Brandenburg: „Zwei meiner besten Freunde sind tot“ Trauer um die Karikaturisten von „Charlie Hebdo“. Mit dem Heft wurden auch Wahl-Berliner groß
Berlin - Die Frau hält inne und führt dann den Stift. „Vive la France!
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Berlin - Die Frau hält inne und führt dann den Stift. „Vive la France! Vive la liberté!“, trägt Gundula Schmidt-Graute in das Kondolenzbuch in der Französischen Botschaft ein. Immer wieder bilden sich an diesem Freitag kleine Schlangen am Eingang an der Wilhelmstraße 69 in Mitte. Die 50-jährige Stadtführerin drückte ihr Mitgefühl aus, wie zuvor Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). An der Botschaft am Pariser Platz legen Menschen weiter Blumen und Kerzen ab.
In Frankreich überschlagen sich die Ereignisse, und auch in Berlin halten die Menschen den Atem an. Die rund 22 000 in der deutschen Hauptstadt lebenden Franzosen verfolgen voll Sorge und Entsetzen die Folgen des Massenmordes und nun auch noch der Geiselnahmen. „Ich war total schockiert – und weil ich frei hatte, war ich damit total beschäftigt“, sagt die französischstämmige Berlinerin Fabienne Thouvenot, 46, die in einer therapeutischen Praxis arbeitet. Am Freitag trägt auch sie sich ein ins Kondolenzbuch, lobt die Journalisten für den Mut, ihre Meinung trotz Bedrohungen zu äußern. „Ich bin froh, dass so viele Zeitungen die Karikaturen abgedruckt haben, auch wenn ich sie gar nicht so gut finde“, sagt auch Gundula Schmidt-Graute, die sich an die Bedrohung des Schriftstellers Salman Rushdie durch Islamisten erinnert fühlt. An Werktagen kann man in der Botschaft wieder unterschreiben, täglich zwischen 8 und 19 Uhr.
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) schrieb am Tag des Massakers einen Brief an Anne Hidalgo, die Bürgermeisterin von Berlins Partnerstadt Paris. Für den gestrigen Freitag hatte Innensenator Frank Henkel (CDU) eine berlinweite Trauerbeflaggung für die Opfer des Pariser Terroranschlags auf das Magazin „Charlie Hebdo“ angeordnet.
Im kleinen französischen Café „Le Midi“ in Prenzlauer Berg sind ebenfalls viele Besucher betroffen. „Nahezu jeder Gast hat sein Beileid bekundet“, sagt Inhaber Matthias Liber. „Je suis Charlie“ – „ich bin Charlie“ – diese Worte hat der 38-Jährige auf die Tafel am Eingang an der Greifenhagener Straße geschrieben – mit Kreide, gut sichtbar für die Passanten. Seine Frau ist Französin, er selbst hat in Frankreich studiert, die beiden Söhne besuchen die französische Schule. „Der Anschlag hat uns sehr getroffen“, erzählt er.
„Es war sehr schwer für mich, nicht in Frankreich zu sein, als es passierte“, sagt die Frau in der Küche des Cafés, Leila Danerol. Die 30-Jährige kommt aus der südfranzösischen Stadt Grenoble. Seit fünf Jahren lebt sie in Berlin. Als sie an jenem Morgen zur Arbeit kam und das „Je suis Charlie“-Schild an der Fassade sah, sei sie „superfroh“ darüber gewesen. „Meine ganze Kindheit basierte auf den Werten der Freiheit und Meinungsfreiheit.“ Vor allem der Vater habe ihr diese Werte vermittelt, das Magazin „Charlie Hebdo“ werde in ihrer Familie regelmäßig gelesen. Nun befürchtet sie ein Erstarken der extremen Rechten um Le Pen.
An der Botschaft nahe dem Brandenburger Tor hängt derweil die Trikolore auf Halbmast, dort hat der bekannte französische Künstler David Miro gleich am Donnerstag öffentlich getrauert. Dazu kniete er sich auf den Boden und fertigte eine Karikatur an. Auf einer Staffelei im Hintergrund hatte er die Titelseiten zweier Zeitungen angebracht, auf denen Solidaritätsbekundungen für das Satiremagazin zu sehen waren. Dann ließ er sich den Mund und die Hände mit Klebeband verbinden, um die symbolischen Fesseln in einem Kraftakt zu sprengen – als ein Zeichen für die Freiheit der Kunst. Miro kannte zwei der ermordeten Zeichner von „Charlie Hebdo“ gut. „Zwei meiner besten Freunde sind tot“, sagt er. „Mein Herz ist gebrochen, ich weiß nicht, was ich machen soll.“ Annette Kögel/Martin Niewendick
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