
© Andreas Klaer
Serie: Angekommen in Potsdam: „Besiegen“ ist ein wichtiges Wort
Seit einem Jahr ist Wajih Albunni in Potsdam _ und möchte endlich arbeiten. In seinem Heimatland Syrien war er Elektroinstallateur.
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Sie kommen aus Afghanistan, Syrien, Eritrea oder Kamerun und hoffen auf ein besseres Leben in Deutschland. Doch in der Realität haben es die Flüchtlinge hier oft schwer – es gibt Probleme mit der Sprache, der Arbeitserlaubnis oder den neuen Nachbarn. Jeden Donnerstag stellen die PNN einen Menschen vor, der zumindest ein Stück weit in Potsdam angekommen ist.
Zwei Sachen hat Wajih Albunni immer dabei. Einen Taschenkalender für das Jahr 2013, den er als Vokabelheft benutzt. In den er jedes neue deutsche Wort einträgt. Und sein Telefon. Im Café in Potsdam wird sein Espresso kalt, während er durch die Fotoalben im Handy blättert. „So war Homs früher, vor dem Krieg“, sagt Wajih. Man sieht belebte Straßen, in denen grüne Bäume zwischen Wohnhäusern stehen. Und sein Lieblingscafé. „Ist jetzt alles zerstört“, sagt er. „Homs war eine schöne alte Stadt. Ich bin sehr traurig.“ Auch das kaputte Homs hat er fotografiert, kaputte Moscheen und Kirchen, das Haus, in dem einst seine Wohnung war und er selbst neben seinem ausgebrannten Auto stehend. Als kaum noch etwas von seinem Leben übrig war, der Krieg auch Familienangehörige, Freunde und die Freundin ausgelöscht hatte, entschied er sich zu gehen. Packte einen Rucksack, zog gute Schuhe an. Borgte sich etwas Geld von seinem Freund. Und lief los.
Bis zum Libanon sind es von Homs etwa 50 Kilometer. Man schleicht nachts irgendwie über die Grenze, damit einen die Soldaten nicht erwischen, sagt er. Vom Libanon fährt man mit einem Schiff rüber zur Türkei, ganz normal mit einem Ticket. Die weiteren Stationen sind Griechenland, Montenegro, Serbien. Meist zu Fuß, manchmal nimmt ihn ein Auto mit. „Das war keine Urlaubsreise. Das war eine Scheiße-Reise“, sagt er und muss grinsen über den deutschen Reim. In Ungarn wird er festgenommen, muss seine Fingerabdrücke abgeben und soll dort in ein Heim. Aber er will nicht in Ungarn bleiben. Er orientiert sich auf Google Maps, fährt auf eigene Faust nach Budapest und weiter nach Deutschland, München, Eisenhüttenstadt. Seit November 2014 hat er seine Aufenthaltsgenehmigung. Er zeigt eine schicke Karte. „Erwerbstätigkeit gestattet“ steht ganz unten. „Ich möchte endlich arbeiten. Wenn man ganz am Anfang Unterstützung vom Jobcenter bekommt, dann ist das gut. Aber jetzt könnte ich selber Geld verdienen. Wenn man Unterstützung vom Staat bekommt, fühlt man sich klein“, sagt er.
Aber so einfach ist das nicht. In ein paar Tagen hat er das nächste Vorstellungsgespräch – für ein Praktikum. „Ich bin Elektroinstallateur und Elektroanlagenmonteur“ sagt der 29-Jährige. Aber seine Ausbildung in Syrien dauerte zwei Jahre, in Deutschland sind dreieinhalb Jahre normal. Deshalb muss er die Ausbildung nachholen. Hätte er einen Abschluss, so schreibt eine Potsdamer Firma, bei der ein Praktikum absolvierte, dann würde sie ihn sofort einstellen. Und eine andere bescheinigt ihm Ehrgeiz und Motivation, er sei hilfsbereit, halte seinen Arbeitsplatz sehr ordentlich, habe aber auch kein Problem, zuzupacken und sich mal dreckig zu machen. Aber wo soll er jetzt eine Lehrstelle herbekommen?
Das hat Albunni alles auch Frau Illner erklärt, in einer ZDF-Talkrunde. Ihm gegenüber saß Minister Gabriel und Maybrit Illner fragte Wajih Albunni Löcher in den Bauch – was er von Beruf ist, was seine Hobbys sind. Das war im Sommer, sein Deutsch noch nicht so gut. Er holt das Handy raus und zeigt den Videomitschnitt. Er muss lachen darüber, wie er damals verzweifelt nach Worten sucht. „Frau Illner spricht zu schnell“, sagt er. Jetzt hat er sich erst mal bei der Fahrschule angemeldet, sein syrischer und internationaler Führerschein sind hier nicht gültig. Und er will weiter Deutsch lernen. Er hat auch Orientierungskurse besucht. Da lernt man Sachen über Deutschland, sagt Albunni, deutsche Geschichte, Erster und Zweiter Weltkrieg und was Hitler so gemacht hat. Aber das wusste er schon vorher. „Hitler und Assad sind beide Verbrecher“, sagt er. Er holt einen kleinen Zettel aus seiner Tasche, ein Klebi vom Notizblock seiner letzten Elektrofirma. „Ursprung des Terrors“ steht darauf, in dicken, sauberen Buchstaben. Er erklärt: Der Terror entspringt einem Geflecht aus Russland und Iran, Saudi Arabien und Afrika. Und mittendrin Assad. „Der IS ist nicht der Islam“, sagt Wajih Albunni nachdrücklich. Wie man ihn besiegen könnte, weiß er auch nicht. Aber das Wort „besiegen“ wird er sich merken, schreibt es in sein Buch. Das Handy hat es ihm übersetzt, ein kleiner arabischer Kringel erschien am rechten Bildschirmrand.
Auch Albunni geht in die Moschee zum Beten, hat Kontakt zur muslimischen Gemeinde. Was ihm fehlt, sind Kontakte zu Menschen, mit denen er Deutsch sprechen kann. Es ist nicht einfach, im Winter Leute kennenzulernen. Oder die Leute haben Jobs und wenig Zeit. Er verbringt zu viel Zeit mit sich selbst in seiner Wohnung am Schlaatz. Die Ruhe ist gut, sagt er. Aber für einen 29-Jährigen ist es vielleicht auch zu ruhig. Wenn der Krieg eines Tages beendet ist, will er zurück in sein Heimatland. Früher, sagt er, da haben sie doch auch alle ganz normal zusammen in einer Stadt, in einem Land gelebt, Juden, Christen und Muslime. Aber dieses Land gibt es gerade nicht.
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