Landeshauptstadt: Der Turmbau zu Babelsberg
Seit 1912 wird in Babelsberg Kino gemacht. Die PNN haben zum Potsdamer „Jahr des Films“ zwölf wichtige Babelsberg-Filme ausgewählt und erzählen ihre Geschichten: Meilensteine auf dem Weg von der Wiege des deutschen Films zum Hollywood der Republik. Heute Teil 2: Metropolis
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Neulich habe ich den allerdümmsten Film gesehen. Ich glaube nicht, dass es möglich ist, einen noch dümmeren zu machen.“ So beginnt der Rezensent der New York Times am 17. April 1927 seine Kritik zu „Metropolis“. Mit seinem vernichtenden Urteil über den Stummfilm von Fritz Lang ist der Science-Fiction-Autor H. G. Wells nicht allein. Die monumentale Zukunftsvision, die Lang in anderthalb Jahren Arbeit in den Babelsberger Studios erschaffen hatte, befremdet viele Kritiker. Zwar findet die Arbeit der Filmarchitekten Anerkennung, die Geschichte wird aber als schwülstig, bieder und schwerfällig abgetan. Selbst der Regisseur räumt Jahre später ein, er habe „Metropolis“ „albern und blöd“ gefunden.
Das Drehbuch, eine Mischung aus Kapitalismuskritik, Science-Fiction und Erlösergeschichte, stammte aus der Feder von Langs damaliger Frau Thea von Harbou. Im Mittelpunkt steht Freder Fredersen, dessen Vater die Zukunftsstadt Metropolis vom „Neuen Turm Babel“ aus regiert. Als Freder sich in Maria, eine Art sanfte Führergestalt der in der Unterstadt schuftenden Arbeiter, verliebt, gehen ihm die Augen für die unmenschlichen Verhältnisse in Metropolis auf. Gleichzeitig lässt sein Vater einen Maschinenmenschen nach dem Ebenbild der Maria herstellen. Die Doppelgängerin soll die Arbeitermassen zur Revolte und ins eigene Verderben treiben. Es kommt tatsächlich zum Streik und deshalb zu einer Überschwemmungskatastrophe. Freder kann jedoch zwischen seinem Vater und den Arbeitern Frieden stiften.
Der Film floppte an den Kinokassen. Weder die gut zweieinhalbstündige Originalfassung noch diverse eingekürzte Versionen kamen beim Publikum an. Die Ufa (Universum-Film AG) muss für das gescheiterte Experiment teuer zahlen. Wegen des drohenden Bankrotts gerät die Firma an den deutschnationalen Medienmogul Alfred Hugenberg. „Metropolis“ hätte in die Annalen der Filmstadt Babelsberg als gigantische und folgenschwere Fehlinvestition eingehen können.
Das Gegenteil ist bekanntlich der Fall. „Metropolis“ ist zum Klassiker geworden, hat eine weltweite Aufmerksamkeit für Babelsberg geschaffen, die unbezahlbar ist. Langs visionäre Bilder haben das Kino und die Popkultur des 20. Jahrhunderts beeinflusst wie kaum ein anderer Film: „Metropolis“ prägte die Science-Fiction-Ästhetik von „Star Wars“, „Blade Runner“ oder „Matrix“, war Inspiration für Musikvideos von Madonna oder Queen. Seit 2001 steht der Film auf der Unesco-Liste des Weltdokumentenerbes, ist dort neben Beethovens 9. Sinfonie oder Grimms Märchen einer von elf deutschen Einträgen. Die Babelsberger Studios führen die stilisierte Maschinenfrau Maria heute im Logo, der von den Studios gesponserte Berlinale-Preis für Nachwuchsschauspieler hat die Figur der Maria, die 2008 im Filmpark eröffnete Veranstaltungshalle trägt den Film im Namen. „Metropolis“ ist in vieler Hinsicht der Babelsberg-Film schlechthin.
Die erste Klappe fällt am 22. Mai 1925. 310 Tage und 60 Nächte, bis zum 30. Oktober 1926, werden die Arbeiten dauern. Erst 34 Jahre alt ist Fritz Lang beim Drehstart, aber er hat mit „Der müde Tod“, den „Mabuse“-Filmen oder dem Germanen-Epos „Die Nibelungen“ schon mehrere internationale Erfolge gefeiert. „Metropolis“ soll der nächste Kassenschlager werden, die Ufa vermarktet das Projekt als „größten Film aller Zeiten“.
Auch die Babelsberger Studios hatten sich seit Anfang der 1920er Jahre zur großen Traumfabrik entwickelt. Bevölkert von 1000 Arbeitern, 150 Angestellten und vielen hundert Schauspielern, „ein Industriebetrieb, der seinen gesamten Bedarf an Ort und Stelle herstellen kann“, wie ein Ufa-Werbeheft informiert. Im studioeigenen Minizoo gibt es neben Goldfasanen und Wildebern sogar Krokodile. Mit der 1926 fertiggestellten neuen riesigen Aufnahmehalle verbraucht Babelsberg ein Drittel des Strombedarfs von ganz Potsdam, schreibt Corinna Müller im Jubiläumsband zum 90. Geburtstag der Studios. Führende Politiker und Intellektuelle der Weimarer Republik besuchen die Filmstadt, auch Staatsgäste fährt man nach Babelsberg.
