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SERIE: 60 Jahre Filmuni Der Beginn eines Abenteuers

Ein britischer Student hinter der Mauer: In einem sozialistischen Land zu studieren, erschien attraktiv. Von John Green

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Die Filmuniversität Potsdam wird in diesem Jahr 60 Jahre alt. Als Hochschule für Film und Fernsehen HFF hat sie Jahrzehnte des Filmschaffens in Babelsberg mitgeprägt. Ehemalige Studierende erinnern sich nun in den PNN an ihre Studienzeit.

Ich begann mein Kamerastudium an der Filmhochschule für Filmkunst 1964. Ich war der einzige britische Student, der damals in der DDR studierte. Der Kalte Krieg war voll im Gange. Für mich war das jedoch nicht abschreckend, sondern der Beginn eines Abenteuers, der Eintritt in eine andere Welt. Die Vorstellung, in einem sozialistischen Land zu studieren, war attraktiv, denn ich wollte das kreative Potenzial des Films mit sozialer Verantwortung verbinden. Damals war die allgemeine Vorstellung, dass ich vom KGB entführt oder einer Gehirnwäsche unterzogen, eventuell auch eingesperrt werden würde. Viele im Westen nahmen an, dass die DDR eine russische Kolonie sei, wo nur Russisch gesprochen wurde. Ich hatte zwar einige Bedenken, aber war auch aufgeregt, dass ich nun in einem sozialistischen Land leben würde.

Nachdem ich mein Diplom in Zoologie an der Universität von Bristol, im Südwesten Englands, abgeschlossen hatte, entschied ich, dass ein Leben, in dem man ständig Tierkadaver sezierte und vom Gestank von Formaldehyd umgeben ist, nichts für mich war. Ich interessierte mich für Menschen und soziale Geschehen. Als Teenager in meiner Heimatstadt Coventry hatte ich eine ganze Reihe internationaler Filme gesehen und war fasziniert. In dem kleinen Kino dort hatte ich meine Liebe für den Film entdeckt.

Das Besondere an der Filmhochschule in Babelsberg war, dass sie klein und intim war mit nur knapp 100 Studenten. Ich hatte Kommilitonen aus aller Welt; aus Lateinamerika: zwei aus Guatemala, einer aus Costa Rica, zwei aus Kuba und einer aus Venezuela; aus Afrika kam ein Sudanese, einer aus Äthiopien; zwei aus dem Irak, dazu noch zwei aus Indien, einer aus der Mongolei – sowie zwei junge Frauen aus Bulgarien. Dazu gehörte auch Jerzy Zweig, der als Buchenwald-Kind bekannt war. Wir waren eine bunte Truppe mit vielen Sprachen, und Unterhaltungen waren oftmals kompliziert. Hinzu kamen die verschiedenen emotionalen und psychologischen Konflikte, die sich meist wegen Beziehungen zu Mädchen oder durch verletzten Stolz ergaben. Doch im Großen und Ganzen verstanden wir uns großartig. Wir wohnten alle sehr nah beieinander, unweit der Hochschule, sodass sich eine enge freundschaftliche Atmosphäre entwickeln konnte.

Die Hochschule lag im Grenzgebiet zwischen (West–)Berlin und Potsdam. Das hieß, wir brauchten Passierscheine, um dort zu sein. Ich glaube, wir waren zu einer guten Zeit an der Hochschule. Die Stalinistische Phase war gerade überwunden, wo solche Ausdrücke von ‚bürgerlichem Individualismus' wie das Tragen von Bärten (wie ich einen hatte), Jeans oder Parkas verpönt gewesen waren.

Die Fenster unserer Vorlesungsräume lagen zum See, der die DDR von Westberlin teilte. Wir sahen oft zum Fenster raus und beobachteten die Polizeiboote, welche die unsichtbare Grenze in der Mitte des Sees patrouillierten. Durch die Wipfel der Bäume konnte man die Spitze des Fernsehturms von Westberlin sehen, und oft habe ich mich gefragt, was die Leute auf der anderen Seite empfanden, wenn sie uns sahen.

