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Brandenburg: „Vergangenheitspolitische Friedhofsruhe bis 2009“

Im Umgang mit SED-Diktatur, Staatssicherheit und der Vergangenheit vor 1989 haben alle Parteien in Brandenburg Versäumnisse. Bislang standen SPD und Linke unter Druck. Nun richtet ein neues Gutachten für die Enquete-Kommission des Landtages auch den Blick auf die heute oppositionellen CDU, Grüne und FDP. Auch dort, so lautet eine Empfehlung, ist offene Aufarbeitung nötig.

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Brandenburgs Christdemokraten haben sich seit dem Fall der Mauer völlig unzureichend mit der eigenen Rolle als Blockpartei vor 1989 in der SED-Diktatur auseinandergesetzt - bis heute. Und die Partei agierte nach 1990 im Umgang mit früheren „Altlasten“ in den eigenen Reihen, wie auch gegenüber früheren SED-Mitgliedern oder der Linkspartei - etwa bei Bündnissen auf kommunaler Ebene - oft eher taktisch denn prinzipiell. Das sind brisante Befunde des Berliner Historikers Christoph Wunnicke zur brandenburgischen CDU, die sich derzeit als Vorreiter zur Aufklärung von „SED- und Stasi-Filz“ im Land zu profilieren versucht. Konstatiert wird im Gutachten aber, dass sich die Union spätestens mit dem Parteiausschlussverfahren gegen den damaligen Landtagsabgeordneten Klaus Häßler im Jahr 1997 nach Bekanntwerden seiner informellen Stasi-Mitarbeit als „Gesamtpartei sukzessiv“ auf einen klaren „Anti-Stasi-Kurs“ festgelegt habe, an dem sie bis heute festhält. Und auch, dass es in der Landtagsfraktion seit 2009 und im Landesvorstand keine früheren Blockpartei-Mitglieder mehr gibt.

Doch im selbstkritischen offenen Umgang mit der eigenen Geschichte herrscht laut Gutachten - in dem in einer Fußnote zudem eine „ausbleibende Zuarbeit“ der CDU für das Gutachten kritisiert wird - bei der Union eindeutig Fehlanzeige. „Die Bundes CDU wie auch ihr Landesverband Brandenburg haben sich 20 Jahre nach der Deutschen Einheit nicht vollumfänglich um die Aufarbeitung der Geschichte der DDR-CDU in den letzten Jahrzehnten der DDR bemüht“, heißt es etwa wörtlich. Die Rede ist auch von „Desinteresse.“ Ehemalige Blockparteipolitiker, „können in der brandenburgischen CDU mit Verständnis für ihre Rolle in der DDR rechnen.“ Andererseits werde „im Fall eines politischen Konfliktes ihre Vergangenheit gegen sie instrumentalisiert.“ Beispiel sei der Fall des früheren CDU-Landeschefs und Wirtschaftsministers Ulrich Junghanns, der Funktionär der Bauernpartei war und noch 1989 die Mauer verteidigt hatte, was ihm erst im innerparteilichen Machtkampf 2007 vorgehalten wurde.

In seiner 80-Seiten–Expertise zur CDU macht Wunnicke jedenfalls für  Versäumnisse nicht allein Politiker wie den ersten Chef der Landtagsfraktion und letzten DDR-Innenminister Peter-Michael Diestel verantwortlich, der nach 1990 den „Brandenburger Weg“ mitgegangen war. Nach seinem Gutachten haben auch die frühere Landesvorsitzende Johanna Wanka oder der heutige Generalsekretär Dieter Dombrowski, der als politisch Verfolgter im Stasi-Gefängnis in Cottbus saß, in die Bundesrepublik ausgeliefert wurde und sich seit 1990 - er war damals bereits Landesschatzmeister - in der Brandenburger CDU engagiert, keine Aktivitäten in dieser Frage erkennen lassen. „Auch“ die Parteichefin Johanna Wanka, so das Gutachten, „tat nichts öffentlich Nachvollziehbares für die Aufarbeitung der Geschichte der CDU“ in den früheren Bezirken Potsdam, Cottbus und Frankfurt an der Oder. Und Dombrowski habe zwar in Häftlingsuniform 2009 der Vereidigung der rot-roten Regierung beigewohnt, aber nichts zur Aufklärung getan, wie CDU-Mitglieder vor 1989 an der Bespitzlung von Oppositionellen beteiligt gewesen seien.

Das Gutachten weist viele Versäumnisse und Widersprüche nach. So konstatiert Wunnicke, dass die Union zwar nach dem Streit um die Stasi-Verbindungen von Alt-Regierungschef Stolpe seinen Rücktritt forderte, aber im ähnlich gelagerten Fall des früheren Brandenburger CDU-Landesvorsitzenden Lothar de Maiziére anders agierte. „Dieselbe Konsequenz gilt nicht für die Verstrickungen des ehemaligen brandenburgischen CDU-Parteichefs Lothar de Maiziére“, heißt es dort. „Eine ähnliche Aktenlage wie im Fall Stolpe führt die brandenburgische CDU zu einer anderen Bewertung seiner Verstrickungen.“

Selbst aktuell ist der Kurs indifferent. So habe im November 2010 die Potsdamer CDU-Kreischefin Katherina Reiche auf einer Veranstaltung anlässlich des Jahrestages des Mauerfalls Regierungschef Matthias Platzeck (SPD) Geschichtsklitterung vorgeworfen. Als Hauptredner habe dort Hans-Joachim Ziebarth, erster Chef der CDU-Stadtfraktion nach 1990, zur Wende erklärt: „Wir sind in die Politik gegangen, um etwas zu bewegen und haben von Null einen Start gewagt.“ Dabei sei Ziebarth 30 Jahre in der Block-CDU aktiv gewesen. Und die Brandenburger CDU habe 2005 in einer Broschüre zur Parteigeschichte erklärt: „Bis zur Wende 1989 hielt sich in der CDU ein verdecktes oppositionelles Potenzial“. Dies allerdings sei, so das Gutachten, „nirgends“ dokumentiert.

Ebenso „zwiespältig“ ist laut Gutachten der Umgang der CDU mit Ex-SED-Mitgliedern in den eigenen Reihen wie auch mit der Linkspartei. Verboten sei bei Bündnissen der CDU in Kommunen „nicht die Kooperation mit der Partei Die Linke, sondern deren schriftliche Fixierung.“ Das aber sei eine „Absurdität“. Thorsten Metzner

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