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Unsaubere Geschäfte. Nicht alle Arbeitgeber zahlen Geringverdienern, was ihnen gesetzlich zusteht. Die Jobcenter wollen jetzt dagegen vorgehen.

© Kitty Kleist-Heinrich

Gehälter in Brandenburg: Subventioniertes Lohndumping

Im Niedriglohnland Brandenburg gehen die Behörden verstärkt gegen sittenwidrige Gehälter vor. Denn zu viele Arbeitnehmer brauchen Aufstocker-Geld. Bestes Beispiel ist die Uckermark.

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Potsdam/Berlin - Die Behörden in Brandenburg gehen verstärkt gegen Dumpinglöhne vor. Grund sind die steigenden Hartz-IV-Ausgaben für sogenannte Aufstocker, deren Einkommen nicht für den Lebensunterhalt reicht. Die Gewerkschaften begrüßen das Vorgehen, doch eine einheitliche Linie gibt es bislang nicht.

Einzelne Landkreise schreiten inzwischen mit voller Härte ein. Das Jobcenter Uckermark hat vor dem Arbeitsgericht Eberswalde den Betreiber eines Pizza-Lieferservices mit zwei Filialen in Prenzlau und Schwedt auf 11 000 Euro Schadensersatz verklagt. Vor Gericht aber zeigte der Unternehmer Anfang Juli kein Einsehen und wollte maximal 3000 Euro zahlen, deshalb kommt es wohl im September zum Urteilsspruch. Das Gericht deutete schon im Juli an, dass der Beklagte große Schwierigkeiten haben wird, eine plausible Erklärung für die niedrigen Löhne zu finden.

Die Behörde wirft dem Unternehmer vor, acht Angestellten sittenwidrige Löhne gezahlt zu haben und verlangt nun das an die Angestellten überwiesene Aufstocker-Geld aus der Staatskasse von dem Pizzahändler zurück. Nach Darstellung des Jobcenters sind den acht Angestellten Stundenlöhne von 1,50 und 2,50 Euro gezahlt worden. Das jedenfalls ergab ein Blick in die Arbeitsverträge. Drei Angestellte hatten Vollzeitjobs und sind mit 430 Euro im Monat nach Hause gegangen.

Und das ist kein Einzelfall. Nur musste die Behörde hier gegen die sittenwidrige Löhne bis vors Gericht ziehen. Sittenwidrigkeit liegt vor, wenn die Zahlungen unter zwei Dritteln der ortsüblichen Löhne liegen. Im Fall des Pizza-Lieferservices ist der Unterschied besonders krass. Der ortsübliche Vergleichslohn für Beiköche und Küchenhilfen liegt in der Uckermark laut Jobcenter bei 6,78 Euro die Stunde – statt der gezahlten 1,50 bis 2,50 Euro.

Im Dezember 2012 hatte der Kreistag Uckermark ein „Konzept zur Bekämpfung von Lohndumping“. Das Jobcenter wurde beauftragt, auffallend geringe Löhne von Aufstockern auf Dumping-Verdacht zu überprüfen und die Arbeitgeber in Regress zu nehmen. Auch der Zoll ist eingeschaltet und soll Leistungsmissbrauch aufdecken, seine Ermittlungsbefugnisse sind weitreichender als die des Jobcenters.

In der Uckermark zeigt sich ein grundsätzliches Problem Brandenburgs als Niedriglohnland besonders krass, das jahrelang mit seinen günstigen Bedingungen bei Unternehmen um Ansiedlungen und Jobs warb. Das Jobcenter des Kreises hat inzwischen einen verfestigten Kundenstamm von Arbeitnehmern, die im Vollzeitjob nur Dumpinglohn oder nur Mini-Jobs bekommen – und deshalb auf Leistungen zum Lebensunterhalt angewiesen sind, genannt Aufstockergelder nach den Hartz IV-Gesetzen oder auch Arbeitslosengeld II.

„Viele Erwerbstätige können von ihrer Arbeit nicht mehr leben. Das ist ein bundesweiter Trend, der sich auch in der Uckermark deutlich niederschlägt“, sagt Uckermark-Sozialdezernent Frank Fillbrunn. Ende 2012 hatte der Landkreis 122 000 Einwohner, davon waren 15400 erwerbsfähige Hartz-IV-Empfänger. Aber ein Drittel davon, genau 4800, hatten sogar einen Job. Die Kosten für den strukturschwachen Landkreis sind hoch. 2011 sind allein für Aufstocker 26,8 Millionen, darunter 13,1 Millionen Euro für Unterkunftskosten, gezahlt worden.

Brandenburgs Sozialminister Günther Baaske (SPD) hält das Vorgehen der Uckermark für vorbildlich. Landesweit sind mehr als 64 000 Menschen von insgesamt 191 000-Hartz-IV-Empfängern trotz Arbeit auf Aufstocker-Geld angewiesen. „Wer seinen Beschäftigten nur zwei, drei Euro die Stunde zahlt und darauf spekuliert, dass der Staat den Lohn mit Sozialleistungen aus Steuergeldern der Allgemeinheit aufstockt, muss mit Konsequenzen rechnen“, sagt Baaske. „Der Staat darf nicht länger Lohndumping von Unternehmen durch ergänzende Sozialleistungen subventionieren. Menschen, die Vollzeit arbeiten, müssen von ihrer Arbeit auch leben können. Gegen sittenwidrige Löhne muss schärfer vorgegangen werden.“

Auch in anderen, laut Sozialministerium aber wenigen der 14 Landkreise gehen Jobcenter gegen sittenwidrige Löhne vor. In Dahme-Spreewald wurden seit Jahresanfang 1480 Arbeitsverhältnisse von Aufstockern überprüft. Das Misstrauen schien berechtigt: In 280 Fällen gab es „einen Erstverdacht auf sittenwidrige Entlohnung“, sagt der Arbeitsagentur-Sprecher der Regionaldirektion Berlin-Brandenburg, Olaf Möller. Das Jobcenter Dahme-Spreewald schickte Zahlungsaufforderungen in Höhe von 60 000 Euro an die Arbeitgeber, 12 000 Euro davon wurden schon eingenommen. Auch im Barnim überprüfen die Behörden Verdachtsfälle. Bislang gab es dort aber keine Klageverfahren wie in der Uckermark. Ein einheitliches Vorgehen in Brandenburg gibt es im Gegensatz zu Berlin aber nicht. Dort wollen die zwölf Jobcenter jetzt eine gemeinsame Vorgehensweise erarbeiten, Senat und Arbeitsagentur vereinbarten schärfere Kontrollen.

Auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) weiß von drastischen Fällen von Lohndumping: etwa von einem Fahrer eines Postdienstleisters, dem ein Stundenlohn von drei Euro gezahlt werden sollte. In Berlin unterliefen selbst den Jobcentern Fehler. Ein Reinickendorfer Speditionsunternehmen suchte eine erfahrene Sekretärin und wollte dafür ein monatliches Gehalt zwischen 700 und 800 Euro bei einer Vollzeitbeschäftigung zahlen. Sittenwidrig nennt Regionaldirektions-Sprecher Möller die Offerte. Dennoch forderte das Jobcenter Reinickendorf Mitte Juli Arbeitslose in Briefen auf, sich auf die Stelle zu bewerben. „Das hätte nicht passieren dürfen“, sagt Möller. Die Sachbearbeiter waren zwar stutzig geworden, stellten den Job dann aber doch ins Internet. Nach einer Woche fiel der Fehler auf; das Angebot wurde gelöscht. Die betroffenen Arbeitslosen erhielten ein Entschuldigungsschreiben des Jobcenters.

Brandenburgs Sozialminister plädiert wegen der Dumpinglöhne für einen einheitlichen, gesetzlichen Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro. Jeder fünfte Vollzeitbeschäftigte in Brandenburg verdient weniger. Der Durchschnittslohn im Niedriglohnsektor liegt in Ostdeutschland bei 6,52 Euro, vor allem Frauen sind betroffen.

Richtig raus aus der Niedriglohn-Falle kommt der Landkreis Uckermark aber nicht. Zwar soll bei Arbeitgebern dafür geworben werden, Minijobs in versicherungspflichtige Beschäftigungen umzuwandeln. Auch die Vorgaben für die Hartz-IV-Zahlungen wurden verschärft. Sozialdezernent Fillbrunn sagt: „Das Jobcenter Uckermark wagt damit einen Vorstoß in Richtung existenzsichernde Beschäftigung.“ Tatsächlich gibt es kein Aufstocker-Geld mehr für Jobs, deren Entlohnung aus Sicht des Landratsamtes nicht existenzsichernd ist. Und das sei bei weniger als fünf Euro der Fall – allerdings brutto.

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