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Landtag Brandenburg beschließt Kreisreform: Stadt, Land, Streit
UPDATE: Brandenburgs Parlament beschließt die rot-rote Kreisreform, die Zahl der Landkreise soll künftig deutlich reduziert werden. Nun will die CDU die Reform per Volksentscheid verhindern.
Stand:
Potsdam - Geschafft. Aber es bricht kein Jubel aus bei SPD und Linken, obwohl das größte Reformvorhaben der von Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) geführten SPD/Linke-Regierungskoalition in diesen Minuten gerade vom Landtag beschlossen wurde. Es ist 12.53 Uhr, als Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) das Ergebnis der namentlichen Abstimmung für die Kreisgebietsreform verkündet, bei der Frankfurt (Oder), Cottbus und Brandenburg an der Havel ihre Kreisfreiheit verlieren, in Großkreisen aufgehen, die Zahl der Kreise deutlich verringert werden sollen. Nein, keine Überraschungen in letzter Minute, die rot-roten Reihen standen, und die der Opposition auch: 45 Ja von SPD und Linken. 35 Nein von CDU, AfD und Freien Wählern. Sieben Abgeordnete enthielten sich, die fünf Grünen, aber auch der Linke-Abgeordnete René Wilke aus Frankfurt (Oder) und die Cottbuser SPD-Abgeordnete Kerstin Kircheis. Wilke wird wenig später noch einmal ans Mikro treten: „Es ist nicht meine Reform. Es wird nicht meine werden.“
Vor der Abstimmung wird drei Stunden heftig debattiert
Zuvor hatte sich der Landtag eine dreistündige heftige Debatte geliefert, hart, wie so oft in den letzten Monaten, mit bekannten Argumenten. Auffällig war, wie offen selbst die Redner von SPD und Linken eingestanden, dass bei der Vorbereitung und Vermittlung der Reform vieles schiefgelaufen ist. Und auch, dass Ministerpräsident Dietmar Woidke (SPD) zwar als letzter Redner das Wort ergriff, aber eher im Stil einer Pflichtübung, ein bisschen Standardrede, ein bisschen Kritik an der Union, dann ein Ende, als wäre es ein Grußwort, und nicht seine Reform: „Noch eine gute Debatte!“
Den Auftakt hatte SPD-Fraktionschef Mike Bischoff gemacht. Er betonte, wie notwendig und richtig die Kreisreform sei, um trotz demografischer Entwicklung auch künftig gleichwertige Lebensverhältnisse im Land zu sichern. „Wir haben nicht genügend erklären können, warum sie notwendig ist.“ Er verwies darauf, dass 600 Millionen Euro in die Reform investiert werden soll. Das Geld wird auch helfen, dass die kreisfreien Städte Frankfurt, Brandenburg und Cottbus ihre Kassenkredite abzahlen können, dass sie leistungsfähiger werden. Da hielt es Christoph Schulze, dienstältester Abgeordneter, seit 25 Jahren im Landtag, viele Jahre für die SPD, jetzt bei den Freien Wählern, nicht auf dem Stuhl. Er reagiert mit einer Kurzintervention, ein Mittel, mit dem die Gruppe Freie Wähler die Benachteiligung im Landtag durch geringere Redezeiten etwas ausgleichen kann. Prompt erinnerte er Bischoff daran, dass der 2004 bis 2009 im Landtag als SPD-Haushaltspolitiker genauso gebetsmühlenartig erklärt habe, dass der Haushalt Brandenburgs auf 7,5 Milliarden Euro heruntergefahren werden müsse, dass gespart werden müsse, bis es quietschte – auch das sei, wie man heute wisse, eine Fehlannahme gewesen. Genauso sei es bei der Polizeireform gewesen, „die Brandenburgs Polizei ruiniert“ habe.
