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Identitätsbildung. In Luckau hat die Sanierung ein Wir-Gefühl bestärkt.

© T. Rückeis

Von Jan Kixmüller: Der Zar ist fern

Brandenburger Regionalforscher haben in Potsdam über kreative Spielräume in der Peripherie nachgedacht

Stand:

Sollten die Uckermärker einmal so stolz auf ihre Heimat sein wie die Bayern, dann hätte man es geschafft. Karl-Heinz Schwellnus von der PCK Raffinerie Schwedt benennt die Probleme bei ihrer Wurzel. Ein Zusammengehörigkeitsgefühl müsse erst noch entstehen, kreative Spielräume müssten vernetzt werden und zusammen mit Akteuren der Region eine Regionalmarke „Uckermark“ entstehen. Es gehe darum, ein Wir-Gefühl zu vermitteln. Doch das grundsätzliche Problem der strukturschwachen Region am Rande Brandenburgs liege im Verhältnis zur Landeshauptstadt. „Oft haben wir da draußen das Gefühl, schon abgehängt zu sein“, klagt der Leiter der PCK-Abteilung Standortentwicklung.

Das Leibniz-Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung (IRS) hatte in der vergangenen Woche zum Regionalgespräch „kreative Spielräume der Peripherie“ eingeladen – ins Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte in Potsdam. Den Begriff „Schrumpfung“ hat man bei dem in Erk ner beheimateten Institut mittlerweile aus dem Titel der Forschungsgruppe gestrichen. Da es sowohl schrumpfende als auch sich stabilisierenden Städte in der ostdeutschen Peripherie gibt, spricht die Regionalforscherin Dr. Heike Liebmann nun vielmehr von Regenerierung. Sie verweist auf „enorme freiliegende Potenziale“ in sich neu formierenden Gesellschaften. „Die muss man nur erkennen und nutzen“, so Liebmann. Das gemeinschaftliche Engagement in der Uckermark weist genau in diese Richtung.

Den Strukturwandel sehen die Regionalforscher also auch als Chance, hinterlasse er doch Freiräume, in denen vorher undenkbare Ideen Wurzeln schlagen könnten. Und oft wären es gerade die neu Zugezogenen, die die Chancen der Entwicklung erkennen und aktiver sind, als die alteingesessenen Bewohner. Doch Heike Liebmann weiß auch, dass den Wandel begleitende Krisensituationen kreatives Handeln erheblich erschweren können: dann nämlich wenn geringe finanzielle Handlungsspielräume der Kommunen den Ideenreichtum wieder einengen. Ein wesentliches Instrument zur Förderung innovativer Ideen seien daher Projekte – und die Stärkung der allgemein sehr schwach ausgeprägten lokalen Kommunikationsstrukturen.

Wofür Brigitte Faber-Schmidt von Kulturland Brandenburg positive Beispiele geben konnte. Die von ihr geleitete Kulturland-Reihe, die in jedem Jahr mit einem übergreifenden Thema das flache Land bespielt, ist zur Dachmarke geworden. „Provinz und Metropole“ war der diesjährige Fokus überschrieben, nicht ganz ohne Kontroverse aber auch mit einer gesunden Portion Selbstdistanz. Faber-Schmidt nennt Beispiele von gelungener Identitätsbildung, etwa in Luckau, wo es in den vergangenen Jahren gelungen sei, ein Zugehörigkeitsgefühl über die Sanierung der Stadt herzustellen. Bürger, Initiativen und Vereine seien so zu einer gemeinsamen Wertschätzung für ihre Stadt gekommen. Oder das Museum der Havelländischen Malerkolonie in Ferch, hier sei bürgerschaftliches Engagement die Wurzel gewesen. Es gehe darum, bei den Bewohnern etwas in Gang zu bringen, Dinge zu bewegen. Und wenn Kulturland dann zu einer Veranstaltung im ländlichen Alt-Döbern weit unten in der Lausitz lädt, kommen von Berlin und Potsdam, aber auch von Dresden zahlreiche Interessierte. „Das Provinz-Metropole-Thema hat einen Selbstverständnisprozess in Brandenburg ausgelöst“, sagte Faber-Schmidt. Und mittlerweile habe man in der Peripherie auch wieder so viel Selbstvertrauen, dass man sich als „Provinz“ nicht mehr klein gemacht fühle.

So gesehen ist es vielleicht auch gar nicht so schlecht, dass man in Schwedt dass Gefühl hat, dass der Zar fern sei. Denn so kann hier möglicherweise etwas Eigenes entstehen. Vielleicht sogar mehr als dem „Zaren“ lieb ist. Gegenüber der Landesregierung könne er nur warnen, die Probleme der Entwicklung und die Erwartungen der Menschen in der Peripherie Brandenburgs nicht zu unterschätzen, hatte Karl-Heinz Schwellnus von der PCK Raffinerie gesagt. In Bewegung ist dort zumindest so einiges. Fühlen sich doch die Uckermärker nördlich der A 11 zunehmend mehr als Mecklenburger denn als Brandenburger.

Identitätskonstruktionen gelten bei den Regionalforschern als weiche Standortfaktoren. Imagefaktor, sozialer Zusammenhalt und verantwortungsbewusstes Handeln nennt Dr. Gabriela B. Christmann vom IRS in diesem Zusammenhang. Allerdings könnten Identitäten nur in einem öffentlichen Kommunikationsprozess unter Beteiligung aller Akteure herausgebildet werden. Netzwerke müssten geschaffen werden. Konflikte würden notwendigerweise zum Prozess dazu gehören. Schließlich bedürfe es einem langen Atem, Identität in Umbruchsprozessen neu zu konstruieren.

Dass bei dem Regionalgespräch jemand den Begriff Heimat einbrachte, sorgte für Irritationen. In Deutschland habe Heimat immer auch einen völkischen Beigeschmack, befürchtete mancher im Publikum. Auch müsste gewährleistet sein, dass Pluralität verschiedene Identitäten hervorbringe. Und wenn erst das Weggehen zur regionalen Identität geworden ist, habe man verloren. Doch wie hoch die Türme der eigenen Stadt sind, erkenne man meist erst aus der Ferne, beruhigte jemand, der die Lausitz schon vor längerer Zeit verlassen hat. Mancher komme dann doch zurück, mit neuer Kraft und neuen Ideen.

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