zum Hauptinhalt
Jörg Müller, bisheriger Leiter des Verfassungsschutzes in Brandenburg.

© picture alliance/dpa/Monika Skolimowska

Update

Streit über AfD-Einstufung: Brandenburgs Verfassungsschutzchef Müller entlassen

Innenministerin Katrin Lange (SPD) entbindet den Leiter des Verfassungsschutzes mit sofortiger Wirkung von seinen Dienstgeschäften. Hintergrund: unterschiedliche Ansichten über den Umgang mit der AfD.

Stand:

Brandenburgs Innenministerin Katrin Lange (SPD) hat überraschend den Leiter der Verfassungsschutzabteilung, Jörg Müller, „mit sofortiger Wirkung von der Führung der Dienstgeschäfte entbunden“. Das teilte das Ministerium am Dienstag mit. Das notwendige Vertrauen für eine gemeinsame weitere Zusammenarbeit sei nicht mehr gegeben, so Lange.

Müller solle in den einstweiligen Ruhestand versetzt werden. Die Leitung des Landesverfassungsschutzes, der als Abteilung dem Innenministerium untersteht, soll im Juli neu besetzt werden. Bis dahin werde der Verfassungsschutz vom Vize-Leiter Axel Heidrich geführt. Zu den weiteren Hintergründen äußerte sich das Ministerium zunächst nicht.

Vermerk zur AfD-Hochstufung

Müller leitete die Abteilung seit Februar 2020. Noch im Mai soll der Verfassungsschutzbericht für Brandenburg vorgestellt werden. Parallel läuft das Einstufungsverfahren zur AfD, die in Brandenburg derzeit als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet wird. Nach Informationen der Potsdamer Neuesten Nachrichten (PNN) sollen unterschiedliche Ansichten über die Einschätzung der AfD zu der Personalentscheidung geführt haben. Das Innenministerium wollte das auf Anfrage nicht kommentieren. Weitere Erläuterungen zu den Umständen werde das Innenministerium am Dienstag nicht geben, so Sprecher Andreas Carl.

Vergangenen Freitag hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die gesamte AfD als „gesichert rechtsextrem“ hochgestuft. In das Gutachten des Bundesamtes für Verfassungsschutz sind auch Erkenntnisse des Brandenburger Verfassungsschutzes eingeflossen. In der Brandenburger Behörde existiert nach PNN-Informationen bereits seit Längerem ein Vermerk, der ebenfalls eine Hochstufung vorsieht. 

Brandenburgs Innenministerin Lange hatte auf die Hochstufung der AfD durch den Bundesverfassungsschutz sehr zurückhaltend reagiert. Unmittelbare Auswirkungen auf Brandenburg habe das nicht, sagte die SPD-Politikerin, die seit Herbst das Innenressort führt. Die Einstufungen würden im Föderalismus jeweils gesondert vorgenommen. Die Erkenntnisse, die sich aus dem Bundesgutachten mit Blick auf mögliche Bezüge nach Brandenburg ergeben, würden jetzt intensiv ausgewertet und in das weitere Einstufungsverfahren einfließen. Eine entsprechende Auswertung sei veranlasst. Die Einleitung eines Verbotsverfahrens lehne sie weiter ab. Die AfD müsse politisch gestellt werden.

Anhaltspunkte, den AfD-Landesverband vom Verdachtsfall hochzustufen, gebe es nicht, sagte Müller noch vor einem Jahr bei der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts für 2023. Doch die Einschätzung der Fachabteilung hat sich offenbar geändert. Nach Informationen dieser Zeitung hat Müller am 14. April einen Vermerk seiner Abteilung zu einer Hochstufung unterschrieben. Lange soll von Müller aber erst am 5. Mai darüber informiert worden sein.   

Der Deutschen Presse-Agentur sagte Müller zu seiner Entlassung nur: „Ich habe mir nichts vorzuwerfen.“

Eigene Fraktion von der Personalie überrascht

Im Potsdamer Politikbetrieb sorgte das Vorgehen der Ministerin am Dienstag für Überraschung. Der Vorsitzende der Parlamentarischen Kontrollkommission (PKK) für den Verfassungsschutz, der Abgeordnete Uwe Adler (SPD), bekannte gegenüber den PNN, von dem Vorgehen der Ministerin überrascht zu sein. Es müsse aber substantielle Gründe geben, zeigte er sich fünf Minuten vor Beginn einer turnusgemäßen PKK-Sitzung überzeugt.

Auf Anfrage teilte der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende Erik Stohn ebenfalls mit, dass er irritiert sei. In der Fraktionssitzung der SPD am Dienstag sei der Vorgang nicht thematisiert worden – obwohl Lange als Abgeordnete Mitglied der Fraktion sei. Müller sei, so Stohn, ein „langjähriger Beamter mit einer klaren Haltung für den demokratischen Rechtsstaat“.

CDU-Landes- und Fraktionschef Jan Redmann erklärte, Müller habe parteiübergreifend ein sehr hohes Ansehen genossen. „Müller war Büroleiter des SPD-Innenministers, der danach von einem Innenminister mit CDU-Parteibuch zum Chef des Landesamtes gemacht wurde“, sagte Redmanm. „Und zwar aufgrund seiner Fähigkeiten und seiner Integrität.“ Die Innenministerin werde ihren Schritt begründen müssen. „Ich habe aber die Erwartung, dass Brandenburg dem politischen Extremismus weiter entschlossen entgegensteht.“

AfD-Fraktionschef Hans-Christoph Berndt erklärte, nicht in Tränen auszubrechen. Müller stehe für eine „unsägliche Entwicklung“ des Verfassungsschutzes hin zu einer „Überwachung der Opposition“, nicht nur der AfD, sondern auch von Vereinen wie „Zukunft Heimat“. Der von Berndt mitgegründete Verein wurde vom Verfassungsschutz als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuft.

Jörg Müller ist nicht der erste Brandenburger Verfassungsschützer, der wegen nicht vorhandenen Vertrauens gehen muss. 2019 hatte der damalige Innenminister Michael Stübgen (CDU) Müllers Vorgänger Frank Nürnberger in den einstweiligen Ruhestand versetzt. Nürnberger bekomme die Behörde nicht richtig in den Griff, hieß es, er sei wenig durchsetzungsstark.

Brandenburgs Bündnisgrüne, die nicht mehr im Landtag vertreten sind, forderten Aufklärung zur Entlassung Müllers. „Die Entscheidung von Innenministerin Lange, Jörg Müller mit sofortiger Wirkung von seinen Aufgaben zu entbinden, kommt zur Unzeit“, sagte die Landesvorsitzende Andrea Lübcke. In einer Phase, in der der neue Verfassungsschutzbericht kurz vor der Veröffentlichung stehe und die AfD in Brandenburg als rechtsextremistischer Verdachtsfall beobachtet werde, sendet die SPD-Ministerin ein fatales Signal. „Statt Klarheit und Stabilität herrschen nun Unruhe und Verunsicherung“, so die Grünen-Politikerin.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })