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Eigentor. Die von Jugendministerin Martina Münch eingesetzte Kommission hat schwere Missstände in den Heimen des privaten Unternehmens der Haasenburg GmbH und Versäumnisse des Landesjugendamtes, welches dem Ministerium unterstellt ist, festgestellt.

© dpa

Brandenburg: Willkür mit Rückendeckung der Behörden

Bildungsministerin Münch ist nach dem Haasenburg-Bericht zum Durchgreifen gezwungen

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Potsdam - Wenn Brandenburgs Jugendministerin Martin Münch (SPD) am heutigen Mittwoch den Bericht der von ihr eingesetzten Untersuchungskommission zu den Kinder- und Jugendheimen der privaten Haasenburg GmbH vorlegt, wird sie auch Konsequenzen verkünden. So viel war aus ihrem Umfeld zu hören. Und das scheint nach den von der sechsköpfigen Expertenkommission auch nötig.

Denn nach PNN-Informationen hat das Gremium nicht nur schwere Missstände in den Heimen der Haasenburg festgestellt, sondern auch schwere Mängel im Landesjugendamt, das die Heimaufsicht führt und dem Jugendministerium untersteht. Münch hatte bereits im Sommer regiert, als erste Misshandlungsvorwürfe von Heiminsassen publik wurden, und einen Belegungsstopp verhängt. Die von ihr eingesetzte Kommission sollte ausdrücklich auch Schwachstellen in den Behörden prüfen. Das Ergebnis ist vernichtend – und zwingt Münch erneut dazu, Handlungsfähigkeit zu beweisen. Sie muss zeigen, dass sie ihr Haus und die untergeordneten Behörden im Griff hat.

Konkret geht es um den jahrelangen Umgang mit Kindern und Jugendlichen in der geschlossenen Unterbringung. Die wird von Gerichten für besonders schwierige Jugendliche angeordnet. Für sie ist die Haasenburg oft die letzte Option, um Jugendarrest oder Psychiatrie zu entgehen und wenn andere Einrichtungen die Aufnahme abgelehnt haben. Das hatte Münch selbst schon eingeräumt. Die Haasenburg aber hat laut Münch kaum einen Jugendlichen abgelehnt. Fast alle Bundesländern schickten ihre hoffnungslosen Fälle in die Haasenburg. Dort sollen die Kinder drangsaliert, übermäßig hart behandelt und stundenlang fixiert worden sein. Kritiker werfen der Haasenburg körperliche und seelische Misshandlung der Insassen vor. Es geht um Zwangsmaßnahmen, die Erzieher bei Eigen- oder Fremdgefährdung durch die Insassen ergreifen können. Der Betreiber bestreitet das und sah sich vielmehr in seinem Handeln nach den Ergebnissen des Untersuchungsberichts sogar durch die Behörden gestärkt. „Wir hatten die Rückendeckung der Behörden“ – diese Aussage spricht Bände. Die Staatsanwaltschaft Cottbus ermittelt, Ergebnisse werden nicht vor Jahresende erwartet. Durch den Bericht wird nun deutlich, dass offenbar erlaubte Methoden missbraucht worden sind, dass die laxen Kontrollen eine Einladung zur Willkür waren.

Bemerkenswert an dem Fall Haasenburg ist nicht nur das offensichtliche Versagen der Aufsichtsbehörden bei der Kontrolle der Heime und der Erziehungsmethoden dort – sondern, dass die Probleme eigentlich lange bekannt sind. Denn selbst in Brandenburg lehnen die Jugendämter einiger Landkreise wegen mangelnder Transparenz die Zusammenarbeit mit der Haasenburg ab. Bereits im Jahr 2001 hatte der brandenburgische Landesjugendhilfeausschuss einen Bericht zu „Alternativen zur geschlossenen Unterbringung von Kindern und Jugendlichen in der Jugendhilfe“ vorgelegt. Darin heißt es: „Gelingende Beziehungsarbeit kann weit besser in Freiheit als unter freiheitseinschränkenden Bedingungen geleistet werden.“ Man setze „grundsätzlich auf Freiwilligkeit und Kooperation mit jungen Menschen und deren Familien“.

