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Brandenburg: Tempel der Nützlichkeit

Auf dem Bärwinkel bei Neuhardenberg steht Schinkels frühestes Bauwerk. 1802/03 wurde das Molkenhaus nach den Entwürfen des damals 21-Jährigen errichtet. Derzeit wird das Erstlingswerk des preußischen Stararchitekten von einem Förderverein restauriert

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Bärwinkel - Jedes Genie fängt irgendwann mal an. Karl Friedrich Schinkel, Preußens Stararchitekt des 19. Jahrhunderts, derzeit im Berliner Kupferstichkabinett mit einer großen Ausstellung gewürdigt, begann seine Karriere am Rand des Oderbruchs. Auf dem Bärwinkel, ein paar Kilometer vom wesentlich bekannteren Schinkel-Ort Neuhardenberg entfernt, wurde 1802/03 nach Entwürfen des 21-jährigen Schinkel das Molkenhaus errichtet. Es diente nicht nur der Butter- und Käseherstellung, sondern war ein Mehrzweckbau, in dem ein Verwalter wohnte und die feinen Herrschaften bei ihren Landpartien Milch genießen konnten.

Das Gebäude, errichtet aus Ziegeln und dem regional verbreiteten Raseneisenstein, erhielt die Gestalt einer dreischiffigen romanischen Basilika: ein Tempel der Nützlichkeit, umgeben von einem kleinen englischen Landschaftspark. In England nannte man die zugleich zweckdienlichen und schönen Mustergüter der Spätaufklärung ornamented farm. Und ornamentiert, geschmückt, ist auch diese steingewordene kleine Verrücktheit auf märkischem Sand: Rundbogige Fenster, pfeilerförmige Wandvorlagen und eine feine Massenverteilung erheben das Molkenhaus zum Produkt höherer Baukunst.

Schinkels frühestes Bauwerk, das der Großarchitekt in späteren Lebensjahren noch gelten ließ, war Mittelpunkt eines Vorwerks vom Gut Neuhardenberg, das damals noch Quilitz hieß. Eine Sichtachse, erst kürzlich wiederentdeckt, verbindet das Molkenhaus mit dem Neuhardenberger Kirchturm. Die Gesamtplanung der in ansehnlichen Teilen bis heute erhaltenen Anlage stammt aus dem Atelier von David und Friedrich Gilly. Der junge Schinkel sammelte im seinerzeit besten Architekturbüro Preußens erste Erfahrungen und übernahm nach dem frühen Tod von Friedrich Gilly die Entwurfs- und Bauleitung auf Bärwinkel ganz.

Wer von der schnurgeraden, von Pappeln gesäumten Landstraße von Neuhardenberg nach Letschin abbiegt und sich dem Molkenhaus und seinen leerstehenden oder inzwischen zum Wohnen genutzten Ställen nähert, spürt sofort die verwunschene Magie des Ortes – auch ohne zu wissen, dass man es hier mit den Anfängen eines großen Künstlers und dem frühesten neoromanischen Bauwerk auf dem europäischen Festland zu tun hat. Es ist ein merkwürdiger Schwebezustand zwischen gebremstem Verfall und begonnener Wiederherstellung.

Seit 2006 kann das Molkenhaus in den Sommermonaten besichtigt werden. Das zweite Leben des architektonischen Erstlings verdankt sich dem Förderverein Bärwinkel e.V. Ohne den rührigen Verein wären die beträchtlichen Fördermittel des Bundes, des Landkreises Märkisch-Oderland, der regionalen Sparkasse und der Hamburger Hermann-Reemtsma-Stiftung nie geflossen. Mit ihrer Hilfe konnten vor wenigen Wochen die denkmalgerechte Sanierung zweier Fassaden und die moderne Wiederherstellung einer im Original verlorenen dritten in rostrotem Corten-Stahl abgeschlossen werden.

Rückgebaut wurden gleichzeitig die entstellenden Umbauten des späten 19. Jahrhunderts. Als man das Molkenhaus mit Stuckelementen aus dem Katalog verunziert und in Wohnungen aufgeteilt hat. Im nördlichen Seitenschiff des Gebäudes wohnt noch eine Familie. Es ist klar, dass sie ausziehen muss, bevor das Molkenhaus fertig saniert und komplett öffentlich genutzt werden kann. Dem Förderverein ist es gelungen, diese Nachbarn für ihr Anliegen zu gewinnen: Die Familie Troschke wäre bereit, Wohnung und Grundstück zu tauschen und in den benachbarten Stall zu ziehen, den der Förderverein erworben hat und ausbauen möchte.

