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Von Christoph Stollowsky: Trauern, Spenden und Appelle

Mitgefühl mit Japan: Berliner legten Blumen nieder und demonstrierten, Japan baute auf der ITB ab, Platzeck fordert den Atomausstieg, Andacht im Dom

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Berlin/Potsdam - Sie haben sich rote oder weiße T-Shirts übergezogen und versammeln sich am Neptunbrunnen vor dem Roten Rathaus in Berlin „um die japanische Flagge zu zeigen“. Wer Rot trägt, bildet den Kreis in der Mitte, die weiß Gekleideten stellen das Rechteck drumherum dar. Es ist eine Flashmob-Aktion von rund 100 meist jungen Leuten, die sich für Sonntagnachmittag im Netz per Facebook und Mails verabredet haben.

Wegen der Furcht vor dem explodierten Atomkraftwerk in Fukushima gerate die humanitäre Katastrophe nach dem Beben völlig aus dem Blick, stand im Aufruf zur Aktion. Mit dem Bild der Flagge wollten die Teilnehmer „an die Schicksale der Opfer erinnern“ und zu Spenden aufrufen. Dennoch trugen viele Teilnehmer auch Anti-Atomkraft-Buttons angesteckt.

Anderswo in Berlin wurde am Sonntag ebenfalls deutlich: Das Geschehen in Japan bewegt die Menschen auf zweierlei Weise. Es gibt eine immer breitere Anteilnahme, zugleich aber schürt es die Ängste vor der Atomkraft neu. Vor der japanischen Botschaft Ecke Tiergarten-/Hiroshimastraße versammelten sich angesichts der dramatischen Nachrichten mehr Berliner als an den Vortagen und gedachten der Katastrophenopfer.

Viele waren auf dem Weg zu einem Märzspaziergang im nahen Tiergarten. Sie stellten Sträuße am Eingang ab, Bonsai-Bäumchen, knospende Kirschzweige und legten gefaltete Papierkraniche dazwischen – in Japan ein Symbol für Glück und Langlebigkeit.

In Potsdam kam es im Babelsberger Karl-Liebkecht-Stadion zu einer kleinen – aber eben feinen Geste: Bundespräsident Christian Wulff (CDU) war mit seiner Frau Bettina ins „Karli“ zum letzten Saisonspiel der Fußballerinnen vom FFC Turbine Potsdam gekommen. Als Wulff den Potsdamerinnen, die sich den Meistertitel holten (Regionalsport), die Medaillen übergab, umarmte er eine Spielerin: die Japanerin Yuki Nagasato. Wie in allen Bundesligastadien hatten auch die Potsdamerinnen vor dem Spiel der Opfer in Japan mit einer Schweigeminute gedacht.

Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) hatte schon am Freitag Mitgefühl geäußert – besonders mit der brandenburgischen Partnerregion Saitama. Am Sonntag dann forderte er angesichts des Atomunglücks eine Rücknahme der Laufzeitenverlängerung für die deutschen Atommeiler: „Es reicht nicht, lediglich die Sicherheit der Kernkraftwerke in Deutschland zu überprüfen.“ Auch seine Umweltministerin Anita Tack (Linke) forderte, die Laufzeitverlängerung sofort zurückzunehmen.

Der Regierende Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit (SPD), sagte am Sonntag: „Die Nachrichten aus der Region haben uns erschüttert.“ Am Samstag hatte bereits Renate Künast, Spitzenkandidatin der Berliner Grünen für die Abgeordnetenhauswahl, die kleine Gedenkstätte an Japans Botschaft besucht und einen Strauß Chrysanthemen abgelegt.

Während sich in Berlin am Samstag die Flaneure Unter den Linden tummelten, saßen unter der Kuppel des Berliner Doms nur knapp 60 Menschen in den Bänken, als die Orgel zu „Aus tiefster Not ruf ich zu Dir“ ansetzt. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz hatte zu einer Gedenkandacht für die Opfer des Erdbebens eingeladen. Bischof Markus Dröge sprach von der Angst vor der Atomkatastrophe. „Fragen verfolgen uns, auf die es keine Antwort gibt“, sagte der Bischof. Nach der Andacht zündeten die Menschen im Dom noch eine Kerze zum Gedenken an die Opfer an. Auch eine vierköpfige japanische Familie war darunter. Der sichtlich erschütterte Vater berichtete, dass die Erdstöße die Kornkammer seines Heimatlandes getroffen haben. Auch Arnaul Verite, Touristin aus Frankreich, ist gekommen: „Ich wollte in den Gottesdienst gehen, um in dieser Situation mit anderen Menschen zusammen zu sein“, sagt sie. Im Internet habe sie gesucht, ob es nicht auch einen katholischen Gedenkgottesdienst gebe, aber nur die Andacht im Berliner Dom gefunden.

Das Beben überschattete auch die Internationale Tourismusbörse (ITB). Am Samstagvormittag noch verteilten sie am Japanstand emsig Prospekte mit Hochglanzfotos des Kiyomizu-Tempels in Kyoto oder des Fuji-Vulkanes: Business as usual. Doch um die Mittagszeit hielt das Team diesen Einsatz nicht mehr durch. Gegen 13 Uhr bauten die Japaner ihren Informationsstand ab und traten den Heimweg an. Messeleitung und Messebummler zeigten „volles Verständnis“. Ohnehin hatten schon seit Freitag zahlreiche Besucher ihr Mitgefühl zum Ausdruck gebracht.

Am Samstagabend dann zogen in Berlin mehrere Hundert Atomkraftgegner vom Alexanderplatz über die Allee Unter den Linden durchs Brandenburger Tor bis zum Bundeskanzleramt, in dem Kanzlerin Angela Merkel (CDU) zur gleichen Zeit ein Krisentreffen leitete. „Abschalten sofort“ und „Fukushima ist überall“ riefen die Protestler. Die Ereignisse in Japan erfüllten die Menschen „mit Trauer und Schrecken“, hieß es. Die Demo initiiert hatten das Anti-Atom-Bündnis Berlin und die Piratenpartei. Nach Angaben der Polizei verlief die Kundgebung friedlich.

Im Rahmen einer bundesweiten Aktion aller Anti-Atomkraft-Initiativen ruft das Berliner Bündnis für den heutigen Montag ab 17 Uhr zu einer weiteren Mahnwache vor dem Bundeskanzleramt auf. Man wolle dafür streiten, dass alle Akws endlich abgeschaltet werden, heißt es.

Dass man zur Solidarität mit Japan erst mal kaum mehr braucht als einen Klapptisch, gut erhaltene Barbies oder Legos zum Secondhand-Verkauf und eine Geldbüchse, zeigten am Sonntagvormittag Kinder am Berliner Sony-Center. Sonja, Leo und Lena, Fünftklässler aus Berlin-Moabit, hatten dort ihren Stand aufgebaut. Die Einnahmen wollten sie später dem Pförtner der nahen Japanischen Botschaft überreichen. (mit las und pet)

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