25 Jahre Sozialwerk Potsdam: Ansagen für Klarheit
Das Sozialwerk Potsdam wird 25 Jahre alt. Der Verein kümmert sich um die Belange von Sehbehinderten
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Potsdam - Es sind Kleinigkeiten, über die man im Alltag kaum nachdenkt: Die Ansage der nächsten Station in der Tram, eine kräftige weiße Linie am Boden an der Haltestelle oder die „klopfenden“ Fußgängerampeln, die auf Knopfdruck ein akustisches Signal geben, wenn die Ampel auf Grün schaltet. Setzt man sich eine der Brillen mit den halbblinden Gläsern aus Folie auf, die einen zum „Sehbehinderten“ machen, wird schnell klar, wie hilfreich diese Kleinigkeiten für Blinde und Sehbehinderte bei den täglichen Wegen durch die Stadt sind. Die Betroffenen müssen dann nicht andere um Hilfe fragen, sondern können sich besser allein orientieren und bewegen. Dafür, dass sich die Situation für Potsdamer, die nicht oder nicht mehr richtig sehen können, weiter verbessert, setzt sich seit 25 Jahren das Sozialwerk Potsdam e.V. ein.
Angefangen hat alles am 27. September 1990, erinnert sich Reinhard König, der ehrenamtliche Geschäftsführer des Vereins. Der 78-Jährige war damals Leiter eines städtischen Heimes für Blinde und Sehbehinderte in der Ludwig-Richter-Straße. Das Heim mit den 48 Bewohnern, das stand damals fest, sollte privatisiert werden. Mit der Gründung eines Vereins hatte man sich zunächst Chancen als neuer Betreiber erhofft. Daraus wurde zwar nichts – die Hoffbauerstiftung machte später das Rennen.
Der Verein war aber trotzdem dringend nötig, wie schnell klar wurde. Denn mit der Deutschen Einheit hatte sich für Blinde und Sehbehinderte viel geändert. Alte Ansprechpartner fehlten, neue Gesetze für Hilfsleistungen galten, gleichzeitig hatte sich der Sehbehindertenverband der DDR aufgelöst. „Es gab eine komplett neue Versorgungsstruktur – das war eine sehr große Herausforderung“, berichtet Stephanie Seidel. Die 45-jährige Juristin, die selbst blind ist, ist seit 13 Jahren Mitarbeiterin in der Beratungsstelle des Sozialwerks. Die Stelle übernahm der Verein kurz nach seiner Gründung von der Stadt.
Damals wie heute hat die Beratungsstelle, die mittlerweile im Staudenhof sitzt, zwei Mitarbeiter. Und Stephanie Seidel und ihre Kollegin sind nach wie vor gefragt: Pro Woche beraten die beiden zwischen 20 und 30 Sehbehinderte mit verschiedenen Fragen, sagt sie. Da geht es um Sozialleistungen, um die sogenannte Blindenhilfe, die das Land zahlt, um die Übernahme von Kosten zum Beispiel für Taxifahrten, eine Putzhilfe oder eine Begleitperson. Aber auch Beruf und Ausbildung seien oft Thema: Betroffene wollen mehr über ihre Ausbildungschancen erfahren und darüber, wie sie einen Job finden können. Da der Blinden-und-Sehbehinderten-Verband Brandenburg in Cottbus sitzt, ist das Sozialwerk für Betroffene aus Potsdam und dem Landkreis Potsdam-Mittelmark häufig erster Ansprechpartner.
Rund 1500 Blinde und Sehbehinderte gibt es in Potsdam, schätzt Stephanie Seidel. Im Sozialwerk sind seit Jahren rund 250 Mitglied. Zunehmend sind auch Ältere betroffen, die erst durch Krankheit oder Unfall ihr Augenlicht verloren haben. Für diese Gruppe sei die neue Orientierung im Alltag eine besondere Herausforderung, sagt Stephanie Seidel. Hilfreich sei oft der Austausch mit anderen Betroffenen – sei es in einer vom Sozialwerk angebotenen Selbsthilfegruppe, bei Veranstaltungen wie den regelmäßigen Spaziergängen oder beim monatlichen Gesprächs- und Infokreis. In akuten Fällen machen Seidel und ihre Kollegin auch Hausbesuche und beraten, wie man die Wohnung umrüsten kann, um die neue Situation besser zu meistern.
Auch für eine barrierefreie Stadt engagiert sich das Sozialwerk. Stolz ist man beispielsweise auf die schrittweise Umrüstung auf blindengerechte Ampeln, die die Stadtverordneten im Jahr 2007 beschlossen haben. Auch mit dem Verkehrsbetrieb sei man im Gespräch, berichtet Stephanie Seidel. So habe man beispielsweise die Mitarbeiter mit den eingangs beschriebenen Simulationsbrillen für die Bedürfnisse von Sehbehinderten sensibilisiert. Das Ergebnis: Heute werden in Trams und Bussen die Stationen angesagt, an vielen Haltestellen gibt es deutliche Markierungen mit weißer Farbe oder geriffelten Streifen auf dem Boden.
Eine offene Forderung sei noch die Ansage der Straßenbahnnummer an den Stationen über Lautsprecher nach draußen – in anderen Ländern längst Standard. Heute sind Blinde auf Hilfe von Mitwartenden angewiesen, um zu erfahren, welche Tram einfährt. Gerade ältere Erblindete erlebten diese Situation als sehr belastend. „Manchmal muss ich sogar in die Bahn hineinbrüllen“, berichtet Stephanie Seidel.
Das 25-jährige Jubiläum feiert das Sozialwerk, das sich aus Spenden sowie Fördergeldern von der Stadt, dem Landkreis Potsdam-Mittelmark und dem Land finanziert, am 1. Oktober in der Gaststätte „Zum Lindenhof“ in der Neuendorfer Straße. Neben Landtagspräsidentin Britta Stark (SPD) hat sich auch Brandenburgs Sozialministerin Diana Golze (Linke) angekündigt.
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