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Geheimnis im Heiligen See: DDR-Experiment in Potsdam: Der letzte Karpfen

Im Heiligen See wurde ein toter Fisch gefunden. Recherchen der PNN zeigen: Er ist ein Überbleibsel eines gewagten DDR-Experiments.

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Potsdam/Nauener Vorstadt - Das Tier ist schon allein wegen seiner Ausmaße ein Hingucker: Etwa einen Meter lang war der tote Fisch, den ein PNN-Leser vor Kurzem im Heiligen See in der Nähe des Marmorpalais’ entdeckte; im Übrigen wohl ein eher unappetitliches Erlebnis: „Aufgrund des Zustandes gehe ich davon aus, dass er schon längere Zeit verendet ist“, schrieb der Leser. Wieso starb der Fisch vom Heiligen See? Zu schlechtes Wasser? Oder einfach Altersschwäche? Und um welche Fischart handelte es sich überhaupt? Sind noch mehr der Riesenfische in dem bei Badegästen beliebten See unterwegs?

Sorgen um die Wasserqualität im Heiligen See muss sich jedenfalls niemand machen, heißt es vom Bereich Umwelt im Potsdamer Rathaus auf PNN-Anfrage. „Nur weil Fische mit dem Bauch nach oben schwimmen, heißt das nicht, dass der See schlechte Qualität hat“, sagt Stadtsprecher Jan Brunzlow. Die Wasserqualität sei gut – „und wenn das nicht so wäre, würden wir sofort informieren“, betont er. Wasserproben von der als Badestelle geduldeten Nordseite des Sees würden routinemäßig alle zwei Monate und zusätzlich nach besonderen Ereignissen, etwa Starkregen, entnommen. In diesem Jahr habe es bisher – wie schon in den vergangenen Jahren – keine Auffälligkeiten gegeben.

Die Spur des Karpfens führt zurück in die DDR

Das bestätigt auch die Schlösserstiftung, der der See am Neuen Garten gehört. „Der See ist gesund“, sagt Stiftungssprecher Frank Kallensee. Das bis zu zwölf Meter tiefe Gewässer habe sogar eine so gute Qualität, dass dort der seltene und geschützte Süßwassersteinbeißer laicht. Das sei in Vorbereitung der Sanierung der Treppenanlagen am Marmorpalais im vergangenen Jahr festgestellt worden. Für die Stiftung bedeutete das einen nicht unerheblichen finanziellen und zeitlichen Mehraufwand, denn die Fische hätten vor Beginn der Arbeiten fachmännisch umgesiedelt und danach wieder eingesetzt werden müssen, sagt Kallensee.

Um einen Süßwassersteinbeißer handelt es sich bei dem jetzt gefundenen und bereits von einem Stiftungsmitarbeiter ordnungsgemäß entsorgten Fisch aber nicht. Die Spur führt stattdessen zurück in die DDR, wie im Gespräch mit Experten schnell klar wird. Ein Marmor- oder Silberkarpfen dürfte der tote Fisch demnach gewesen sein, das sagen sowohl Lars Dettmann, der Geschäftsführer des Fischereiverbandes Brandenburg, als auch Uwe Brämick, der Leiter des Instituts für Binnenfischerei in Potsdam-Sacrow, nach Vorlage der Bilder. Die genaue Unterscheidung zwischen den beiden verwandten Arten, die anhand bestimmter Flossenmerkmale vorgenommen wird, gestaltet sich mit den Fotos schwierig. Fakt ist aber: Beide Arten sind in Europa eigentlich gar nicht heimisch, sie stammen aus Südostasien. Das Tier ist ein Erbe der DDR-Fischereiwirtschaft – und Überbleibsel eines aus heutiger Sicht gewagten Experiments.

Karpfen aus China und der Sowjetunion für Potsdam

Und der Versuch betraf bei Weitem nicht nur Potsdam, wie Uwe Brämick berichtet. Anfang der 1980er-Jahre seien Silber-, Marmor- und Graskarpfen in großem Stil aus China und der Sowjetunion zur Vermehrung in die DDR geholt und dann in den hiesigen Gewässern ausgesetzt worden – in der Hoffnung, einen essbaren Fisch zu bekommen, der den heimischen nicht die Nahrung streitig macht. Weil sich diese asiatischen Karpfen – anders als heimische Arten – hauptsächlich von pflanzlichem Plankton ernähren, also großenteils von Algen, hoffte man außerdem auf eine verbesserte Wasserqualität.

Die Realität sah aber anders aus. Denn es stellte sich heraus, dass die Fische doch mehr tierisches Plankton, also etwa kleine Krebse, zu sich nehmen als gedacht. Das machte sie nicht nur zu Konkurrenten für die heimischen Fische, sondern hatte auch auf die Wasserqualität eher negative Auswirkungen, erklärt Uwe Brämick. Die asiatischen Karpfen erzielten durch ihre Ausscheidungen eher noch eine Düngewirkung für die ungewünschten Algen.