Die Sommer waren idyllisch in Babelsberg. In den Wäldern hörte man ganze Chöre von Vögeln. Die Seen waren warm und in der Woche meist verlassen. Eine Gruppe von uns verbrachte oft, ausstaffiert mit belegten Broten und Handtüchern, den Tag am See, wir lagen in der Sonne, badeten und gingen in den Wäldern spazieren.

Das Dokumentarfilmstudio in Babelsberg bekam zu dieser Zeit den Auftrag, eine englischsprachige Programmserie für die Schulen zu produzieren. Als der einzige britische Student in der DDR und da es dort sowieso nur wenige Briten, bekam ich des Öfteren kleine Rollen in der Serie und konnte so mein schmales Stipendium aufbessern. Ich bekam auch eine kleine Rolle als Royal-Air-Force-Offizier in dem Spielfilm „Gefrorene Blitze“ über die Entwicklung der V-2 unter Regie von Janos Veiczi (1967).

Ich war vier Jahre lang an der Filmhochschule und habe jede Minute genossen. Die Möglichkeit, eigene Filme zu machen und so viele Klassiker sehen zu können, darunter Eisenstein, Dowtschenko, Pudowkin, Vigo, Pabst und Renoir und eine Reihe von Nazi-Filmen, die ich nie vorher gesehen hatte. Die stimulierenden Diskussionen zwischen Studenten zu erleben, besonders weil jeder die Erfahrung seines Landes mit einbrachte, war gedankenanregend und bereichernd.

Eine kurze Vorlesungsreihe fand ich besonders stimulierend, und zwar die von dem bekannten US-amerikanischen Filmkritiker Jay Leyda. Er hatte bei Eisenstein in Moskau studiert und wurde in seinem eigenen Land verfolgt von McCarthy und seinen Leuten. Er zeigte uns Leni Riefenstahls Filme über die Olympischen Spiele und half uns zu erkennen, dass ihren Bildern eine anti-humanistische, ja faschistische Ideologie zugrundelag: In ihren Filmen wurde der menschliche Körper zur Maschine und auch als Maschine verherrlicht. Man sah nichts von Anstrengung, Schwäche und Enttäuschung, nichts von wirklich menschlichen Emotionen, die einen Olympischen Wettkampf begleiten.

Die Studenten hatten ihren eigenen Club mit einer Bar in einer der alten Villen auf dem Hochschulgelände, und manche Party wurde hier gefeiert bis in die frühen Morgenstunden. Die Lateinamerikaner waren die besten Party-Leute, und selbst wenn nur einer von ihnen anwesend war, kam es garantiert schnell zum Tanzen und zu guter Stimmung. Sie wussten, wie man feierte. Die Tatsache, dass die Filmhochschule etwas abgelegen war, also nicht mitten in der Stadt oder in der Nähe von anderen Studieneinrichtungen, führte dazu, dass wir in unserer kleinen Enklave eine recht intime Beziehung miteinander hatten. Auch wenn dies durch den Mangel an Ablenkung von außen etwas künstlich war, bewirkte diese Konzentration auf uns selbst auch, dass wir sehr entspannt miteinander waren und viel Spaß hatten. Viele ehemalige UFA-Filmstars und -Regisseure hatten hier gewohnt, und das Gelände war voller etwas verwahrloster Villen und Stadthäuser, von denen einige als Unterbringungsort für die Studenten genutzt wurden.

Zu meinen deutschen Mitstudenten aus dieser Zeit gehörten die Regisseure Günter Lippmann, Konrad Weiß, Peter Rocha und Volker Koepp sowie auch der Schauspieler Winfried Glatzeder, der sein Schauspieldebüt im Hochschulfilm „Der Onkel ist tot“ hatte, bei dem der Venezolaner Alfredo Lugo Regie führte und ich an der Kamera war.

Ich kehrte 1968 nach Großbritannien zurück und begann meine Arbeit für das DDR-Fernsehen, welche 20 Jahre lang dauerte, ich machte auch eigene kleinere Filme.

Natürlich war nicht alles rosig, aber alles in allem habe ich viele gute Erinnerungen an diese Zeit – an die Wärme und Herzlichkeit, die Freundschaften und die Atmosphäre der Zusammenarbeit und Unterstützung trotz allen politischen Drucks und mancher Beschränkung.

Der Autor hat das Studium an der Hochschule für Film und Fernsehen 1968 im Studiengang Kamera abgeschlossen.

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