keine Gefahr drohen. Aber wer kann sich da sicher sein in diesen unberechenbaren Zeiten?
Es war durchaus eine mit Spannung erwartete Premiere vor dem Brandenburger Urnengang am 27. September, der mit der Bundestagswahl zusammenfällt: So wie am Montagabend in Caputh lädt die märkische SPD in den nächsten Wochen regelmäßig zwischen Lausitz und Prignitz zum „Sommerabend mit Matthias Platzeck“. Exklusiv geladen, so das Drehbuch der Reihe, sind keine Genossen, sondern immer rund 80, 100, 120, 150 Vereinschefs, Engagierte aus Wohlfahrtsverbänden, Unternehmer, eben „Multiplikatoren“, „Entscheider“, wie man sie nennt, die im Lande verwurzelt sind, die Botschaften weiter tragen können. Brandenburg, so das eigennützige, strategische Kalkül, ist ein kleines, ein überschaubares Land: Wenn man die „richtigen“ Menschen gewinnt, dann hat man schon halb gewonnen. Hat man?
Was vor der Kommunalwahl 2008 bereits unter freien Himmel, mit viel Improvisation erprobt wurde, ist jetzt professioneller, feiner geworden: Die SPD lässt sich für die Tour ein strahlend weißes, für den Notfall beheizbares Veranstaltungszelt kosten. Es gibt ein Buffet für die Gäste, Wein und Bier wird serviert, im Hintergrund spielt ein Pianist, live natürlich.
Alles, so die Regie, ist auf den Solisten zugeschnitten, auf Matthias Platzeck. Die Wandzeitungen am Zeltinneren, die ein bisschen an frühere DDR-Zeiten erinnern, zeigen meist das Konterfeis des „Landesvaters“. Eine Überschrift transportiert den langfristigen Führungsanspruch der SPD: „1989, 2009, 2029 – Politik für Brandenburgs Zukunft.“ Den SPD-Wahlkreiskandidaten bleibt die Statistenrolle: Susanne Melior (Landtag) darf kurz begrüßen, Andrea Wicklein (Bundestag) das Buffet eröffnen.
Es ist ein Format, mit dem Platzeck das ausspielen kann, was ihm liegt, was ihm sichtlich Spaß macht: Mit Menschen ins Gespräch kommen, unverkrampft, in lockerer Atmosphäre. Er wolle „vor allem zuhören“, „erfahren, was unter den Nägeln brennt“, so hatte er in einer Einführungsrede angekündigt, ehe er dann von Tisch zu Tisch zog, drei Stunden ohne Unterbrechung, ohne Imbiss, abgesehen von zwei, drei Gläsern Wein, ein bisschen wie das Kinderspiel „Bäumchen wechsle dich“.
In Caputh ist es wie eine Turbo-Wanderung durch den Wahlkreis Potsdam-Mittelmark: Man sitzt, die Bewohner der Mark sind ein ordentliches, bodenständiges Völkchen, streng nach dem Ortsprinzip unter sich: Da ist die Werderaner Ecke, dann die Geltower, Kemnitz, Ferch bis hoch nach Fahrland geht es. Die Probleme, die der Regierungschef zu hören bekommt? Nun ja. Es sind fast durchweg lokale Wehwehchen und Reibereien, mal Ärger mit dem Gastronomen der Bismarckhöhe, mal eine fehlende Sporthalle für Ferch, mal die Nachfolgesorge des Zweiradmuseums. Selbst frühere heiße Eisen, wie die inzwischen fertige Umgehungsstraße von Michendorf, erhitzen die Gemüter offenbar nicht mehr. Als sich Platzeck gezielt danach erkundigt, hört er nur: „Es ist das Beste, was den Orten passieren konnte.“ Dafür bekommt er jetzt eine neue Klage serviert: Es würden zu viele Ampeln aufgestellt, das sei aus der benachbarten Metropole herübergeschwappt, eben der „Berlinalismus“. Ein Stichwort, das Platzeck vergnügt, das ihn dazu bringt, ungefragt der Fusion mit Berlin einmal mehr eine Absage zu erteilen: „Ich werde einen neuen Anlauf nicht machen, weil ich es nicht für sinnvoll halte.“ Nicht nur wegen der zahlenmäßigen Dominanz der Berliner in einem gemeinsamen Land. „Es sind auch zwei unterschiedliche Lebensformen.“ Die ließen sich am besten mit einer so eng wie möglichen Kooperation unter einen Hut bringen. Am Tisch 5 in Caputh hat Platzeck dafür die uneingeschränkte Zustimmung.