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Für hiesige Gaumen kaum genießbar

Und essen wollte die Fische auch niemand. „Die haben einen sehr ausgeprägten Geschmack“, berichtet Brämick aus eigener Erfahrung – die Tiere sind bis heute auch im Sacrower See, an dem das Institut für Binnenfischerei liegt, vertreten. Im Sommer seien sie mit ihrem muffigen und durch den hohen Fettanteil tranigen Geschmack für hiesige Gaumen kaum genießbar. Im Winter könne man den Fisch – etwa geräuchert oder zur Fischboulette verarbeitet – zwar essen, sagt Brämick. „Aber der Kracher sind sie nicht“, räumt er ein. Mit der Wende fiel das ohnehin maue Interesse ganz weg. „Der Fischmarkt wurde geflutet mit Importen von Fischen aus aller Welt, die super schmecken und wenig kosten“, sagt Brämick.

Das genaue Ausmaß des Fisch-Experiments ist nicht ganz klar. Aus alten Statistiken sei aber bekannt, dass es zeitweilig DDR-weit Erträge in der Größenordnung von 1000 Tonnen gegeben hat, erklärt Fischereiexperte Brämick: „Daraus kann man ableiten, dass viele Gewässer besetzt worden sein müssen.“ Für den Sacrower See etwa sei bekannt, dass 1987 die letzten der Karpfen in größeren Mengen ausgesetzt wurden.

In den USA ist von Killer-Karpfen die Rede

Aus dieser Zeit dürfte auch der Fisch vom Heiligen See stammen – er hatte also mindestens 30 Jahre auf dem Buckel. Dazu, wie alt die Tiere werden können, gibt es keine Erfahrungswerte, betont Brämick: „Es kann sein, dass in fünf Jahren alle weg sind, es kann sein, dass wir in 20 Jahren immer noch welche haben.“ Dass es sich bei dem jetzt gefundenen Fisch um einen jüngeren Nachkommen handelt, sei aber praktisch ausgeschlossen. Denn vermehren können sich die Tiere im hiesigen Klima nicht, dazu bräuchten sie unter anderem deutlich wärmeres Wasser. „Das ist im Nachhinein ein großer Glücksfall“, betont Brämick.

Was er damit meint, wird klar, wenn man den Blick auf die USA richtet. Dort wurden die asiatischen Marmor- und Silberkarpfen ab den 1970er-Jahren ins Land geholt, um die Wasserqualität in geschlossenen Systemen zu verbessern. Aber die Fische gelangten ins Freie und sind zur Plage geworden – unter anderem im Mississippi, wo sie mittlerweile mehr als 90 Prozent des Fischbestandes ausmachen sollen und den heimischen Fischen das Essen wegfressen und keine Chance mehr lassen.

Von „Killer-Karpfen“ ist in den USA mittlerweile die Rede, weil die bis zu 50 Kilogramm schweren Tiere bis zu drei Meter hoch aus dem Wasser springen und damit eine Gefahr für Boote und Wasserski-Fahrer darstellen. Es gibt unter anderem Berichte über Knochenbrüche und Gehirnerschütterungen. Verschiedene Versuche, die Ausbreitung der Tiere in Richtung Norden zu verhindern, blieben wirkungslos. Vor einigen Jahren wurde sogar das US-Militär eingeschaltet, um eine Art Elektrozaun gegen die Karpfen zu installieren.

Im Heiligen See sorgten Karpfen schon einmal für Aufregung

Ganz so dramatisch ist die Lage am Caputher See bei Potsdam zwar nicht, als Problem werden die asiatischen Karpfen aber auch dort gesehen. Seit mehreren Jahren ist eine Initiative aktiv, die mittlerweile schon 600 Exemplare aus dem chronisch trüben See gefischt hat (PNN berichteten). Ob die Tiere tatsächlich für das trübe Wasser verantwortlich sind, soll nun in einer Untersuchung geklärt werden. „Die Anzahl dort ist ziemlich hoch für das kleine Gewässer“, sagt Fischereiexperte Uwe Brämick: „Da liegt die Vermutung nahe, dass sie mitverantwortlich sind für den ökologischen Zustand des Sees.“ Belegt sei das bisher aber noch nicht.

Im Heiligen See sorgten die Karpfen Anfang der 1990er-Jahre schon einmal für Aufregung, wie sich Uwe Dettmann vom Fischereiverband erinnert. Zu Hunderten trieben die leblosen Karpfen damals auf der Wasseroberfläche – im Rangsdorfer See bei Zossen kam es im Winter 2010/11 zu einem ähnlichen Fischesterben. Die genaue Ursache liegt bis heute im Dunkeln: „Wissenschaftlich erklären konnte man das nie“, sagte Dettmann. Beim Heiligen See habe die Schlösserstiftung damals entschieden, dass die Karpfen abgefischt werden sollen. Und so sei es auch geschehen. Der jetzt aufgetauchte Riesenfisch vom Marmorpalais, sagt Dettmann, „das war wohl einer der Cleveren, der überlebt hat“.

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