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Forschung in Potsdam: „Der gesunde Drink ist eine Mär“

Ernährungsforscherin Manuela Bergmann erklärt, warum ein Glas Wein am Tag doch nicht gesund ist, Gesunden aber auch nicht schadet.

Stand:

Frau Bergmann, Sie hatten 2014 mit Kollegen in der EPIC-Studie gezeigt, dass ein Glas Alkohol am Tag das Risiko verringern kann, an einer Herz-Kreislauf-Erkrankung zu sterben. Eine aktuelle britische Studie widerspricht dem nun. Müssen Sie ihr Ergebnis revidieren?

Nein, die aktuelle britische Studie untermauert unser Ergebnis vielmehr. Unser Fazit wurde damals in der Öffentlichkeit falsch interpretiert. Auch die aktuelle Studie zeigt unter bestimmten Voraussetzungen eine Absenkung des allgemeinen Sterberisikos bei geringen Mengen Alkohol. Die Briten haben in ihrer Studie nicht nach Todesursachen unterschieden. Wir wissen aber auch aus unserer Studie, dass die beobachteten Risikoabsenkungen zumeist die Herz-Kreislauf-Todesursachen betreffen.

Also doch ein geringeres Risiko?

Wir hatten bereits 2014 Zweifel an der Kausalität Alkohol-Risikoabsenkung. Es geht darum, welche Personen die Absenkung des Herz-Kreislauf-Risikos betrifft. Wir hatten herausgestellt, dass ein verringertes Risiko nur für Personen zutraf , die bei der ersten Untersuchung keinerlei Krankheiten hatten. Das deckt sich mit den Autoren aus London.

Ein Punkt der Briten ist, dass vorherige Studien ehemalige Alkoholkonsumenten als Nichttrinker gezählt hatten. Diese Nichttrinker hatten dann ein höheres Risiko, nicht, weil sie keinen Alkohol tranken, sondern weil sie zuvor bereits Schaden genommen hatten.

Das trifft tatsächlich auf einige Studien zu. Unsere Untersuchung hat dies allerdings von vornherein berücksichtigt. Die Briten zitieren nun auch unsere Studie, um ihre Ergebnisse zu untermauern.

Bislang hieß es, ein Glas am Tag hat einen positiven Effekt. Nun aber stellen die Briten nahezu kein Unterschied im Sterberisiko zwischen Abstinenz und moderatem Alkoholgenuss fest.

Ich war bei der Auswertung unserer Daten auch skeptisch, ob das abgesenkte Risiko bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen real ist. Man darf diese Beobachtung nicht mechanistisch betrachten, denn auf Bevölkerungsebene ist der Zusammenhang von Alkoholkonsum und Gesundheit sehr komplex. Der generelle Unterschied der beiden Studien ist, wie schon angedeutet, dass die britische Studie die Gesamtsterblichkeit untersucht hat und wir die jeweiligen Todesursachen berücksichtigt haben. Aus der britischen Untersuchung geht daher nicht hervor, woran die Menschen gestorben sind. Wir haben hier genauer differenziert.

Mit welcher Erkenntnis?

Alkoholkonsum erhöht ganz klar das Risiko, an einer Krebserkrankung oder anderen alkoholbedingten Todesursachen wie etwa einem Unfall zu sterben. Da zum Beispiel Personen, die an Krebs und alkoholbedingten Todesursachen im Durchschnitt in einem deutlich jüngeren Alter sterben als diejenigen, deren Todesursache Erkrankungen des Herz-Kreislauf-Systems sind, findet in Abhängigkeit vom Alkoholkonsum auf Bevölkerungsebene eine Selektion statt. Das führt dann dazu, dass eher die Gesünderen an Studien teilnehmen, die auch einen vernünftigeren Umgang mit Alkohol aufweisen. Wir nennen das Selektionsfehler, die sich auf die Ergebnisse von Beobachtungsstudien auswirken können. Dazu kommt, welche Personen dann in der statistischen Auswertung als Vergleichsgruppe genommen werden. Die früheren Studien haben diese beiden Problematiken nicht berücksichtigt und aus dem beobachteten niedrigeren Sterberisiko für Alkoholkonsumenten einen ursächlichen Zusammenhang hergestellt, ohne ihn genauer zu hinterfragen.

Was bedeutet

dass man beispielsweise auch beachten muss, dass die Nicht-Trinker in unserer Kultur eine besondere Gruppe sind. Bei uns ist Alkohol so weit tradiert, dass Personen, die abstinent leben, oft einen triftigen Grund dafür haben, sei es eine aktuelle oder frühere Erkrankung, eine Unverträglichkeit oder Medikamente. Das ist also eine Gruppe, die als Vergleichsgruppe ein höheres Erkrankungsrisiko hat. Damit verglichen scheint dann jeder, der moderat Alkohol trinkt, besser dazustehen. Das abgesenkte Risiko entsteht in diesem Fall aber nicht durch den Alkohol, sondern dadurch, dass die Vergleichsgruppe sehr speziell ist.

Nicht der Drink, sondern das Setting zählt?

Man kann auch die Frage stellen, ob der Konsum von Alkohol, auch wie man ihn zu sich nimmt, ein Ausdruck von Gesundheit ist. Dann ist nicht der Alkohol selbst gesundheitsfördernd, sondern ein Zusammenspiel von Faktoren. Es gibt auch Hinweise für eine genetische Disposition für einen vernünftigen Umgang mit Alkohol.

Die bessere Gesundheit liegt also nicht am Alkohol, sondern daran, dass moderate Trinker einfach gesündere Typen sind?

