Brandenburg: Und der RBB fährt Musikantendampfer
Während der RBB in Berlin sein Zehnjähriges feierte, kämpften in Brandenburg Tausende gegen die Fluten. Für sie war im Tagesprogramm kaum Platz. Und nachdem am Sonntag die Polder geflutet und Teile Wittenberges evakuiert wurden, war Zeit für eine Dampferfahrt – auf der Ostsee. Den Gebührenzahlern bleibt das Internet und Privat-TV
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Potsdam - Oliver Jacobasch kann sich noch gut an das Jahr 2002 erinnern: „Abends hat man im Fernsehen die Zusammenfassung vom Tage gesehen“, sagt der Feuerwehrmann aus Lauchhammer. Vor einer Woche hat er die „Hochwasser Info Brandenburg“ beim Netzwerkportal Facebook eingerichtet – und die entwickelt sich gerade zur zentralen Informationsplattform für vom Hochwasser Betroffene, Helfer und Anwohner von gefährdeten Gebieten im Land. „Wir haben diesmal Rekordwerte, aber das Fernsehen berichtet genauso wie damals“, sagt Jacobasch. Eigentlich noch weniger. „Genau diese Lücke habe ich entdeckt, denn man wird als Bürger nicht wirklich vom Fernsehen informiert“, sagt der 28-Jährige – bei ihm gibt es den ganzen Tag aktuelle Informationen. Die Lücke, die er meint besetzt zu haben, lässt der TV-Heimatsender der Region, der RBB.
Jacobasch ist nicht der einzige, der sich von der regionalen Anstalt des öffentlich- rechtlichen Rundfunks schlecht informiert fühlt in diesen Tagen. RBB-Intendantin Dagmar Reim bekam deshalb schon Post von aufgebrachten Brandenburgern. Denn während Tausende Menschen seit Tagen in mehreren Bundesländern gegen die Fluten kämpften, feierte der RBB am Samstag in Berlin mit 80 000 Besuchern ein Fest zum zehnjährigen Bestehen des Senders und vernachlässigte dabei – so der Vorwurf – die Berichterstattung über das Hochwasser, über die Menschen, Helfer, Evakuierten und die neuen Rekordpegel an der Elbe nach dem Hochwasser 2002. Keine Live-Schaltung am Tag zu der Flutung der Polder, keine Sondersendung am Tage über die Lage an den gefluteten Poldern oder ins bedrohte Wittenberge.
Als die Prignitzer Behörden am Wochenende verzweifelt Helfer suchten, die Sandsäcke füllen und mit ihren Wagen zu den Deichen transportieren, machte der RBB einfach seine Sause.
„Leider ist in diesen Tagen eine Grundversorgung bei Ihnen nicht erkennbar“, heißt es in einem Brief an Intendantin Reim. Der Verfasser verweist ausdrücklich auf den MDR, der sich schnell von seinem üblichen Programmschema verabschiedet hat und Sondersendungen zeigt. Selbst der private Nachrichtenkanal N-TV habe am Sonntag stündlich aus Wittenberge berichtet. Währenddessen „schlafen Ihre Mitarbeiter offenbar ihren Partyrausch aus“, heißt es in dem Brief an RBB-Intendantin Reim.
Tatsächlich gab es zum Hochwasser beim RBB am Sonntag die übliche Nachrichtensendung Brandenburg Aktuell ab 19.30 Uhr und ab 20.15 Uhr eine Viertelstunde lang „RBB spezial“. Danach lief, wie im Programm lange geplant und trotz des Hochwassers, ausgerechnet der „Musikantendampfer“ mit Maxi Arland aus. „Der sympathische Sänger und Entertainer hat eine bunte Mannschaft angeheuert, und die wird das Schiff schon schaukeln“, hieß es in der Ankündigung. In dem Brief an Reim ist von „unpassendem Müll“ die Rede. „Wenn Sie es nicht besser können, dann übernehmen Sie einfach das Programm vom MDR“, schreibt der empörte Gebührenzahler.
Ein Blick zur Drei-Länder-Anstalt MDR zeigt, dass es auch anders geht. Dort gibt es auch im Fernsehn tagsüber regelmäßige Nachrichten zum Hochwasser, und ein deutlich ausgeweitetes Online-Angebot. Am Sonntagabend stemmte der Sender gleich einen Spendenabend, ab 20.15 Uhr lief „Gemeinsam gegen die Flut“, mit dabei auch viel Immer-noch- oder DDR-Prominenz: Peter Maffay, Katharina Witt, Henry Maske, Frank Schöbel, Silly, Puhdys, Sebastian Krumbiegel, Peter Escher, Florian Silbereisen, Gunther Emmerlich. Bis Mitternacht kamen so fast 3,6 Millionen Euro zusammen.
„Seitdem sich abzeichnete, dass auf die Menschen in Mitteldeutschland erneut eine große Flutkatastrophe zukommen könnte, hat sich der gesamte MDR darauf eingestellt, sein Programmangebot der Situation anzupassen“, sagte eine Sendersprecherin. „Das Interesse der Hörer, Zuschauer und Internet-Nutzer an schnellen, seriösen und umfassenden Informationen zur aktuellen Situation war und ist weiterhin sehr groß.“ Die Berichterstattung wurde massiv ausgeweitet, Fragen zu Schutzmaßnahmen werden beantwortet, Analysen möglicher Folgen geliefert, Betroffene und Hilfskräfte selbst bei den Aufräumarbeiten begleitet. Im Internet gibt es beim MDR sogar eine Hilfsdatenbank. „Alle Programmanstrengungen haben sich darauf gerichtet, die Menschen im Sendegebiet umfassend, schnell und seriös zu informieren“, sagt die Sprecherin. Auch tagsüber gibt es Sondersendungen, andere Formate, selbst Kultursendungen befassen sich mit Hochwasser.
RBB-Sprecher Justus Demmer sagte: „Unsere Linie ist, dass wir nach Aktualität entscheiden. Und das dramatischste der Geschehnisse hat sich eindeutig im Sendegebiet des MDR abgespielt.“ Deshalb habe man auch auf die Verhältnismäßigkeit der Berichterstattung zu achten. „Wir wollen auch keine Dramatisierung befördern. Je nachdem, wie sich die Lage entwickelt, werden wir im Programm darauf reagieren“, erklärte der RBB-Sprecher. Zudem berichte der RBB mit seinen Radiosendern und im Internet ausführlich über das Hochwasser. Nur: Weite Teile Brandenburgs haben kein schnelles Internet.
Am schnellsten ist aber immer noch Feuerwehrmann Oliver Jacobasch. Der Lkw-Fahrer, der in Lauchhammer bei der freiwilligen Feuerwehr mitmacht, war eigentlich an die Hochwasserfront beordert worden. Doch dann wurde er krank, wollte helfen und baute seine Facebook-Seite auf. Er ist bestens vernetzt mit Helfern von Feuerwehren, Technischem Hilfswerk und Bundeswehr. „Von denen bekommen wir die Infos“, sagte Jacobasch. „Und wir überprüfen jede Information, direkt bei der technischen Einsatzleitung vor Ort und den Bürgertelefonen.“ Den Deichbruch in Fischbeck in der Nacht zu Montag, der auch das Havelland bedroht, meldete Jacobasch in der Nacht als Erster. Erst eine Stunde später kam die offizielle Mitteilung der Behörden. Die Zahl der Leser der Hochwasser-Seite steigt rasant, darunter viele, die genau wissen wollen, ob sie ihre Häuser zur Sicherheit besser verlassen sollten. „Bricht ein Damm, dann weiß ich es zehn Minuten später“, sagt Jacobasch.
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