
© dpa/Klaus-Dietmar Gabbert
BER-Debakel: Start ins Ungewisse
Ein neuer Eröffnungstermin für den Hauptstadtflughafen ist nicht in Sicht Experten warnen vor einer weiteren vorschnellen Festlegung Die Länderchefs Wowereit und Platzeck stehen vor schweren Entscheidungen
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Selten war eine Aufsichtsratssitzung der Flughafengesellschaft so spannend wie am heutigen Mittwoch. Es geht um Köpfe und Termine. Das Gremium will sich erklären lassen, wie es zu dem Desaster mit der kurzfristigen Verschiebung der Eröffnung kommen konnte. Und es muss entscheiden, ob einer oder gar beide Geschäftsführer gehen müssen. Offen ist, ob sich die Aufsichtsräte überhaupt festlegen, wann der Flughafen in Schönefeld in Betrieb gehen soll. Die Sitzung soll um 15.30 Uhr beginnen. Das Ende ist offen.
ERÖFFNUNGSTERMIN
Vorschnell hatten der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit und Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (beide SPD) vor einer Woche den August als neuen Starttermin verkündet. Davon ist keine Rede mehr. Brandenburgs Landesregierung rechnet jetzt nach PNN-Informationen nicht mehr damit, dass der BER noch in diesem Jahr in Betrieb geht, zu groß seien die Probleme auf der Baustelle. Die meisten Fluggesellschaften wollen ohnehin nicht vor dem Ende des Sommerflugplans am 26. Oktober umziehen. Experten rechnen damit, dass der Verzug mittlerweile rund ein halbes Jahr beträgt, was einen Dezember-Termin ergäbe. Mitten im Winter den Flughafen zu wechseln, berge allerdings erhebliche Risiken, warnen die Fachleute. Gibt man dann noch Sicherheitszeitraum bis zur Eröffnung dazu, ist man schnell im März, wenn der nächste Sommerflugplan kommt. Außerdem sollen dann die beiden Pavillons am Terminal fertig sein, die nachträglich in die Planung aufgenommen wurden, um Platz für größere Kontrollanlagen zu schaffen, die für die Mitnahme von Flüssigkeiten erforderlich sind. Eine Abfertigung im Container, wie sie jetzt bei der für den 3. Juni geplanten Eröffnung vorgesehen war, würde dann entfallen. Und Platzeck hat sich bereits für eine Inbetriebnahme ohne Provisorien ausgesprochen.
STAND DER BAUARBEITEN
Der Rückstand beträgt nach PNN-Recherchen etwa ein halbes Jahr. Und zwar ohne Sicherheitspuffer. Das deckt sich mit dem letzten Controllingbericht der externen Projektüberwacher der Gesellschaft WSP/CBP vom 20. März 2012, der auf der Sitzung des Aufsichtsrates am 20. April beraten worden war. In dem dieser Zeitung vorliegenden 90-Seiten-Papier wird zwar bekräftigt, der Eröffnungstermin am 3. Juni sei gesichert. Das Alarmsignal einer roten Ampel („terminlich kritisch mit Auswirkung auf Inbetriebnahme“) findet sich nirgends. Zugleich wird mehrfach darauf hingewiesen, dass sich das Projekt in Schlüsselbereichen „auf dem kritischen Weg“ befindet, markiert mit gelben Ampeln („terminlich kritisch ohne Auswirkung auf Inbetriebnahme“). Besonders bei allen Technik-, Gebäude- und Brandschutzsystemen im Fluggastterminal war der Zeitverzug indes dramatisch und betrug mehrere Monate. Zitat: „Vor allem die Fertigstellung der Gebäudefunktionssteuerung, welche alle sicherheitsrelevanten Anlagen des Flughafens (u.a. der Brandmelde- und Entrauchungsanlage sowie der Zutrittskontrollen) miteinander verbindet und untereinander steuert, ist absolut kritisch und unterliegt daher einer sehr engen Steuerung und Koordination.“
BETRIEB IN TEGEL
So lange der „Willy-Brandt“-Flughafen in Schönefeld nicht läuft, muss Tegel die Hauptlast übernehmen. Auf jeden Fall ist gesichert, dass Berlins letzter Flughafen nicht schließt, bevor BER den Betrieb aufnimmt. In Tegel sollen nach derzeitigem Stand vor allem die Flüge von Air Berlin und der Lufthansa abgewickelt werden. Das wäre beinahe schief gegangen. Die Flughafengesellschaft hatte bei der Luftfahrtbehörde beantragt, für Tegel sowohl die Betriebspflicht als auch die Betriebsgenehmigung zum 3. Juni aufzuheben. Die bei der Stadtentwicklungsverwaltung angesiedelte Behörde hatte gezögert und wollte die Genehmigung erst ein halbes Jahr später zurücknehmen. Wäre sie umgehend dem Antrag gefolgt, wäre man vor dem Nichts gestanden. Eine Betriebspflicht könne schnell wieder auferlegt werden, sagte die Sprecherin der Verwaltung, Petra Rohland. Eine zurückgenommene Genehmigung könne dagegen nur in einem aufwendigen Verfahren erneut erteilt werden. Ein Großteil der Flüge hätte dann ausfallen oder auf andere Flughäfen verlagert werden müssen.