Doch der Bericht des Landesjugendhilfeausschusses blieb ohne Wirkung. Dabei wies er mit in den Regionen genau erhobenen Daten auf die Nachteile der geschlossenen Unterbringung hin. Veröffentlicht worden war der Bericht ausgerechnet, als das Landesjugendamt der Haasenburg GmbH die Betriebsgenehmigung erteilt hatte.

Inzwischen ist auch Münch äußerst misstrauisch geworden gegenüber der Haasenburg. Die Ministerin hatte zwar immer darauf verwiesen, dass sie den Untersuchungsbericht abwarten will. Auch den Belegungsstopp hielt sie teilweise aufrecht. Was Münch aber dem Vernehmen nach stutzig gemacht hat, war die harte Abwehrhaltung der Verantwortlichen der Haasenburg und die fehlende, nicht einmal im Ansatz erkennbare Selbstkritik.

Inzwischen geht es nicht mehr nur um die Haasenburg, sondern um die grundsätzlichen Fragen. Münch hatte bereits angekündigt, auf Bundesebene auf eine gesetzliche Regelung für die geschlossene Unterbringung von Jugendlichen zu drängen. Denn Vollzugsgesetze – wie sie für Jugendknast und Psychiatrie gelten – gibt es hierfür nicht. „Es fehlen bundesweit einheitliche Rahmenbedingungen, in denen klar geregelt ist, unter welchen Bedingungen Kinder und Jugendliche in Jugendhilfeeinrichtungen mit freiheitsentziehenden Maßnahmen betreut und unterstützt werden“, sagte Münch.

Ob sie aber auch generell die geschlossene Unterbringung in Brandenburg beenden will, ist fraglich. Im Landtag sind die Fronten klar verteilt, die Koalition ist sich aber uneins, dafür gibt es eine Ampel-Allianz. SPD-Fraktionschef Klaus Ness sagte, geschlossene Einrichtungen seien als „vergleichsweise niedrigschwelliges Angebot“ in Einzelfällen sinnvoll, auch um Jugendliche vor dauerhaften kriminellen Karrieren zu schützen. „Die Alternative ist Knast oder Psychiatrie.“ Die Linksfraktion dagegen bekräftigte ihre Ablehnung von Jugendhilfe-Einrichtungen mit freiheitsentziehenden Maßnahmen wie der Haasenburg. Geschlossene Heime seien kein geeignetes pädagogisches Konzept, sagte Fraktionschef Christian Görke. Die Linke werde deshalb unabhängig von den Ergebnissen der Untersuchungskommission weiter darauf dringen, dass die Heime geschlossen werden: „Ich glaube, da gibt es andere pädagogische Konzepte, und die sind erfolgreich“, sagte Görke. Die FDP-Fraktion sieht das ähnlich. „Man kann Kinder mit multiplen Entwicklungsproblemen nicht mit Zwang und mit Drohungen in die Gesellschaft integrieren. Das geht nur mit Liebe, Geborgenheit, sozialtherapeutischer und psychologischer Unterstützung“, sagte FDP-Fraktionschef Andreas Büttner. „Wir brauchen ein anderes System der Integration von Kindern mit schwerwiegenden Problemen, etwa durch eine intensive Betreuung in Wohngruppen, aber nicht in dieser Art von Heimen wie der Haasenburg. Grünen-Bildunsgexpertin Marie Luise von Halem forderte eine bundesweite Diskussion über den Umgang mit Jugendlichen, die in geschlossenen Einrichtungen untergebracht sind. Es könne nicht gut sein, „diese Kinder gebündelt irgendwo unterzubringen“, sagte Halem. Schlüssige Alternativen zu geschlossenen Heimen seien jedoch bisher nicht benannt worden. Der Vorsitzende der CDU-Fraktion, Dieter Dombrowski, sprach sich gegen eine generelle Abschaffung geschlossener Heime für Jugendliche aus.

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