Es folgte CDU-Oppositionsführer Ingo Senftleben, der der rot-roten Landesregierung vorwarf, sich über den geschlossenen Widerstand aller Landräte, Oberbürgermeister und der Mehrheit der Bürger hinwegzusetzen. „Keins von ihren Argumenten rechtfertigt die Zerschlagung der Strukturen, die wir heute im Land haben“, sagte Senftleben. „Ihre einzige Antwort auf die Entwicklung im Land ist Zentralisierung und Zwangsfusion.“ Die Reform werde Brandenburg nicht besser machen. Und er zitierte einen Beitrag aus der „Perspektive 21“, der Debattenzeitschrift der Landes-SPD, vor zehn Jahren. Da habe sich die SPD für kontrollierte Schrumpfung ausgesprochen, für kontrollierte Verwilderung. „Das was Sie damals gesagt haben, wird umgesetzt“, sagte Senftleben, Unruhe bei Rot, Beifall bei den eigenen Leuten. Und, er prangert an, warum es an diesem Tag nur einen Beschluss gebe, kein Gesetz eingebracht worden sei. Anders als in Thüringen, wo man den Weg eines Vorschaltgesetzes gewählt habe. Der Grund sei klar: „So verhindern Sie, dass vor dem Verfassungsgericht dagegen geklagt werden kann.“ Die Koalition werde im Landtag mit Ach und Krach eine Mehrheit im Landtag haben, habe aber keine im Land. „Wir wollen einen Neustart, wir setzen auf Kooperationen statt Zwangsfusionen.“
Christoffers (Linke): "Wir haben nur jetzt ein Zeitfenster, um die Strukturen anzupassen"
Und so hitzig ging es weiter, mit einer Replik von den Linken, für die Fraktionschef Ralf Christoffers, der frühere Wirtschaftsminister, ans Mikro trat: „Die Verwaltungsstrukturreform will nicht 2019 alles verändern. Sie hat 2030 im Blick. Und da wird die Lage anders sein als 2016. Entweder man akzeptiert das oder man verschließt davor die Augen wie die CDU.“ Wer wie die Union behaupte, dass dann Landkreise mit nur noch 80 000 Einwohnern die öffentliche Daseinsvorsorge im Land sicherstellen könnten, der „täuscht die Menschen“ im Land. „Wir haben nur jetzt ein Zeitfenster, um die Strukturen anzupassen. 2019 läuft der Solidarpakt aus“, mahnte er. Und hält der Union vor, nicht einmal ihr Kooperationsmodell ins parlamentarische Verfahren zur Kreisreform eingespeist zu haben.
Für die AfD ergriff diesmal nicht Fraktionschef Alexander Gauland das Wort, der jeden Auftritt im Plenum sowieso zu Attacken gegen die Flüchtlingspolitik nutzt. Stattdessen sprach der Abgeordnete Steffen Königer aus Werder (Havel). Er kritisierte das Leitbild für die Reform, bemängelte fehlende Analysen: „Es fehlt eine Kalkulation, es fehlen Modellrechnungen.“ Die ganze Reform sei nicht einmal durchgerechnet worden.