Sie alle werden Zeugen, wie Fritz Lang dort die gigantische „Stadt der Zukunft“ errichten lässt. Vorbild war das reale New York, das den Regisseur bei seinem ersten Besuch im Oktober 1924 schwer beeindruckt hatte: „Die Gebäude erschienen mir wie ein vertikaler Vorhang, schimmernd und sehr leicht, ein üppiger Bühnenhintergrund, an einem düsteren Himmel aufgehängt, um zu blenden, zu zerstreuen und zu hypnotisieren.“ Neben lebensgroßen Straßenzügen entstehen in Babelsberg auch Modelle, in die die Schauspieler mit einem Spiegeltrickverfahren projiziert werden – etwa für den „Neuen Turm Babel“, der 500 Meter hoch gedacht war, wie Otto Hunte, einer der drei Architekten, berichtet.
Der Perfektionist Lang verlangt seinem Team alles ab. Der straffe Arbeitsrhythmus zehrt an den Kräften, erinnert sich Huntes Kollege Erich Kettelhut: „Sitzungen bis tief in die Nächte hinein, an den Tagen danach die Verarbeitung des Besprochenen in Entwürfen und Grundrissen, an den folgenden Tagen wieder Regiesitzungen zur festgesetzten Nachmittagsstunde. Ein unerbittlicher Turnus, ohne Berücksichtigung der Sonntage.“ Entnervende Auseinandersetzungen über Details stehen auf der Tagesordnung, zum Beispiel über das Aussehen des Babel-Turms: „Die Diskussion geriet schließlich in psychologische Spitzfindigkeiten, wurde unsachlich, sogar aggressiv.“
Der auf mehreren Ebenen durch Metropolis brausende Verkehr wird mit der zeitraubenden Stop-Motion-Technik animiert, wie Kameramann Günther Rittau berichtet: 300 Modellautos müssen für insgesamt 2100 Einzelbilder millimeterweise per Hand vorgerückt werden. Die Arbeit dauert acht Tage – für zehn Sekunden im Film.
Anstrengend haben es auch die Schauspieler und das Heer von Komparsen, insgesamt 36 000 Männer und Frauen, wie im Werbeheft zum Filmstart zu lesen ist – extra vermerkt sind 1100 Kahlköpfe, 750 Kinder, 100 „Neger“ und 25 Chinesen. Brigitte Helm, die in einer Doppelrolle die beiden Marias spielt, leidet nicht nur während der wochenlangen Drehs im Wasser. In der berühmt gewordenen Szene, in der die Maschinenfrau von auf- und absteigenden Lichtkreisen umschwebt Marias Züge annimmt, fällt sie sogar in Ohnmacht: „Dabei ist die Maschinen-Maria in eine Art Holzrüstung eingepfercht, und da die Aufnahmen einige Zeit in Anspruch nahmen, ging mir unter der Rüstung die Luft aus“, erklärt Brigitte Helm.
Entworfen wurde die Roboter-Rüstung von Walter Schulze-Mittendorff, der dafür ein gerade in den Handel gekommenes neues Material verwendete, das „knetbare Holz“. „Es wurde ein Gipsabguß der Helm hergestellt, und darauf arbeitete ich direkt die Figur, die natürlich in einzelne Teile zerlegbar war“, erklärt der Kostümbildner. Für den Metall-Look wird die fertige Figur mit einem Lack, dem Silberbronze zugesetzt ist, gespritzt.
Nur zwei „Lichtblicke“ hat Architekt Kettelhut von dem anderthalbjährigen Dreh in Erinnerung: „eine herrliche Motorbootfahrt von Wannsee, vorbei an Schwanenwerder an der Pfaueninsel, durch den Jungfernsee bis Potsdam und zurück“ und die Kaffeepausen „mit ihren von der Hausfrau Thea von Harbou eigenhändig zubereiteten Köstlichkeiten“.
Das Prestigeprojekt droht zur unendlichen Geschichte zu werden, die Kosten explodieren zusehends. „Wie lange dreht er schon an Metropolis, diesem Film, von dem geflüstert und vermutet, über den gespottet und genörgelt wurde, jahrelang dreht er schon“, schreibt Fred Hildenbrandt nach einem Set-Besuch im März 1926 im Berliner Tageblatt. Das Produktionsbudget wird sich am Ende mehr als verdreifachen – statt der geplanten 1,5 Millionen Reichsmark kostet der Film 5,3 Millionen, wie Klaus Kreimeier in seinem Buch „Die Ufa-Story“ schreibt. Selbst bei einem Kinoerfolg gibt es kaum die Chance, das wieder einzuspielen.
Zur Galapremiere im Ufa-Palast am Bahnhof Zoo am 10. Januar 1927 sind 2500 Gäste geladen. Sie sind zusammen mit den Besuchern des Ufa-Kinos am Berliner Nollendorfplatz das einzige Publikum, das „Metropolis“ überhaupt in der Originalfassung sieht, glaubt der Filmhistoriker und „Metropolis“-Experte Enno Patalas. Schon ab April 1927 kursieren nur noch gekürzte und inhaltlich grob entstellte Fassungen. Der Film verschwindet bald in den Archiven und wird ein Fall für die Filmhistoriker.
Seine „posthume“ Karriere begann 1984, als der italienische Produzent Giorgio Moroder eine mit Disco-Musik unterlegte 80-Minuten-Fassung veröffentlichte. Schlagzeilen machte 2008 ein Sensationsfund in Buenos Aires: dort wurde eine beinahe komplette Kopie der Originalfassung entdeckt. Der restaurierte Film feierte auf der Berlinale 2010 Premiere. Am 12. Mai 2011 startet „Metropolis“ wieder in den deutschen Kinos.
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