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Von Thorsten Metzner: Ziegler. Jedes vierte Kind lebt in Armut

Sozialministerin legt „Lebenslagenbericht“ vor – die Opposition findet nicht nur den Begriff beschönigend

Stand:

Potsdam - Sprache kann verschleiern oder aufklären. Die Bundesregierung und diverse Bundesländer veröffentlichen regelmäßig „Armuts- und Reichtumsberichte“. In diesem Jahr taten das etwa Bundessozialminister Olaf Scholz und die Magdeburger Sozialministerin Gerlinde Kuppe. Beiden ist nicht nur das SPD-Parteibuch gemeinsam. Schon der allgemein eingebürgerte Titel bringt auf den Punkt, worum es geht: Die Not von Menschen, um Ausmaß und Ausprägung von Armut. Seit Dienstag hat auch das Land Brandenburg erstmals solch eine regierungsamtliche Analyse. Sozialministerin Dagmar Ziegler, ebenfalls Sozialdemokratin, hat den mit 385 Seiten umfangreichen ersten märkischen Armutsbericht dem Kabinett und dann den Medien vorgestellt. Im Brandenburgischen heißt das Werk allerdings anders: „Bericht über die Lebenslagen in Brandenburg“. Dies sei „nicht verharmlosend“, erklärte Ziegler gestern auf Nachfrage. Der Begriff der „Lebenslagen“ beschreibe mehr „als die fiskalische Sicht“, er sei viel „differenzierter“. Die Links-Opposition sieht das anders, als „Schönfärberei“, schon im Titel. Mancher lästert, dass Ziegler wohl kaum das Kommunistische Manifest von Marx und Engels im Blick gehabt habe: „Die Lebenslagen innerhalb des Proletariats gleichen sich immer mehr aus, indem die Maschinerie mehr und mehr die Unterschiede der Arbeit verwischt und den Lohn fast überall auf ein gleich niedriges Niveau herabdrückt.“

Aber davon abgesehen: Die Sozialministerin, die nicht unumstritten ist, nächstes Jahr ihren Kabinetts-Job an den Nagel hängen will und für den Bundestag kandidiert, tat sich gestern auch auffallend schwer damit, bei der Vorstellung des Berichtes die sozialen Verhältnisse in Brandenburg zu bewerten: „Wir müssen uns mit dem Problem auseinandersetzen“.

Die Fakten: Nach dem Bericht leben 2,8 Prozent der Märker in Armut. Sie haben monatlich weniger als 468 Euro. Das sind 40 Prozent des durchschnittlichen Landes-Nettoeinkommens, das hier statistisch bei 1169 Euro liegt. Nach allgemein gültigen EU- und OECD–Standards ist dieses so genannte Median-Einkommen überall Grundlage der Armutsberechnungen, ob in Island, Deutschland oder eben Brandenburg. 13,7 Prozent der Märker gelten danach als von Armut bedroht, weil sie monatlich weniger als 701 Euro („60-Prozent–Schwelle“) im Portemonnaie haben. In Berlin, die Zahl sucht man im Bericht vergeblich, sind es 13,2 Prozent. Jeder vierte Brandenburger lebt in „prekären Verhältnissen“, hat weniger als 877 Euro. Wie Brandenburg damit im Vergleich dasteht? Ziegler wehrt solche Fragen ab. „Solche Vergleiche helfen in keiner Weise.“ Schließlich sei das Durchschnitts-Nettoeinkommen in jedem Land anders. „Das ist nicht vergleichbar.“ Im Bericht findet sich prompt nur eine kleine Tabelle, wonach in Brandenburg – nach alten Zahlen von 2005 – 14,3 Prozent von Armut bedroht waren, in Deutschland 19,2 Prozent, in den neuen Ländern 13,7 Prozent. Merkwürdig, im Armutsbericht von Sachsen-Anhalt scheut man solche Vergleiche nicht, auch wenn die Ergebnisse für die Regierung unbequem sind: „Wird nicht das Sachsen-Anhaltinische Medianeinkommen zu Grunde gelegt, sondern der Medianwert für die gesamte Bundesrepublik, dann liegt die Armutsgefährdungsquote in Sachsen-Anhalt bei 20 Prozent, ausschlaggebend für die Differenz sind die im Bundesvergleich generell niedrigeren Einkommen.“ Für Brandenburg sucht man solch eine Zahl im Landesbericht vergeblich.

Trotz des Wirrwarrs weist der märkische Bericht auf besorgniserregende Trends hin: So lebt ein Viertel der Kinder in Hartz IV-Haushalten; in der Uckermark sind es gar 37,7 Prozent. Rund fünf Prozent aller regulär Beschäftigten verdienen so wenig, dass sie beim Sozialamt ergänzend Leistungen erhalten. Mehr noch, dabei klafft die Armuts-Schere zwischen dem Berliner Umland und der Peripherie weiter auseinander. Für die Wohlfahrtsverbände, die den Bericht selbst als überfällig begrüßen und sogar mit einem eigenen Kapitel darin vertreten sind, sind diese „Trends“ ein „Skandal“. Es bestehe die Gefahr, dass „Regionen abgehängt“ werden, sagte Andreas Kaczynski, Vorsitzender Liga der Wohlfahrtsverbände. Die Links-Opposition warf der Regierung vor, „die Wirklichkeit schönzurechnen“.

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