Die kleine Ausstellung, die seit 2006 im Molkenhaus zu sehen ist, betreut Maik Troschke im Auftrag des Vereins schon jetzt. Ein Verbündeter vor Ort. Hier scheint sie zu gelingen, die Annäherung zwischen Stadt und Land, Ost und West, deren Scheitern so vielen anderen gutgemeinten Kulturinitiativen in Brandenburg zum Verhängnis geworden ist.

Den nächsten großen Schritt bei der Revitalisierung von Bärwinkel verzögert derzeit allerdings das Landesamt für Ländliche Entwicklung, Landwirtschaft und Flurneuordnung (LELF) mit seinem regional zuständigen Dienstsitz in Fürstenwalde. Dort stellte Frank Augustin, Berliner Architekt, erfahrener Denkmalsanierer und Vereinsvorsitzender, im November 2011 einen Förderantrag im Rahmen des ILE/Leader-Programms. Das vom Land kofinanzierte EU-Förderprogramm für ländliche Strukturentwicklung ist derzeit das einzige Förderinstrument für Denkmalpflege im ländlichen Raum in Brandenburg und leider fachfremd beim Landwirtschaftsministerium ressortiert.

Augustins Antrag wurde im Juli dieses Jahres abgelehnt, mit zum Teil sachlich falschen Argumenten, wie der Vereinsvorsitzende findet. Augustin ist sich sicher: „Dort will man unser Projekt nicht.“ Und das, obwohl die Gesamtinvestitionssumme von 1,5 Millionen Euro vor allem spezialisierten Handwerksbetrieben der Region zugute kommen würde. Landrat Gernot Schmidt (SPD), der Bundestagsabgeordnete Hans-Georg von der Marwitz (CDU) und der neue Landesdenkmalpfleger Thomas Drachenberg unterstützen das Vorhaben ausdrücklich. Noch im Juli hat der Förderverein Widerspruch eingelegt, auf eine sachliche Auseinandersetzung wartet man bis heute.

Ziel des Vereins bleibt der Wiederaufbau des nordwestlich ans Molkenhaus angrenzenden Rinderstalls, der im Kern noch der Bauphase von David und Friedrich Gilly angehört. Untergebracht werden soll dort nicht nur die Ersatzwohnung für die derzeitigen Molkenhaus-Bewohner, sondern auch ein kleiner Vortrags- und Veranstaltungssaal, den der Förderverein zusammen mit der Stiftung Schloss Neuhardenberg bewirtschaften will. Bernd Kauffmann und sein ambitioniertes Neuhardenberger Programm garantieren höchste Veranstaltungsqualität.

Bleibt es beim negativen Förderbescheid, wird der Verein zunächst in kleineren Schritten weiterdenken müssen. Ende August bewilligte der Bundestag 90 000 Euro aus dem Denkmalschutz-Sonderprogramm III des Bundesbeauftragten für Kultur und Medien (BKM). Aber auch die Hermann-Reemtsma-Stiftung ist erneut bereit, Bärwinkel mit einer Spende zu unterstützen. Und auch die Deutsche Stiftung Denkmalschutz ist diesmal mit einer Förderung des Projekts dabei.

Für einen kleinen Verein sind das ansehnliche Erfolge – gleichwohl zum Bauen zu wenig, zum Aufgeben zu viel. Doch aufgeben will man nicht. Der Freundeskreis Schlösser und Gärten der Mark unterstützt am 19. Oktober Bärwinkel: mit einem Benefizkonzert der Pianistin Corinna Simon im Schloss Charlottenburg, für das Brandenburgs Kulturministerin Sabine Kunst (parteilos) die Schirmherrschaft übernommen hat.

Dem Bürger und Staatsdiener Schinkel hätte das gefallen: Selbstbewusste Bürger machen sich gegenüber ihrer Verwaltung für ihr kulturelles Erbe stark. In seiner Denkschrift „Über die Erhaltung aller Denkmäler und Alterthümer unseres Landes“ warnte Schinkel 1815 eindringlich vor einer Zukunft, in der durch staatliche Untätigkeit „wir in kurzer Zeit unheimlich, nackt und kahl, wie eine neue Colonie in einem früher nicht bewohnten Lande dastehen.“

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