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Brandenburg: „Zu einfach, in Deutschland Autos zu stehlen“

Polens Botschafter keilt gegen Platzeck und fordert bessere Prävention gegen Grenzkriminalität

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Potsdam - In Potsdam lösen seine Worte Irritationen aus. Polens Botschafter Marek Prawda fordert in einem Interview deutsche Sicherheitsbehörden zu besseren Maßnahmen im Kampf gegen den grassierenden Fahrzeugklau und grenzüberschreitende Autoschieberbanden auf, deren Spuren in den meisten Fällen nach Polen führen. Dies sei „zunächst ein Problem des Landes, in dem die Autos gestohlen werden“. Vielleicht sei „es ja noch zu einfach, in Deutschland Autos zu stehlen“. Dabei helfe es „weniger, über die Belastung der politischen Beziehungen zu sprechen, als mehr für die Prävention zu tun“.

Die Aussagen des Botschafters in der „Märkischen Oderzeitung“ waren ein Seitenhieb auf Matthias Platzeck. Der Ministerpräsident hatte jüngst gewarnt, die Delikte entlang der Grenze belasteten die deutsch-polnischen Beziehungen. Tatsächlich wächst nach PNN-Informationen auf politischer Ebene die Sorge, die zunehmende Grenzkriminalität nach dem Beitritt Polens zum Schengenraum 2007 könnte sich in der Bevölkerung negativ auf das Verhältnis zu Polen auswirken. Lange hatten führende Politiker dies aus Rücksicht vor dem Nachbarland und aus Sorge vor Polen-Feindlichkeit als „Alarmismus“ dargestellt, selbst Brandenburgs damaliger Innenminister Jörg Schönbohm (CDU), der in seiner Wortwahl nie zimperlich war.

Jetzt sieht sich Brandenburgs Landesregierung gezwungen zu handeln. Denn die Klagen von Unternehmern und Autobesitzern entlang der Grenze reißen nicht ab (siehe Kasten). Platzeck schaltete sich persönlich ein und trifft sich an diesem Mittwoch mit Unternehmern in Angermünde zu einem Krisengespräch.

Kommentieren will in der Landesregierung die Aussagen des polnischen Botschafters aber niemand. „Das steht uns nicht zu“, sagte Innenminister Dietmar Woidke (SPD). Die Deutsche Polizeigewerkschaft (DPolG) dagegen reagierte entrüstet. Berlins DPolG-Landeschef Bodo Pfalzgraf sagte, Opfer und Polizei fühlten sich „unangemessen behandelt“. Autoschiebereien als Teil der organisierten Kriminalität seien nicht isoliert in einem Land zu bekämpfen. Prawdas Äußerungen bezeichnete er als „ahnungslosen, arroganten Populismus eines Diplomaten“, der den polnischen Polizeikollegen nicht in den Sinn kommen würde.

Unverständnis herrscht in Potsdam auch, weil Brandenburgs Polizei gerade mit einem Großeinsatz den Druck auf die straff durchorganisierten Banden verschärft, die von Osten aus in ganz Europa agieren. Für drei Monate werden drei der vier Hundertschaften in der Grenzregion eingesetzt – für Großkontrollen und Zivilstreifen. Zudem wurde die Ende 2010 gegründete Sonderkommission „Grenze“ von 80 auf 90 Beamte aufgestockt.

Daneben übernimmt Brandenburg – wie PNN berichteten – deutschlandweit eine Führungsrolle. Auf Woidkes Initiative hat Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe einberufen. Brandenburg wurde mit der Leitung der Arbeitsgruppe betraut, die neue Strategien für die Polizei entwickeln soll. Potsdam und Berlin wollen zudem Druck aufbauen, damit Warschau die Ermittlungen gegen die Autoschieber verschärft und die Hintermänner dingfest macht. Zwar gibt es ein deutsch-polnisches Zentrum von Polizei und Zoll im polnischen Swiecko. Doch bei Großeinsätzen müssen polnische Beamte immer noch in Warschau um Erlaubnis fragen, berichten Beamte. Unzufriedenheit herrscht in Brandenburg aber auch mit dem Bund, weil völlig ungewiss ist, wie stark die Bundespolizei in der Grenzregion präsent bleiben wird.

Brandenburg ist wegen seiner Lage und den Ost-West-Transitstrecken von der Grenzkriminalität besonders betroffen. Nach Erkenntnissen der Sicherheitsbehörden schleusen die Banden die auch in anderen Bundesländern und Westeuropa, selbst in Portugal gestohlenen Wagen – VW, Audi, BMW und Mercedes – über die wichtigste Ost-West-Achse nach Polen, Litauen und die Ukraine. Der Polizei gehen meist nur mittellose Handlanger und Kuriere ins Netz, die die gestohlenen Autos fahren. 516 Tatverdächtige wurden 2011 gestoppt, 321 Fahrer kamen aus Polen, 82 aus Litauen und 73 aus Deutschland. Die Soko „Grenze“ hat den Negativtrend der vergangenen Jahre zumindest gestoppt. 2007, vor Öffnung der Schengen-Grenze, gab es 2500 vollzogene oder versuchte Autodiebstähle, 2010 waren es mehr als 4000. 2011 wurden 3600 Fälle registriert. Allzu schnell wird sich das Problem nicht erledigen. Woidke sagte: Der Kampf gegen die Grenzkriminalität „ist kein Hundert-Meter-Sprint. Es wird wohl ein Marathonlauf für die nächsten Jahre werden“.

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