Von Alexander Fröhlich: Vor dem Flächenabriss bewahrt
Für Brandenburgs historische Stadtkerne kam die Wende genau richtig
Stand:
Potsdam - Die Pläne für den Abriss ganzer Straßenzüge im historischen Zentrum von Neuruppin lagen vor 1989 schon in der Schublade. Statt alter Gebäude wollte die zentrale Planungskommission des damaligen Bezirks Potsdam dort Plattenbauten hinstellen. In Brandenburg/Havel waren ganze Altbau-Viertel unbewohnbar und ohne den Mauerfall heute vermutlich schon völlig verfallen. „Die Häuser in der zweiten und dritten Reihe waren einfach Schrott“, berichtet Bürgermeisterin Dietlind Tiemann (CDU). Ihr Neuruppiner Amtskollege Jens-Peter Golde (Pro Ruppin) sagt: „Da kam die Wende genau zum richtigen Zeitpunkt.“ Und mit ihr auch die Rettung für die alten Gebäude und Straßenzüge in Brandenburgs Städten. 31 von ihnen erinnern nun, da sich die friedliche Revolution in Ostdeutschland zum 20. Mal jährt, mit dem Programm „WendePunkte – Wiederentdeckung historischer Stadtkerne“ daran.
Damit beteiligt sich die Arbeitsgemeinschaft am diesjährigen Themenjahr des Kulturlandes Brandenburg: „Demokratie und Demokratiebewegungen“. Denn nicht nur für mehr Freiheit seien die Menschen im Wendeherbst auf die Straße gegangen, sagte gestern Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD) bei der Vorstellung des Projekts im Potsdamer Stadthaus.
Auch der Zustand der Städte und der Umwelt sei ein Ausgangspunkt für zahlreiche Initiativen gewesen, erinnerte der Regierungschef in Anspielung auf seine eigene Vergangenheit als Umweltaktivist in Potsdam. Zudem betonte er die Symbolkraft der verfallenen Häuser für 40 Jahre DDR, bereits im August 1989 habe in der Landeshauptstadt der Abriss alter Gemäuer begonnen.
Das Grau-in-Grau in den märkischen Stadtzentren ist seither verschwunden, in Brandenburg hat sich viel getan. 1992 wurde die Arbeitsgemeinschaft „Städte mit historischen Stadtkernen“ gegründet, wer Mitglied ist, bekommt gesondert Fördermittel für den städtebaulichen Denkmalschutz. Insgesamt 2,6 Milliarden Euro sind Platzeck zufolge bislang in die Sanierung von Häusern, Plätzen und Straßen geflossen, allein in diesem Jahr stehen 28 Millionen Euro bereit. Platzeck sprach gestern von einer „orginär ostdeutschen Aufbauleistung“ ohne Vorbild.
Tatsächlich war die Substanz in den Zentren meist zu retten – und es gab sie noch. An Geld und Baumaterial, vor allem an dem Willen zum Erhalt der Stadtbilder fehlte es in der DDR.
Wenn überhaupt wurden die Häuser meist nur notdürftig repariert und von Flickwerk zusammengehalten. Heute ist die Arbeitsgemeinschaft sogar froh, dass einzelne Gebäude und Ensembles überhaupt nicht verändert oder abgebrochen wurden. „Wir haben 20 Jahre gebraucht, um wieder herzurichten, was 40 Jahre runtergewirtschaftet wurde“, sagte Michael Knape, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft und Bürgermeister von Treuenbrietzen.
Und noch etwas hat sich verändert: Potsdams Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) fühlt sich an diesen eiskalten Tagen geradezu mit der Nase darauf gestoßen – auf die saubere Luft in der Landeshauptstadt, über der früher eine Dunstglocke aus dem Rauch von mit Braunkohle beheizten Öfen hing. Neuruppins Baudezernent Arne Krohn etwa wurde vom Westbesuch immer gefragt: „Warum riecht ihr alle so komisch hier.“ Es war der Mief der Schlote, die DDR stank aus allen Poren. „Das kann man sich heute kaum noch vorstellen.“
Gegen die Gefahr des Vergessens setzt die Arbeitsgemeinschaft Ausstellungen in Belzig, Brandenburg/Havel, Doberlug-Kirchhain, Jüterbog, Kyritz, Lenten und Wittstock. Mit „WendePunkten“ wird ab Mai an Orte erinnert, an denen Bürger 1989 protestierten, runde Tische etablierten und so den Erhalt der historischen Viertel erst möglich machten. In Brandenburg/Havel etwa zeigen Guckkästen auf einem Rundgang in der Innenstadt, was sich getan hat. Bei der Aktion „Denkmal des Monats“ gehen die Auszeichnungen an Denkmale, „die beispielhaft für weitreichende politische Entscheidungen und für besonderes bürgerschaftliches Engagement“ stehen. Mitte Oktober bieten die 31 Mitgliedstädte Führungen rund um die „WendePunkte“ an (siehe Kasten). Denn auch in den Städten fernab Berlins brodelte vor 20 Jahren der Zorn gegen das SED-Regime.
Aber auch das war die Wende: Als die Jüterboger vom Mauerfall erfuhren, begeisterten sie sich für die spontane Erklärung: „Wir bleiben.“ Sie fühlten sich, so steht es darin, dem „historischen Erbe verpflichtet“.
Internet:
www.ag-historische-stadtkerne.de
www.kulturland-brandenburg.de
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