Brandenburg: Verfassungsschutz: Neonazis als Kickboxer Jahresbericht des Brandenburger Geheimdienstes warnt vor „rechtsextremer Kampfsportszene“
Potsdam - Neonazis in Brandenburg unterwandern Kampfsport-Vereine. Vor diesem neuen Trend warnt der aktuelle Verfassungsschutzbericht für das Land, den Innenminister Dietmar Woidke (SPD) am Donnerstag in Potsdam vorstellte.
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Potsdam - Neonazis in Brandenburg unterwandern Kampfsport-Vereine. Vor diesem neuen Trend warnt der aktuelle Verfassungsschutzbericht für das Land, den Innenminister Dietmar Woidke (SPD) am Donnerstag in Potsdam vorstellte. „Es wird versucht, Kampfsport als Plattform für rechtsextreme Agitation zu nutzen“, sagte Verfassungsschutzchefin Winfriede Schreiber. „Es geht ihnen darum, sich selbst zur Waffe zu formen und diese auch einzusetzen.“ In Brandenburg, so der Befund, habe sich bereits ein „rechtsextremistisches Kampfsportmilieu herausgebildet“. Die Behörde sei die erste bundesweit, die mit einem eigenen, zehn Seiten starken Kapitel im Jahresbericht auf die „außerordentlich gefährliche Entwicklung“ aufmerksam mache. Es gebe zudem Verbindungen vom Kampfsport zur Türsteherszene und „punktuell“ auch zum Wachgewerbe.
Der Kampfsport-Run fügt sich in das weitere Erstarken der militant-radikalen Neonazi-Szene ein, die mittlerweile 416 Aktivisten umfasst, 30 mehr als im Vorjahr. Die Sicherheitsbehörden beobachten das aus aktuellem Anlass sehr genau. „Wir können nicht ausschließen, dass Militanz in Terror umkippt“, sagte Schreiber. Bislang habe man aber keine Erkenntnisse, dass es für die Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) im Land ein Unterstützernetzwerk gegeben hat. Dem Zulauf der Neonazi-Szene steht der anhaltende Niedergang der NPD gegenüber, die „auf verlorenem Posten“ kämpft, sagte Schreiber. Die einzige rechtsextreme Partei Brandenburgs sei auf 350 Mitglieder geschrumpft, habe vom Ende der DVU nicht profitieren können. Allerdings sei die „Nazifizierung der NPD unverkennbar“, so Woidke. Von „inneren Verschiebungen“ abgesehen ist das rechtsextreme Potenzial in Brandenburg laut Verfassungsschutz mit 1150 Personen „nahezu unverändert“.
Dass Neonazis nach „Hassmusik“, Fußball, Internet-Netzwerken und neuen Aktionsformen wie Fackelzügen nun die Kampfsportszene entdecken, ist kein Zufall. Sie hat sich auch hier erst in den letzten Jahren stärker entwickelt, meist in Initiativen, unterhalb klassischer Vereine. Kickboxen-Schaukämpfe „Fight-Nights“ sind gut besucht, mit einigen Hundert, manchmal bis Tausend Gästen. Dabei knüpfe man daran an, sagte Schreiber, dass es in in der Neonazi-Szene, „eine hohe Affinität zum Körperkult“ gebe, man lehne sich zudem bewusst an die Ästhetik des Nationalsozialismus an.
Als ein konkretes Beispiel nennt der Bericht den „semiprofessionellen“ Cottbuser Kickboxer Markus Walzuck, einen bekannten Hooligan und Rechtsextremisten, der bei Turnieren mit Musik der rechtsextremistischen Band „Blitzkrieg“ als „nationalrevolutionärer Krieger“ aufläuft. Und das neonationalsozialistische Netzwerk „Widerstand Südbrandenburg“ in der Lausitz, einem Schwerpunkt von Szene-Aktivitäten im Land, organisiert danach regelmäßig wie konspirativ „nationale Kampfsporttage“: Für die werde über das einschlägige Internet-Szeneportal „Spreelichter“ Werbung gemacht, mit eingeblendeten klaren ideologischen Botschaften: „Ein Kampf als körperliches Kräftemessen repräsentiert mehr als lediglich einen sportlichen Wettstreit junger Männer. Er ist Ausdruck eines inneren Dranges, eines Empfindens, welches uns zu anderen macht.“
Trotz der unverminderten rechtsextremen Gefahr hält Woidke am Personalabbau beim Verfassungsschutz fest, der von derzeit 107 bis zum Jahr 2014 auf 90 Mitarbeiter verkleinert werden soll. Diese Sparpläne, die noch auf seinen Vorgänger Rainer Speer (SPD) zurückgehen, stoßen weiter auf heftige Kritik – insbesondere bei der CDU- und FDP-Opposition im Landtag.
Keine Abstriche soll es jedenfalls, so betonte Woidke, am in Brandenburg entwickelten, von anderen Ländern übernommenen Präventionsprogramm „Verfassungsschutz durch Aufklärung“ geben, bei dem die Geheimdienstler mit einem Infomobil, Vorträgen und Broschüren durchs Land touren. Dass dies vom Linke-Koalitionspartner als angebliche Konkurrenz zur Landeszentrale für politische Bildung in Frage gestellt wird, ist für den Innenminister unverständlich: „Das geht ziemlich daneben“, sagte Woidke. „Die Praxis spricht eine andere Sprache.“
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