Nonnemacher mit Crashkurs in Demografie
Warum die Reform notwendig sei, schilderte die Grünen-Abgeordnete Ursula Nonnemacher im Anschluss. Die Innenexpertin argumentierte wie immer in der Sache, mit Fakten, ohne Polemik. Sie beginne, sagte Nonnemacher, mit einem „Crashkurs in Demografie“. Es gebe zwar eine leichte Steigerung der Geburtenzahlen, aber eben keine Trendwende. In Brandenburg seien 2015 nämlich 19 112 Kinder geboren worden, aber 30 000 Menschen gestorben. Jeder dritte Brandenburger werde 2030 über 65 Jahre alt sein. Zwar gebe es aktuelle Zuwanderung auch aus Berlin, das habe aber sehr eingeschränkte Auswirkungen auf die langfristige Entwicklung. „Dass jetzt ein säkularer Trend von einer seriösen Kraft wie der CDU angezweifelt wird, das verwundert mich schon.“ Die Reform sei aber auch aus finanziellen Gründen nötig, um künftig Daseinsfürsorge in dünnbesiedelten Regionen finanzieren zu können, dazu zählten Verkehrsverbindungen, Breitbandversorgung und die medizinische Versorgung. In ihrer Rede ging Nonnemacher auch auf die Bedenken und Widerstände gegen die Reform ein: „Gerade in alternden Gesellschaften werden Veränderungen des Status Quo als Bedrohungen empfunden.“
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Nachdem der Abgeordnete Peter Vida (Freie Wähler) Rot-Rot prophezeite, „ein Volksbegehren, ein Volksentscheid wird diese Reform stoppen“, legte Innenminister Karl-Heinz Schröter (SPD) los, der mit seinem Ministerium die Kreisgebiets- und Verwaltungsstrukturreform vorbereitet hat: „Wir machen das nicht aus Jux und Tollerei. Wir machen es nicht, weil wir damit Wählerstimmen erhaschen können. Wir tun es, weil es geboten ist.“ Er habe Verständnis für Reformmüdigkeit im Land. „Denn die einzige Konstante, die es in Brandenburg in den letzten 25 Jahren gab, war die Veränderung.“ Aber die Bevölkerung verändere sich dramatisch, die Reform werde die Verwaltung zukunftssicher machen. Und er knöpft sich die Union vor: „Sie hat der Mut und die Tapferkeit verlassen.“ Wer die Bevölkerungsentwicklung leugne, „der hat die Grundlagen vernünftiger Oppositionspolitik verlassen.“ Zugleich verwies Schröter darauf, dass in Sachsen bei der dortigen Kreisgebietsreform Einkreisungen geräuschlos verlaufen seien, von oben durchgezogen wurden, „aus die Maus“. In Brandenburg habe man dagegen auf breiten Dialog gesetzt.
Während die Debatte hin und her wogte, verfolgten von der Besuchertribüne Dietlind Tiemann, Holger Kelch, und Manfred Wilke alles, die Oberbürgermeister von Brandenburg an der Havel, Cottbus und Frankfurt an der Oder, die am stärksten von der Reform betroffen sind. Sie schüttelten die Köpfe, als etwa der SPD–Abgeordnete und frühere Innenminister Ralf Holzschuher zu erklären versuchte, warum er plötzlich nun doch der Reform samt Einkreisung seiner Heimatstadt – im Gegensatz zu früheren Aussagen – zustimmt. „Umfaller“, wird ihm der Abgeordnete Schulze vorhalten.
Brandenburgs Bürgermeisterin Tiemann: „Es war ein Trauerspiel“
Kurz nach 13 Uhr, Pause. Während die Abgeordneten in die Kantine strömen, machen die Oberbürgermeister ihrer Enttäuschung Luft. „Es war ein Trauerspiel“, sagt Dietlind Tiemann, sie kritisiert Woidke: „Wie will dieser Mann unser Land in die Zukunft führen, wenn er keinen Plan hat?“ Ihr Frankfurter Kollege Martin Wilke: „Oberflächlichkeit und Ignoranz haben gesiegt.“ Es sind die Verlierer dieses Tages. Aufgeben will keiner, im Gegenteil. „Es war eine verlorene Schlacht, aber noch nicht das Ende“, sagt Holger Kelch, der Cottbuser. Man bereite eine Verfassungsklage vor, stimme sich zum weiteren Vorgehen auch mit dem Städte- und Gemeindebund ab. Und dann eilen sie weiter, zu einer Pressekonferenz der CDU, auf der Fraktionschef Ingo Senftleben eine Volksinitiative gegen die Kreisgebietsreform ankündigt, Ziel sei ein Volksentscheid. Als das die Runde macht, twittert der Potsdamer Linke–Kreischef Sascha Krämer: „Na, das wird interessant.“
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