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Schauplatz Kino: Mit einem Feuerinferno in einem Lichtspieltheater (l.) – gebaut von Babelsbergs Kulissen-Experten – endet „Inglourious Basterds“. Der Film ist vor allem wegen des Spiels von Christoph Waltz (r.) sehenswert.

© Universal Verleih

Landeshauptstadt: Besessen von Babelsberg

Seit 1912 wird in Babelsberg Kino gemacht. Die PNN haben zum Potsdamer „Jahr des Films“ zwölf wichtige Babelsberg-Filme ausgewählt und erzählen ihre Geschichten: Meilensteine auf dem Weg von der Wiege des deutschen Films zum Hollywood der Republik. Heute Teil 12: Inglourious Basterds

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Besessen – von Babelsberg. „Es war Tarantinos größter Wunsch, einmal in unseren Studios zu drehen“, erzählt Christoph Fisser, Studiovorstand. Dass der amerikanische Kult-Regisseur unbedingt in Babelsberg arbeiten wollte, wusste man in den Traditionsstudios – nicht zuletzt ist Tarantino großer Fan des Regisseurs Georg Wilhelm Pabst, der auch in Babelsberg gewirkt hat. Doch wie stark die Babelsberger Flamme in Tarantino gebrannt haben muss, wurde Fisser und seinem Vorstands-Compagnon Carl Woebcken erst klar, als die beiden im Sommer 2008 mit dem „Pulp Fiction“- und „Kill Bill“-Macher in Los Angeles zusammentrafen. Im Gepäck hatte Tarantino das Buch zu seinem neuen filmischen Geniestreich, zu „Inglourious Basterds“. „Es war der 5. Juli, das Datum werde ich nicht mehr vergessen“, gibt Fisser zu. „Tarantino hat sehr viele Talente, eines davon ist es, herausragend zu schreiben.“ Fisser sieht beim Lesen den Film, gibt er zu. Und ist beeindruckt von der Zielstrebigkeit des Amerikaners. „Tarantino wollte den Film unbedingt machen“, erinnert sich Fisser. Und unbedingt in Babelsberg. Binnen Wochenfrist war Tarantino in den Potsdamer Studios. Und blieb.

Besessen vom Film ist Tarantino. „Jeder, der mit ihm zusammengearbeitet hat in Babelsberg, spürte das“, sagt Fisser. Das ging so weit, dass Tarantino ohne Rücksicht sein Filmprojekt vorantrieb. „Für ihn stand vom ersten Tag an fest, dass der Film gemacht wird.“ Auch wenn anfangs die Finanzierung nicht stand, zwischendurch mit Leonardo DiCaprio ein geplanter Hauptdarsteller absprang – der Kultregisseur arbeitete unbeirrt und wie manisch an seinem Projekt „Inglourious Basterds“. Im August 2008 reiste der Filmemacher an, um den Dreh in Deutschland vorzubereiten, fuhr mit seinem engsten Drehstab nach Görlitz und ins sächsische Sebnitz, wo die Anfangssequenz der II.-Weltkriegs-Farce gedreht wurde. Dort spielte er an Ort und Stelle die Szenen vor, inklusive aller Dialoge. In jeder Rolle: Tarantino selbst. Selbst mit Vögeln interagierte er, erinnern sich Teilnehmer der Drehort-Besichtigungen. „Er ist fantastisch und fanatisch“, fasst es Fisser zusammen.

Besessen von Tarantino ist auch Babelsberg. Tarantino beherrschte die Ateliers mit seiner Arbeitsweise. Und das schon vor dem eigentlichen Drehstart im Oktober 2008. Nie zuvor war das Interesse so groß an Babelsberg. Medien stürzen sich auf das Studio, wollen das erste Foto von Tarantino oder Brad Pitt in den Ateliers. Die Folge: Schon früh werden Sichtschutzzäune, Planen und Bretterwände errichtet. Ein weiterer Rekord wird gebrochen: Mehr als 6000 Komparsen melden sich auf den Aufruf der Produktion. Die Schlangen an den Anmeldetagen winden sich um das Studiogelände. Einige der Kleindarsteller reisen aus Skandinavien oder Großbritannien an, berichtete das Casting-Büro.