Das ist eine mögliche Interpretation. Wir vermuten, dass gesunde Menschen Alkohol in moderaten Mengen ohne größere nachteilige Folgen für ihre Gesundheit verkraften, der Alkohol aber nicht die Ursache für ihre Gesundheit ist. Der Effekt, den wir beobachtet haben, kann darauf zurückgehen, dass Menschen, die regelmäßig kleine Mengen Alkohol trinken, also beispielsweise das berühmte Glas Wein am Abend, grundsätzlich einen gesünderen Lebensstil haben als Abstinenzler und Vieltrinker.

Welche Rolle spielt die Gesellschaft?

Das Alkoholtrinken wirkt sich individuell sehr verschieden aus. Man kann schwer sagen, dass jemand vom Alkoholkonsum profitieren könnte. Aber Alkohol ist in unserer Kultur sehr gegenwärtig. Es könnte sein, dass ein moderater Alkoholkonsum für viele Menschen zum Wohlfühlen, zu einer intakten Psychohygiene dazugehört – bei allen Gefahren, die parallel durch Sucht und die toxische Wirkung von Alkohol generell bestehen. Also: Nicht die Substanz ist gesundheitsförderlich, sondern aus einem Komplex von Beziehungen kann ein positiver Effekt entstehen.

Ich denke da an die Freude eines Weinkenners über einen großartigen Tropfen, die Rituale, die damit verbunden sind.

Exakt, alles das kann positive Auswirkungen auf das Gesamtbefinden haben. Man könnte natürlich auch hinterfragen, warum es unbedingt Wein sein muss, warum nicht auch ein Fruchtsaft oder ein anderes alkoholfreies Genussmittel, die Freude und Wohlbefinden bereiten. Natürlich lässt sich die Wirkung des Alkohols nicht vollkommen ausklammern.

Wie sieht es denn mit den viel beschworenen Polyphenolen aus? Sie sollen Rotwein geradezu zu einem Jungbrunnen machen.

Die positiven antioxidativen Eigenschaften dieser sekundären Pflanzenstoffe sind bekannt. Aber eine Kollegin von mir hat ausgerechnet, dass man für eine biologische Wirkung enorme Mengen Rotwein trinken müsste. Was dann natürlich sehr ungesund wäre. Grundsätzlich bleibt die Frage offen, ob die beobachteten positiven Eigenschaften von Alkohol auf das Herz-Kreislauf-System an den Inhaltsstoffen der Getränke, an dem sozialen Miteinander, am Alkohol, an der Gesundheit der moderaten Konsumenten oder an ganz anderen Dingen liegen.

Alkohol bleibt grundsätzlich gefährlich?

Wir Epidemiologen argumentieren auf Bevölkerungsebene. Dabei sehen wir, ganz klar, dass der Alkoholkonsum generell gesenkt werden muss, aufgrund der Folgeerkrankungen. Die Stimmen, die sagten, dass dadurch mehr Herz-Kreislauf-Erkrankungen auftreten, werden durch die Ergebnisse der neuen Studien überstimmt. Dass Todesfälle oder Erkrankungen durch moderaten Alkoholkonsum verhindert werden können, wird nun durch Wissenschaft zu Recht in Frage gestellt.

Das gesunde Glas Wein ist also eine Mär?

Das kann man tatsächlich als absolute Aussage nicht mehr stehen lassen.

Wäre Abstinenz also besser?

Alkohol zu konsumieren, kann prinzipiell nicht empfohlen werden. Das heißt dass wir weder zu- noch abraten, Alkohol zu trinken. Wenn man zum Beispiel aus einer Familie mit Alkoholproblemen kommt, Medikamente einnimmt, Auto fährt, oder schwanger ist, dann sollte man es besser lassen, Alkohol zu trinken. Es gibt auch genetische Dispositionen, bei denen Alkoholkonsum kritisch werden kann. Ansonsten gibt es von der Deutschen Gesellschaft für Ernährung eine klare Position: Wenn nichts gegen Alkohol spricht, dann gilt demnach für Frauen die Obergrenze von zehn Gramm und für Männer von 20 Gramm pro Tag, das entspricht etwa ein beziehungsweise zwei 0,1-Liter-Gläsern Wein oder einem kleinen beziehungsweise einem großen Bier. Hinzu kommt, dass man auch mal Pause machen sollte. Es sollte keinen Automatismus geben.

Schmeckt Ihnen ein Glas Wein überhaupt noch?

Selbstverständlich. Die intensive Auseinandersetzung mit dem Thema hat aber dazu geführt, dass ich beim zweiten Glas Wein, das mir angeboten wird, ablehne. Es ist mir durchaus bewusst, dass es nicht egal ist, wenn man beispielsweise ein ganze Flasche Wein trinkt. Es ist auch immer gut, ein paar Tage ohne Alkohol zu verbringen. Allein schon, um zu testen, ob man das ohne Probleme kann. Unser stärkstes Argument gegen Alkohol ist, dass die Substanz Erkrankungen wie Krebs hervorrufen kann. Das heißt, die problematische Seite des Alkohols überwiegt. Es ist und bleibt eine giftige Substanz, die abhängig macht. Weniger ist immer besser.

Gut, dann gibt es heute Abend nur alkoholfreies Bier!

Warum auch nicht? Gegen Durst ist das gar nicht so schlecht.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

Manuela Bergmann (57) forscht in der Abteilung Epidemiologie zu gesundheitlichen Folgen des Alkoholkonsums. Sie ist verantwortlich für Datenerhebungen im Potsdamer Teil der EPIC-Studie.

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