LUFTFAHRTAUSSTELLUNG ILA
Die vom 11. bis 16. September geplante Luftfahrtausstellung Ila kann auch ohne Inbetriebnahme des neuen Flughafens stattfinden und die neue Südbahn nutzen. Dies stellt nach Rohlands Angaben rechtlich keine vorzeitige Inbetriebnahme des Flughafens dar. Dies ist wichtig, denn spätestens ein halbes Jahr nach Inbetriebnahme des neuen Flughafens muss Tegel geschlossen werden. Stichtag sei die „funktionsmäßige Inbetriebnahme“, zu der auch das Abfertigungsgebäude gehöre. Starts und Landungen auf der Südbahn würden mit einer sogenannten Außenstartgenehmigung ermöglicht, für die keine als Flughafen ausgewiesenen Flächen erforderlich seien, heißt es.
FLUGHAFEN-MANAGER
Ob die Geschäftsführung ausgetauscht wird, hängt auch davon ab, ob auf die Schnelle geeignete Nachfolger gefunden werden können. Gerechnet wird damit, dass Manfred Körtgen, der für den Flughafenausbau zuständig ist, gehen muss. Auch vom Sprecher der Geschäftsführung, Rainer Schwarz, würden sich einige Aufsichtsräte gern trennen. Schwarz war von Wowereit nach Berlin geholt worden. Der damals für den Bau verantwortliche Geschäftsführer Thomas Weyer war danach zum Flughafen München gegangen. Dort betreut er jetzt den Bau eines dritten Terminals.
ROLLE DER ARCHITEKTEN
Das Architekturbüro gmp (Gerkan, Marg und Partner), das nach Ansicht der Flughafengesellschaft zu spät auf die Probleme hingewiesen hat, wies die Vorwürfe zurück. Man habe die Verpflichtungen „uneingeschränkt erfüllt“, teilte das Büro mit. An öffentlichen Spekulationen über Ursachen und Verantwortlichkeiten wolle man sich nicht beteiligen.
DIE GERICHTE
Nach der verschobenen Eröffnung des Flughafens prüfen Juristen Ansprüche auf Schadensersatz. Fluggesellschaften wollen ebenso ihre Zusatzauslagen ersetzt haben wie die Bahn oder die BVG, die ihre Fahrpläne nun anpassen müssen. Der Flughafen wird versuchen, Ansprüche gegen Planer geltend zu machen. Unabhängig davon verhandelt das Bundesverwaltungsgericht im Juli, ob der Planfeststellungsbeschluss für den Ausbau Schönefelds aufgehoben werden muss, weil dort andere Routen eingezeichnet waren als jetzt beschlossen worden sind. Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg (OVG) hat am Dienstag die Flughafengesellschaft verpflichtet, umfassende Einsicht in bisher unter Verschluss gehaltene Akten zu gewähren. Das teilte der Berliner Rechtsanwalt Philipp Heinze am Dienstag mit. Der Jurist vertritt die Bürgerinitiative gegen Fluglärm in Kleinmachnow (Potsdam-Mittelmark). „Wir sind extrem gespannt, welche Informationen wir in der Planungsgeschichte des Flughafens noch finden werden“, sagte Heinz. Konkret geht es den Fluglärmgegnern um die Korrespondenz des Flughafens mit Dritten wie der Deutschen Flugsicherung. Durch die schnelle Entscheidung des OVG bestehe jetzt die Chance, wichtige Fakten für die Klage gegen den Planfeststellungsbeschluss zu Tage zu fördern, mit der sich am 3. und 4. Juli das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig befasst. „Das ist das erste Mal, dass in Deutschland ein privatwirtschaftlich organisierter Flughafen gerichtlich zu einer umfassenden Akteneinsicht gezwungen wurde“, so Heinz. (mit alm)
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