Landeshauptstadt: Blockbuster statt Dampfloks
Einst stellten Orenstein & Koppel hier Lokomotiven her – nun werden in den alten Fabrikhallen bald Hollywood-Stars arbeiten
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Babelsberg - An den Tag, an dem er zum ersten Mal die alten Lok-Hallen betreten hat, erinnert Ulrich Kling sich noch genau. Es war im vergangenen April. „Ich bin fast umgefallen“, sagt er. Die denkmalgeschützten Backstein-Bauwerke mit gigantischen Ausmaßen wurden damals als Lagerhallen genutzt. „Das war ein schlimmer Anblick.“ Von der Decke hingen kaputte Lampen, viele Fenster waren eingeschlagen, aus den Wänden ragten Kabel. Hier aufzuräumen, war Ulrich Klings Aufgabe. Der drahtige Mann mit Brille und grau gelocktem Haar leitet den Studio- und Atelierbetrieb der Studio Babelsberg AG. Er ist ein Mann vom Fach, kennt sich aus mit historischem Gemäuer, denn auch auf dem ursprünglichen Film-Gelände an der August-Bebel-Straße sind die Studios wie die Marlene-Dietrich-Halle oftmals gleichzeitig Denkmäler.
Doch die Lok-Hallen jenseits der Großbeerenstraße sind ein anderes Kaliber. Und Kling blieb nur wenig Zeit. Im April 2005 hat Studio Babelsberg den Zehn-Jahres-Mietvertrag für die Hallen unterschrieben, schon im Januar dieses Jahres sollte der erste Film dort gedreht werden. Die Produktion hat sich zwar verschoben, doch eilig hatte es Kling trotzdem, die Bauwerke filmtauglich zu machen. Das fing mit den Außenanlagen an: Sie waren verwildert, voller Müll. „Wir haben unzählige alte Kühlschränke und Waschmaschinen gefunden.“ Drinnen mussten die Lagerraum-Mieter ihre Quartiere räumen, doch der marode Zustand blieb. „Es gab Zementdecken, alles war staubig und weiß.“
Davon ist jetzt, knapp ein Jahr später, nichts mehr zu sehen. Mehr als eine Million Euro hat Studio Babelsberg bereits investiert: Die Lok-Hallen heißen nun „Neue Film 1“ und „Neue Film 2“, sie sind sauber und der Fußboden ist frisch asphaltiert. Ihre Größe kommt in diesem Zustand erst richtig zur Geltung. 186 Meter lang ist die „Neue Film 2“, ohne Probleme ließen sich hier zwei ganze Straßenzüge als Filmkulisse aufbauen, sagt Kling. Selbst die „Berliner Straße“, legendärer Backlot des Studios, würde in die Halle hineinpassen. 8255 Quadratmeter sind es insgesamt, fast genauso groß ist ein Fußballplatz. Die Filmproduzenten aus Hollywood, Europa und Deutschland, die sich die neuen Drehorte bisher anschauen konnten, seien begeistert gewesen. „Solche großen Hallen sind sehr viel Wert“, gibt Kling ihre Einschätzung wieder. „Babelsberg kann dadurch um hundert Prozent gewinnen.“ Mit den neuen Hallen besitzt Studio Babelsberg schließlich den größten zusammenhängenden Studiokomplex Europas.
Doch es ist nicht allein die Größe, die zählt. Dass am Standort Film- und Industriegeschichte geschrieben wurde, er ein „ganz anderes Flair atmet“, sei den Machern der Kino-Blockbuster fast genauso wichtig, sagt Ulrich Kling. Außerdem sollen die Produktionsbedingungen in den ehemaligen Fertigungsstätten für Lokomotiven der Firma Orenstein & Koppel überzeugen, sie sollen außerordentlich gut sein. In zwölf Containern mit jeweils fast 14 Metern Länge hat das Studio spezielles Schalldämmungs-Material aus Los Angeles nach Potsdam verschiffen lassen. Es findet sich nun in weißer Farbe an den Wänden und in schwarz an den Decken der Filmhallen wieder. „Vorher hatten wir eine Nachhallzeit von neun Sekunden“, so Kling. Für Dreharbeiten undenkbar. Jetzt fangen die gepolsterten Mauern jedes Geräusch auf – auch den Regen, der von oben auf die Glasdächer prasseln könnte.
In der „Neue Film 2“ ist zudem eine hochmoderne Stromversorgung eingebaut worden: An einer Seitenwand entlang verläuft in großer Höhe eine Metallschiene mit Steckdosen im Abstand von jeweils 1,20 Meter. Damit kann überall Kamera- und Lichttechnik angeschlossen werden, ohne dass es einen Kabelsalat gibt. „Das haben wir selbst in unseren alten Studios nicht“, so Kling. Da die Hallen denkmalgeschützt sind, blieben auch die Relikte aus der Zeit des Lokomotivbaus erhalten: Durch die „Neue Film 2“ zieht sich eine Kranbrücke, auch die Kranhäuschen hängen noch von der Decke. Die Technik soll weiter genutzt werden, an den Stahlträgern kann die beim Film dringend benötigte Beleuchtungstechnik angebracht werden. Doch selbst vor dem Umbau war die Halle bereits als Drehort begehrt: Drei Monate lang war sie für „Mission: Impossible 3“ mit Tom Cruise reserviert, allerdings wurde bekanntlich zum Schluss gar nicht mehr in Deutschland gefilmt. Entstanden ist in der Halle aber schon ein deutscher Erfolgsfilm: Für die Fluchthelfer-Geschichte „Der Tunnel“ wurde zum Dreh im Jahr 2000 ein echter Tunnel in den Boden gegraben.
Die „Neue Film 1“ könnte dagegen sogar selbst Kulisse sei – ihre Bauweise inspiriere Regisseure und Produzenten, meint Kling. Denn die 117 Meter lange und fast 20 Meter hohe Halle verfügt über eine 1430 Quadratmeter große Galerie, und die Eisenstützen, die sie tragen, erinnern verdächtig an Brückenpfeiler in New York. Düstere Großstadt-Szenen unter riesigen Brücken sieht hier selbst ein Laie vor dem inneren Auge, oder auch eine Autoverfolgungsjagd.
Noch sind die beiden Lok-Hallen nicht komplett umgebaut, gearbeitet werden muss auch noch an der Heiztechnik – denn die Gaswannen, die von der Decke hängen, sind veraltet, unsicher und verbrauchen zu viel Energie. Welche Technik eingebaut wird, wo die Filmhandwerker des Art Departements mit einer „fliegenden Werkstatt“ einziehen – all das soll sich klären, wenn aus Hollywood der erste Auftrag da ist. „Dann werden wir maßgeschneidert einrichten“, so Kling. Erfüllen sich die Erwartungen des Studios, wären mit dem A-Liga-Film mit einem Budget von mehr als 150 Millionen US-Dollar die beiden neuen Hallen, ihre Nebengebäude und auch die 10 000 Quadratmeter große Freifläche bis ins kommende Jahr komplett ausgebucht.
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