Währenddessen wurde im Studio alles für Tarantino vorbereitet. Vor allem die Kulissenbauer vom Babelsberger Art Department waren gefragt. Das Außen-Set „Berliner Straße“ musste laut Drehbuch französische Hauptstadtluft in Besatzerzeiten atmen. Die Spezialeffekte-Macher und Pyrotechniker standen bei dem explosionslastigen Streifen vor einigen Herausforderungen. Am aufwendigsten, daran erinnern sich alle Beteiligten, war jenes Pariser Kino, in dem am Ende des Films Adolf Hitler in einer Feuersbrunst umkommen soll. Ein Mammutunterfangen auch für die 160 Stunt-Leute aus ganz Europa, die für diesen Einsatz koordiniert werden mussten.

Das war unter anderem Aufgabe für eine 26-jährige Potsdamerin. Sarah Blaßkiewitz unterstützte die Stunt-Koordination, bereitete die Probe-Drehs vor. „Es war total durchchoreografiert, jeder in dem voll besetzten Kinosaal wurde so gelenkt, damit die Szene für Tarantino perfekt wurde.“ Gedreht wurde das Feuerinferno in einer stillgelegten Fabrik, zusätzlich wurde noch ein Modell des Kinos in den Babelsberger Studios abgebrannt, um weitere beeindruckende Bilder zu bekommen. Die Drehzeit sei einzigartig gewesen, sagt sie. Vom Aufwand her, aber auch vom persönlichen Einsatz, den Tarantino wie selbstverständlich von jedem Beteiligten abverlangte. „Die Arbeitsbelastung war enorm“, rekapituliert Sarah Blaßkiewitz. Dazu kam die Furcht vor der spontanen „Hire and Fire“-Praxis bei amerikanischen Produktionen. Manch einer, der am Morgen noch Produktionsmitglied ist, durfte sich am Nachmittag schon nach einem neuen Job umgucken – wenn Regisseur Tarantino unzufrieden war mit der Arbeitsleistung.

Besessen von seinen Launen ist Tarantino. Dröhnte sein schallendes, intensives Lachen durch das Studio, wusste jeder am Set, es wird ein guter Tag. Doch genauso gab es Momente, an dem die Atmosphäre am Set angespannt blieb, der Meister unzufrieden war und sich über Unvollkommenheiten ärgerte. Tarantino ist Perfektionist in seiner filmischen Arbeit. Und ein wandelndes Filmlexikon, weiß Fisser. Das zeige sich auch oft in seinen Arbeiten, die oftmals adaptierte Szenen aus bekannten Filmen sind, sagt der Studio-Chef.

Auch die „Basterds“-Schlüsselszene, in einem kleinen Bistro kurz vor Paris, als das Hitler-Attentat der „Basterds“ um Brad Pitt alias Leutnant Aldo Raine geschmiedet wird, ist eine Reminiszenz an einen von Tarantinos Lieblingsfilmen. Er meinte dazu: „Die ,La Louisiane’-Szene ist eine kürzere Fassung des Films „Reservoir Dogs“, aber mit Nazis und Deutschen. Sie spielt nicht in einer Lagerhalle, sondern in einem Barkeller.“ Der befand sich im brandenburgischen Städtchen Nauen, in das die Filmcrew zog. Zweieinhalb Wochen davor ließ Tarantino nur für die Szene proben, erinnert sich Hauptdarstellerin Diane Kruger. „Als wir die Szene endlich drehten, fühlte ich mich wie in einem Theaterstück“, berichtet Kruger später. Auch sie bewertet Tarantino als einzigartig. „Einer der Gründe, warum Quentin ein so großer Regisseur ist, besteht darin, dass er dich auch dann noch sieht, wenn du nur im Hintergrund spielst. Du weißt genau, du kommst mit nichts davon und du willst es auch nicht, weil du als Schauspieler spürst, wie sehr er schätzt, was du tust.“

Wie von seiner Filmleidenschaft ist Tarantino auch von Ritualen besessen gewesen, erinnern sich Wegbegleiter aus der „Basterds“-Drehzeit in Babelsberg. So ließ er alle Schauspieler mit Sprechrollen von Hauptdarsteller Brad Pitt bis zu den deutschen Nebenrollen von Ken Duken, Ludger Pistor oder Jana Pallaske, vor Drehstart zum Drehbuchlesen antreten. „So lernte sich die gesamte Schauspielcrew einmal kennen, auch jene, die im Film überhaupt nicht zusammenspielen“, erklärt Fisser. Eine seltene Maßnahme, der sich aber auch die Top-Stars ohne Murren anschlossen. Auf jede 100. abgedrehte Filmrolle ließ der Kult-Regisseur anstoßen. Und an jedem Donnerstag lud Tarantino höchstpersönlich zum Kinoabend nach der Arbeit ein. „Aus Quentins Schatztruhe“ nannte sich das allwöchentliche Event in einem Vorführraum des Studios Babelsberg. „Wir mussten sogar unser Kino umrüsten, damit die Filme, die er zeigen wollte, auch laufen konnten“, erinnert sich Studio-Vorstand Christoph Fisser. Die Streifen kamen allesamt aus Tarantinos eigener, riesengroßen Filmesammlung. Oft waren es Titel, die ihn zu Szenen in „Inglourious Basterds“ inspiriert hatten, sagt Fisser. Die teambildende Maßnahme war ein weiteres Ritual, das Tarantino bis zum Drehende in Babelsberg im Februar 2009 beibehielt. Schon kurz darauf, im Mai des selben Jahres, feierte der Film eine umjubelte Weltpremiere auf dem Festival in Cannes. „Ich war beim ersten Schauen des Films überzeugt, dass wir damit einen Oscar-Favoriten haben“, sagt Fisser. Der Triumph deutete sich schon in Frankreich an, dort erhielt Christoph Waltz für sein herausragendes Spiel als SS-Offizier Hans Landa den Schauspielpreis des Festivals. Tarantino hingegen trieb offenbar noch eine andere Bitte in Frankreich um. „Er wollte unbedingt eine Straße auf dem Babelsberger Studiogelände“, erinnert sich Fisser. Schon während der Dreharbeiten in Potsdam hatte Tarantino den Wunsch mehrfach geäußert, in Cannes wiederholte er seine Bitte.

Besessen von sich selbst? Das Studio kam dem Flehen des Kultregisseurs nach – direkt an der Ecke, auf die Quentin Tarantino über ein halbes Jahr lang von seinem Babelsberger Büro geblickt hat, erstreckt sich nun die Quentin-Tarantino-Straße, gekreuzt von der G.-W.-Papst-Straße, dem Idol des „Inglourious Basterds“-Machers. Es war eine begründete Ausnahme, dass eine Straße nach einem Lebenden benannt wurde. Schließlich war der Film nicht nur eine der bislang größten Produktionen für Babelsberg, er war mit der Goldenen Palme, den Golden Globes und nicht zuletzt mit dem Oscar für Christoph Waltz auch höchst erfolgreich. „Allerdings hätte ich Tarantino auch einen Oscar gewünscht, für das herausragende Drehbuch wäre es verdient gewesen“, sagt Studio-Vorstand Christoph Fisser, der mit dem Kult-Regisseur weiterhin in Kontakt ist. Denn Tarantino, so sagt Fisser, würde gern wiederkommen nach Babelsberg. „Er ist besessen vom Kino, der Filmgeschichte und von seinen Ideen – im positiven wie negativen Sinn – eben ein Film-Wahnsinniger“, sagt Fisser liebevoll.

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