Von Thorsten Metzner: Zwei Oppositions-Stimmen für Große
Parlaments-Vizepräsidentin der Linkspartei bleibt bildungspolitische Sprecherin. Protest vor dem Landtag
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Potsdam - Nach dem von Stasi-Enthüllungen begleiteten Fehlstart der rot-roten Koalition in Brandenburg ging am Mittwoch im Landtag die Wahl der neuen Vize-Parlamentspräsidentin überraschend glatt über die Bühne. Für die 53-jährige Linke-Bildungsexpertin Gerrit Große, die die Nachfolge der nach Stasi-Vorwürfen zurückgetretenen Linken Gerlinde Stobrawa antrat, votierten in geheimer Wahl 53 Abgeordnete (30 Nein ). Da 51 Koalitions-Abgeordnete anwesend waren, erhielt Große offenbar zwei Stimmen aus der „Jamaika-Opposition“ von CDU, Grünen und FDP. Die drängt weiter auf einen eigenen Vize in der bisher rot-roten Parlaments-Spitze.
Unmittelbar vorher hatte es in der Koalition um die Personalie noch ein Zerwürfnis gegeben. Obwohl Großes Wahl seit mehr als einer Woche abgestimmt war, forderte SPD plötzlich einen Verzicht auf ihren Posten als bildungspolitische Sprecherin. Fraktionschef Dietmar Woidke (SPD) nannte dies „unvereinbar mit der Neutralität“ eines Vizepräsidenten, worauf sich die Linke die Einmischung verbat, von einem „Erpressungsversuch“ sprach. Große erwog am Vorabend sogar den Verzicht auf ihre Kandidatur. Erst in letzter Minute verständigten sich beide Seiten. „Es war unnötig, uns so zu verschrecken“, erklärte Große, die nun zunächst bildungspolitische Sprecherin bleibt. Wie lange noch, lässt sie offen. Sie wolle in dieser Legislatur, ihrer letzten, ohnehin einen Nachfolger einarbeiten. Wann dies geschehe, entscheide sie gemeinsam mit ihrer Fraktion. „Wir lassen uns den Zeitpunkt nicht von der SPD vorschreiben.“ In anderen Landtagen seien zudem Sprecherposten, auch zur Bildung, mit dem Vize-Amt - also vor allem mit der neutralen Leitung der Parlamentsdebatten - vereinbar. Ihre Partei-Aktivitäten will Große, die bei den Bundes-Linken die Bildungssprecher aller linken Parlaments-Fraktionen in Deutschland koordiniert, sowieso fortsetzen. Unterstützung erhielt sie von den Grünen. Fraktionschef Axel Vogel forderte sie auf, Sprecherin zu bleiben, dem „unsittlichen“ SPD-Druck nicht nachzugeben.
Der Posten war seit dem Rücktritt der bisherigen Vize-Präsidentin Gerlinde Stobrawa (Linke) vakant, die nach neuen Unterlagen der Birthler-Behörde als IM „Marisa“ an der Bespitzelung eines Unterstellten beteiligt gewesen sein soll. Für sie ist der Fall nicht ausgestanden. So fordert die Union ihren Mandatsverzicht, den Stobrawa ablehnt. Stobrawa, die bei der Stasi-Überprüfung 1991 als „Grenzfall“ eingestuft worden war, versucht nun die Offensive. Sie stellte gestern die Stasi-Unterlagen zu IM „Marisa“ und eine vierseitige persönliche Erklärung ins Internet (www.gerlinde-stobrawa.de unter „Positionen“). Darin bestätigt sie, dass sie sich den Decknamen damals selbst wählte, bestreitet aber weiter eine wissentliche aktive Spitzel-Tätigkeit. Sie habe nie Aufträge der Stasi erfüllt, nie Berichte geliefert. Sie habe in ihrer Funktion als Mitglied des Rates des Bezirkes Frankfurt/Oder dienstliche Gespräche mit der Stasi geführt. Darauf gehe offenbar einer der Berichte - eine in Ich-Form gehaltene Abschrift eines Tonband-Mitschnitts - über den Unterstellten zurück. Dort heißt es auch: „Sie berichtet auftragsgemäß zur Person.“
Am Mittwoch debattierte der Landtag einen CDU-Vorstoß, Abgeordneten bei schweren Stasi-Belastungen das Mandat aberkennen zu können. Die Union steht mit dieser Forderung, die alle anderen Fraktionen für verfassungswidrig halten, allein. Die Stasi-Überprüfung des Landtages, die erste seit 1991, soll ohne „Unwürdigkeitsklausel“ im Januar 2010 im Parlament beschlossen werden.
Wegen der Stasi-Vita mehrerer Linke-Abgeordneter demonstrierten vor dem Landtag am Morgen rund einhundert SED-Opfer für ein Ende der rot-roten Koalition in Brandenburg. Sie riefen in Sprechchören „Stasi raus.“ In der Landtagssitzung am Donnerstag wird das Parlament die frühere DDR-Bürgerrechtlerin Ulrike Poppe zur ersten Stasi-Landesbeauftragten Brandenburgs wählen.
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