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Kerosin wird knapp: Vor dem Abflug schnell zur Tankstelle

In Tegel könnte der Kraftstoff knapp werden – am neuen Flughafen BER dagegen lagern angeblich rund 18 Millionen Liter Kerosin im Wert von mindestens 15 Millionen Euro. Und die könnten dort sogar verderben, wie Chemiker behaupten.

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Schönefeld/Berlin - „Flugzeuge im Bauch, im Blut Kerosin, kein Sturm hält sie auf, uns’re Air Berlin“, klingt es in einem alten Telefonwarteschleifensong der Airline. Das Lied wird heute nicht mehr gespielt. „Zu unmodern“, befand man vor Jahren. Dabei entwickelt der Themenkomplex Kerosin und Berlin für Fluggesellschafen, Flughäfen, Ölkonzerne und Spediteure derzeit eine brisante Aktualität: In Tegel könnte der Kraftstoff knapp werden – am neuen Flughafen BER dagegen lagern angeblich rund 18 Millionen Liter Kerosin im Wert von mindestens 15 Millionen Euro. Und die könnten dort sogar verderben, wie Chemiker behaupten.

Es ist eines der kurioseren Probleme, die sich aus der Verschiebung des Flughafenumzuges auf unbestimmte Zeit ergeben. Zwar erwartet noch niemand ernsthaft, dass Flugzeuge in Berlin wegen akuten Kerosinmangels am Boden bleiben müssen. Gleichwohl hat der Umstand, dass große Mengen Treibstoff zur falschen Zeit am falschen Ort lagern, konkrete wirtschaftliche Folgen und zwingt alle Beteiligten in Krisensitzungen an den Verhandlungstisch.

Der Flughafen Tegel wird seit jeher über die Straße mit dem Treibstoff versorgt: Rund 30mal am Tag rollen Tanklastwagen mit jeweils rund 34 000 Litern an Bord auf das Flughafengelände. Die kommen meist von der Raffinerie PCK im 110 Kilometer entfernten Schwedt an der Oder, wo die Konzerne BP, Rosneft, Shell, Eni und Total Kraftstoffe aller Art für die Region produzieren. Die Lieferungen nach Tegel übernehmen mittelständische Spediteure. Die hatten sich darauf eingestellt, dass ihnen das Geschäft mit Tegel wegbricht, sobald der Flughafen am 3. Juni schließt. Denn in Schönefeld am BER werden sie nicht gebraucht, da der Flughafen mit Kesselwagen auf der Schiene beliefert wird.

Susanne Martens-Ulrich von der Hamburger Traditionsspedition Johs. Martens sagt, dass allein ihr Unternehmen 40 Fahrer schon vor Monaten auf den Jobverlust ab Juni vorbereitet hat. Einige seien schon weg. Und es sei nicht so, dass man an jeder Ecke qualifizierte Fahrer für gefährliche Güter finden würde. Nun versuche sie, einige zur Rückkehr zu bewegen. Aber für wie lange? „Das größte Problem ist, dass wir keinen neuen Termin haben. Wie soll man da Verträge schließen?“, sagt sie. Sie müsse eine Hinhaltetaktik anwenden, was unbefriedigend für alle sei. „Und wir sind froh, dass wir die zwölf Tanklaster, die auf der Strecke im Einsatz waren, noch nicht verkauft haben“.

Dirk Thomaneck, Chef der MF Mineralöl-Logistik in Werneuchen (Barnim), hat sechs bis acht Fahrzeuge im Einsatz und musste ebenfalls betriebsbedingte Kündigungen aussprechen. Auch er versucht, einige nun wieder einzustellen oder Mitarbeiter von anderen Standorten in Deutschland zu holen. In jedem Fall stelle die Belieferung von Tegel über den 3. Juni hinaus „eine große logistische Herausforderung“ dar. „Es werden uns Kosten in erheblicher Höhe entstehen“, sagt Thomaneck. Er rechne mit mehreren zehntausend Euro im Monat für Spesen, Übernachtung, Reisekosten, Antrittsprämien und dergleichen.

Das sind Probleme, die man mit Geld lösen kann. Doch auch die Rechtslage und sogar Biochemie spielen eine Rolle. Das Kerosin, das in den Tanklagern am BER steckt, kann dort nicht ewig liegen: „Kerosin ist wie Diesel ein Mitteldestillat und kann bei unsachgemäßer Lagerung verderben“, sagt Vica Fajnor, Sprecherin der Raffinerie PCK. Es sei nicht sehr wahrscheinlich, aber durch Kontakt mit Wasser und Luft könne es verunreinigt werden. Zugleich handelt es sich um so viel Kerosin, das man ja jetzt nicht durch die Stadt fahren könne, wie Air-Berlin-Chef Hartmut Mehdorn dem „Spiegel“ sagte. „Mit Ruhm hat sich hier niemand bekleckert“.

Die Ölkonzerne stecken derweil in einer Vertragsklemme: Derzeit erfolge die Versorgung der Flughäfen über die Gesellschaft Into-Plane, erklärt ein Sprecher von Total Deutschland. Total hält ein Viertel der Anteile. Zum 3. Juni 2012 stelle diese Gesellschaft ihre Geschäftstätigkeit ein. „Insofern enden die vertraglichen Pflichten. Die Betriebspflicht endet, weil uns die Flughafen Berlin Brandenburg GmbH zum 3. Juni 2012 die Gestattung und Nutzungsrechte aufgekündigt hat“, sagt er. „Wir prüfen derzeit mit Hochdruck – ohne Anerkennung einer Rechtspflicht –, inwieweit wir der Flughafengesellschaft bei der Lösung ihres Versorgungsproblems helfen können“. Und Flughafen-Sprecher Ralf Kunkel sagt nur: „Wir führen intensive Gespräche. Fest- steht aber: Am BER wird kein Kerosin vergammeln.“ Kevin P. Hoffmann

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