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Brandenburg: Surfen im Schnecken-Tempo

Schnelles Internet in Brandenburg ist nach wie vor keine Selbstverständlichkeit. Das soll sich ändern

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Potsdam - Viele Aufträge, mehr Überstunden – das freut Jens Fromm in seiner Firma für Computerservice in Langerwisch bei Michendorf. Gerne „klotzt er heftig ran“. Doch wenn ihn mal wieder das langsame Internet nervt, wenn er minutenlang warten muss, bis ein neues Anti-Virusprogramm für seine Kunden installiert ist, dann ärgert ihn die sinnlose Geduldsprobe. Überstunden wegen des Schnecken-Netzes? Nein danke. Seit zwanzig Jahren arbeitet Fromm in Langerwisch. Eine Übertragungsgeschwindigkeit von 6 Mbit pro Sekunde (Mbit/s) steht ihm dort nur zur Verfügung. Manchmal hat er schon überlegt, mit seiner Firma fortzuziehen. In eine Gegend mit leistungsfähigeren Anschlüssen.

Das will ihm Brandenburgs Wirtschaftsminister Ralf Christoffers (Linke) mit seinem Entwicklungskonzept „Brandenburg Glasfaser“ ersparen. Bis 2015/2016 sieht sein Plan vor, Brandenburg flächendeckend zu „verglasfasern“. Ob es derart rasch gelingt, aus einem lahmen Digi-Land einen Netz-Champion zu machen, bezweifeln aber Kritiker wie der Uckermärker CDU-Bundestagsabgeordnete und Internet-Experte, Jens Koeppen. Aus dessen Sicht kann das Ministerium „nicht halten, was es verspricht“.

Nach Christoffers Plänen sollen die Telekom und andere Firmen vor allem im ländlichen Raum zwischen Uckermark, Prignitz und Lausitz mehr als 1500 Kilometer Glasfaserkabel verlegen. Diese bieten im Vergleich zu herkömmlichen Kupferleitern oder Funksystemen eine erheblich größere Bandbreite. Es können weitaus mehr Daten pro Sekunde übertragen werden. Ziel des Mammut-Unternehmens ist ein Datentempo von 50 bis maximal 100 Mbit/s für bis zu 350 000 computermäßig unterversorgte Brandenburger Haushalte und Gewerbetreibende. Das ist in Städten wie Potsdam, Cottbus oder Berlin ein schon nahezu selbstverständlicher Standard. Problemlos kann man damit skypen, Videos streamen, Musikdateien und Software herunterladen, hochaufgelöste Fotos versenden, Strategiespiele spielen oder Videokonferenzen veranstalten.

Im Nordwesten und Nordosten Brandenburgs hat der Breitband-Ausbau, kombiniert mit VDSL Technik, vor sechs Monaten begonnen. In den Regionen Uckermark-Barnim, Oderland-Spree und Oberhavel-Prignitz kam die Telekom nach einer europaweiten Ausschreibung zum Zug. „Bei uns geht es gut voran“, sagt der Chef der Wirtschaftsförderung und „Breitband-Beauftragte“ des Landkreises Oberhavel, Jürgen Paul. Rund 10 000 Nutzer hätten bereits in Oberhavel-Prignitz das schnelle Internet erhalten. Für die südwestlichen Regionen Havelland-Fläming und Lausitz-Spreewald laufen die Ausschreibungen, welcher Bewerber das Rennen macht, ist noch offen. Rund 100 Millionen Euro will die Landesregierung in das gesamte Vorhaben investieren, es sind überwiegend EU-Gelder zur Wirtschaftsförderung.