Ach ja, war da nicht noch die Wahl, bei der es für die SPD um so viel geht? Die große Politik im Bund, im Land? Gar keine Klagen über Fehlentwicklungen in Brandenburg? Ein bisschen seltsam ist es schon: Zumindest hier, beim politischen Ringelreihe in Caputh, wird Platzeck davon verschont: Erkundigt er sich nach den Geschäften von Handwerkern oder Gastronomen, hört er: „Sie laufen gut, trotz Krise.“ Ist die Stimmung im Land wirklich so gut? Oder in strukturschwachen Regionen anders? Fest steht, dass zum Auftakt überall an den Tischen der privat-politische Plausch mit Platzeck gut ankommt, egal, wen man danach fragt. Überall ist es ein Heimspiel für Platzeck, fast. Es gibt eine einzige Ausnahme. Das ist der Tisch 6, der Schwielowsee-Tisch, an dem Zugezogene aus dem Westen platziert sind, Intellektuelle, Künstler, mit einer gesunden Distanz zur Obrigkeit, die kritischer nachbohren: Hier, nur hier, wird Platzeck zugesetzt: Warum die Bundes-SPD ihren Parteigipfel zum Sturz von Kurt Beck ausgerechnet im Resort Schwielowsee zelebrieren musste, trotz der Vita des Investors Axel Hilpert, der zu DDR-Zeiten mit Schalck-Golodkowski Geschäfte machte? Warum Platzeck selbst dort erstmals öffentlich nach dem gesundheitsbedingten Abtritt als SPD-Bundeschef auftrat? Warum Brandenburger Behörden nicht konsequent gegen Pläne des Hotels wären, dort Wasserflugzeuge starten und landen zu lassen? Platzeck widerspricht, erklärt, verteidigt, bittet um „Augenmaß.“ Und er wirkt doch, das einzige Mal an diesem Abend, etwas genervt, als dann auch noch die Klage gegen die allgemeine Knöllchenflut vorgebracht wird. „Kinder fahrt doch mal nach Zürich!“, bricht es da aus ihm heraus. Und: Wenn die Region „wirklich so gruselig wäre“, dann gäbe es wohl „nicht den Zuzugsboom.“ Ehe er sich aus der Runde verabschiedet, erzählt Platzeck aus seinem Wahlkreis in der Uckermark, wo es ganz andere Schwierigkeiten gäbe als im südlichen Potsdamer Umland, das mit seinen Schönheiten, mit seinem Wohlstand eine privilegierte Region ist: „Da geht es um die nackte Existenz.“ Es sollte wohl auch eine kleine Lektion sein.
Umso wohler scheint sich Brandenburgs Regierungschef, schon zu später Stunde, dann am letzten Tisch zu fühlen, ein Tisch, an dem einflussreiche Bauern sitzen: Ernst Ruden aus Krampnitz, Obstbauer Manfred Kleinert aus Marquardt. Zwei Urgesteine, Männer mit Namen, deren Wort etwas gilt in der Region. Die loben den Bauernpräsidenten Udo Folgart, den Platzeck ins Kompetenzteam von Frank Walter Steinmeier lancierte, in den höchsten Tönen. Vor allem aber nimmt Platzeck vom Bauern-Tisch etwas mit, das er ernst nimmt, wo er dran bleiben will. Es ist die Warnung, dass der traditionsreiche Obstanbau im Land Brandenburg dramatisch zurückgeht, weil er sich kaum noch lohnt, weil es Spekulation mit Ackerflächen gibt, so dass zur Zeit nur noch auf 1500 Hektar Obstbäume stehen, einst waren es über 10 000 Hektar, wie Obstbauer Kleinert eindringlich schildert. „Wir müssen aufpassen, dass wir zum Baumblütenfest in Werder keine Kunstblumen aufstellen müssen.“ Ein Satz, der sich einprägt. Beim sozialdemokratischen Solisten der Mark schlägt sofort das Frühwarnsystem an. Für Matthias Platzeck, für den Wahlkämpfer und für den Regenten, hat sich der Sommerabend gelohnt.
- Brandenburg
- Bundestagswahl
- Deutscher Bundestag
- Hartz IV
- Kommunalwahlen Brandenburg
- Potsdam: Babelsberg
- SPD
- showPaywall:
- false
- isSubscriber:
- false
- isPaid: