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Brandenburg: „Wir würden am liebsten hierbleiben“

Briten nach dem Brexit – ein Besuch am Flughafen

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Berlin - Wer sich am Flughafen Tegel unter die Fluggäste mischt, die gerade aus London kommen oder in die andere Richtung fliegen, braucht die Abstimmungsergebnisse gar nicht zu kennen, um zu bemerken, wie uneins sich die Briten sind.

Ian Tighe steht auf der einen Seite. Der 30-Jährige lebt in Newcastle upon Tyne, im Nordosten des Landes. Der Austritt der Briten steht seit den frühen Morgenstunden fest, und Tighes Handy seitdem nicht mehr still. Mit seinen Freunden tauscht er sich über die Sozialen Netzwerke und SMS aus. Sie alle seien schockiert, sagt er. „Das habe ich nicht erwartet.“ Dass es knapp wird, ja – aber spätestens nach dem Mord an der Labour-Abgeordneten Jo Cox vor gut einer Woche habe er mit einem Aufschwung für die „Remain“-Befürworter gerechnet. Cox war überzeugte Pro-Europäerin, ihr Mörder mutmaßlich ein fanatischer Anhänger der Austritts-Befürworter.

Nach dem Referendum jetzt zurück nach England zu fliegen, sagt Tighe, sei ein schreckliches Gefühl. „Wir haben hier Freunde besucht, wir lieben Europa und kommen her, so oft es geht. Nun würden wir am liebsten gar nicht mehr zurückfliegen, sondern hierbleiben.“ Besonders schön sei gewesen, zu sehen, „dass so viele Europäer uns in ihrer Gemeinschaft behalten wollten“. Leider habe das in England kaum jemand registriert.

Nur eine Sicherheitsschleuse weiter, Gate A4, steht Wendy Byane, sie lebt ein bisschen außerhalb von London. Die ältere Dame, die – ganz Britin – ihr Alter lieber für sich behält, freut sich schon auf England, denn heute sei ein guter Tag für das Vereinigte Königreich. Den Wahlslogan der Brexit-Befürworter hat sie verinnerlicht: „Take back control“. Heute habe Großbritannien sich die Kontrolle zurückgeholt. Ihre Wut richtet sich – wie bei so vielen – vor allem gegen Brüssel. Die EU sei ein „undemokratisches, korruptes“ Gebilde, in das die Briten viel zu viel Geld stecken würden, ohne einen einzigen Vorteil daraus zu ziehen. Ob sie denn keine Angst vor möglichen negativen Folgen eines Austritts habe? „Warum denn? Ich erinnere mich noch gut an ein Königreich vor der EU. Und da war doch alles gut.“ Dass die Umstände heute anders sind als damals, sei ihr zwar bewusst. Aber Großbritannien sei eine starke Nation, deshalb müsse sie keine Angst haben.

Die Bruchkante zieht sich durch ganz Großbritannien, in Städten wie London ist die Stimmung anders als auf dem Land. Peter Ribeaux kennt beide Seiten. Der 76-Jährige ist gerade gelandet, er sieht müde aus. Die ganze Nacht habe er vor dem Radio gesessen und die Nachrichten verfolgt. Er lebt in London, fährt aber regelmäßig in sein Ferienhaus nach Sussex. Anders als in der Hauptstadt sei dort die Tendenz ganz klar zur Abspaltung gegangen. Ribeaux ärgert, wie emotional die Debatte geführt wurde, er habe kein Streitgespräch miterlebt, das auf logischen Argumenten beruht hätte.

Die Konfliktlinie teilt auch Jung und Alt. Vor allem die Jungen sind pro-europäisch, die Älteren EU-skeptisch. Bei Peter Barnes und seiner Familie ist das umgekehrt, erzählt der 56-Jährige. Seine Kinder, mittlerweile erwachsen, seien klar für den Austritt gewesen, seine Frau und er dagegen bedauern das Ergebnis. „Unser privates Umfeld ist tief gespalten“, sagt er. Er hoffe, dass sich das wieder lege. Den eingeschlagenen Weg hält er für falsch: „Europa ohne die EU hat zwei Weltkriege durchlebt. Heute leben wir wieder in angsteinflößenden Zeiten. Vielleicht wäre eine Gemeinschaft da der bessere Weg.“ Barnes verspricht: „Wir werden weiterhin und mit großer Freude nach Europa reisen.“ Christian Vooren

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