Brandenburg hat dies dringend nötig. Für jeden Dritten ist dort das Internet noch eher ein Nadelöhr. Die Landkreise Elbe-Elster und Havelland liegen am weitesten zurück. Dort muss sich fast jeder zweite Nutzer mit 6 Mbit/s oder noch weniger begnügen. Die Verfügbarkeit des Netzes ist allerdings von Ort zu Ort höchst unterschiedlich. Digitaler Frust und Freude liegen eng beieinander. Auf Karten übertragen, ergibt das ein chaotisches Bild (s. Grafik). In aufgerüsteten Inseln wie Hennigsdorf, Hohen Neuendorf oder teils im Beelitzer Land macht Surfen seit langer Zeit Spaß, weil sich die Kommunen dort schon frühzeitig um gute Anschlüsse und Gelder der sogenannten GAK-Förderung bemühten. In Zehdenick oder Oranienburg sieht es hingegen nach Angaben der kreiseigenen Wirtschaftsförderung schlechter aus. Selbst im Berliner Speckgürtel gibt es noch Unterschiede. „Bisher hing das schnelle Internet meist von kommunaler Eigeninitiative ab“, sagen Experten. Brandenburgs landesweites Glasfaserprojekt soll diese digitale Kirchturmpolitik nun beenden.

Das freut den Sprecher der Industrie- und Handelskammer Potsdam (IHK), Marco Albrecht. „Umso rascher das Internet, umso besser der Wirtschaftsstandort“, sagt er – und zählt die vielen Klagen auf, die noch im Land zu hören sind. Wenn Arzthelferinnen minutenlang warten, bis ein Rezept ausgedruckt ist, Architekten ihre Entwürfe, Handwerker ihre Angebote nicht rasch digital austauschen können, Studenten bei Recherchen ausflippen oder Mütter nicht zu Hause im „Home-Office“ arbeiten können, obwohl ihre Firma damit einverstanden wäre. Manche Unternehmen lösen ihr Computerproblem, indem sie auf die sogenannte SDSL-Technik setzten. Diese speziell für Großkunden entwickelte Alternative garantiert hohe Datenleistungen – unabhängig vom üblichen Netz. Sie ist aber bis zu zwanzigfach teurer. Auch deshalb begrüßt der Hotel- und Gaststättenverband (Dehoga) den märkischen Glasfaser-Quantensprung: „Wir brauchen das dringend.“

Wie geht die Telekom technisch vor? Die Glasfaserkabel werden unterirdisch in Rohren verlegt und enden in Tausenden Verteilerkästen in der Nähe von Gehöften, Ansiedlungen oder Straßen. Von dort führen klassische Kupferkabel zu den einzelnen Nutzern. Aus Sicht von Kritikern sind diese Schnittstellen „der Schwachpunkt“. Dort könne der Traum von der schönen neuen digitalen Welt schon zu Ende sein. Denn die Übertragungsrate von Daten nimmt in Kupferkabeln rapide ab. Einige hundert Meter Länge bringen schon hohe Verluste. In der Stadt sind diese letzten Brückenschläge kurz, in ländlichen Gegenden aber ist es aus Kostengründen kaum möglich, die Glasfasern an alle teils weit auseinanderstehenden Gebäude nah heranzuführen. Ein Kilometer Glasfaserstrecke kostet mehr als 50 000 Euro.

Bei Land und Telekom vermisst der CDU-Bundestagsabgeordnete Jens Koeppen „den Willen, dieses Problem verbraucherfreundlich zu lösen“. Aus seiner Sicht sollten die Verantwortlichen auch alternative Lösungen wie Richtfunk erwägen. Dem widerspricht das Wirtschaftsministerium. Man habe das Problem Kupferkabel „im Griff“, heißt es. „Der Datenfluss werde darin abschnittsweise mit bestimmten neuen Techniken so weitgehend verstärkt, „dass beim Kunden noch mindestens 50 Mbit/s möglich sind.“ Im Übrigen sei man „voll im Zeitplan“.

Computerfachmann Jens Fromm in Langerwisch misstraut diesen Versprechen. Er hat die Telekom jüngst gefragt, ob auch für seine Servicefirma bald mehr als 6 Mbit/s drin seien. Das wurde verneint. Sein Haus sei zu abgelegen.

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