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Landeshauptstadt: Die Uni der Stars
An der Potsdamer HFF begannen und beginnen noch heute große Regisseure und Schauspieler ihre Karriere. Nun wurde die Hochschule aufgewertet
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Sie ist zur Filmhochschule geflogen. Am 4. Januar 1959 stand sie mit drei Pullovern, zwei Röcken und einem Kofferradio in Babelsberg vor der Stalinvilla. Schon der Dienstboteneingang erhöhte den Eintretenden, aber sie kam von vorn: was für eine bemerkenswerte Holztreppe und dahinter 22 Zimmer, Parkett und ein riesiges Bad. Blick auf den Griebnitzsee. All das musste sie ab sofort nur noch mit einer anderen teilen. Die kleine Stenotypistin aus dem Berliner „Prekariat“ war dort, wohin sie sich immer geträumt hatte. Studentin der Filmhochschule Potsdam-Babelsberg!
Die Stalinvilla hieß Stalinvilla, weil der Diktator während der Potsdamer Konferenz im Juli 1945 hier wohnte. Allerdings fand er nach Art der Diktatoren keine Ruhe, jede Nacht wechselte er mehrfach das Zimmer, aus Angst vor Attentaten. Angelica Domröse aber, einmal die bekannteste Filmschauspielerin der DDR, Carows Paula aus der „Legende von Paul und Paula“, kann sich nicht erinnern, jemals besser geschlafen zu haben als in jener ersten Nacht in ihren 22 Zimmern. Und danach war jeder Tag ein neues Privileg.
Das ist noch immer so. Zwar gehen die Studenten der Filmhochschule nicht mehr wie früher vom Szenenstudium in der Marika-Rökk-Villa zur Vorlesung in der Hans-Albers-Villa. Lukas, Seraina und die anderen studieren vielmehr in einer Phantasmagorie aus Glas, die alles überwölbt. Die vier Häuser an der Marlene-Dietrich-Allee sind durch Brücken verbunden, unter denen ein tropischer Garten wächst. Die Drehbuch-Werkstatt, geleitet vom Professor für Praktische Dramaturgie Torsten Schulz („Boxhagener Platz“), findet in Haus 4 statt. Dauer: sechs Stunden. Sie sind auch nur sechs, sechs von rund 100 Bewerbern allein fürs Drehbuchschreiben, ausgewählt in einem mehrstufigen Verfahren. Sie haben gerade der wunderbar schwarzen dänischen Komödie „Adams Äpfel“ dramaturgische Fehler der übelsten Art nachgewiesen, mit aller Unnachsichtigkeit derer, denen die Zukunft gehört. Macht sie das? Nach drei Stunden zeigt Lukas Nerven: Unsere Zeit wird knapp, sagt er mit einem leicht apokalyptischen Tremolo in der Stimme. Sie haben im Grunde erst angefangen, aber im September beginnen sie schon ihre Abschlussarbeiten, so schnell gehen drei Jahre vorbei, und dann?
Als das Wort „Universität“ fällt, formen ihre Augenbrauen leicht ironische Bögen der Skepsis, will heißen: Uni oder nicht Uni, es ist uns egal. Nein, ist es doch nicht, denn jetzt werden sie auch eine „wissenschaftliche Abschlussarbeit“ schreiben müssen, also gewissermaßen eine auf der „Metaebene“. So wie Lukas „Meta“ betont, ist klar, dass er nicht zu ihren Sympathisanten zählt. Schließlich entsteht kein Drehbuch, kein Film auf der Metaebene.
Die Filmhochschule „Konrad Wolf“ in Babelsberg ist die älteste und größte in ganz Deutschland. Fünf Jahre vor Domröses Immatrikulation in der DDR gegründet, wird sie in diesem Sommer 60 Jahre alt. Auch wenn Andreas Dresen, Andreas Kleinert, Thomas Brasch oder Thomas Heise zu ihren Absolventen zählen, ist sie doch nur noch eine unter anderen, obwohl ihre technische Ausstattung ihresgleichen sucht. Das ist sehr kränkend.
Denn hier, nirgends sonst, stand die Wiege des deutschen Films. Alles, was er zum Filmemachen brauchte, habe er in Babelsberg gelernt, konstatierte einst Alfred Hitchcock. Welche andere Schule hätte solche Standortreferenzen?
Das Kino hat die Stars geschaffen, die Selbstleuchtenden. Sollte die Filmhochschule in Babelsberg da nicht ein wenig mehr Licht beanspruchen dürfen als die übrigen, überlegte vor sieben Jahren der damalige Präsident Dieter Wiedemann und hatte auch eine Idee: Wir werden Universität! Eine Umbenennung in „Babelsberg Filmuniversität“ hätte Prestige- und Profilierungscharakter und sei auch sehr gut für die Außenwirkung. Der Name „Konrad Wolf“, befand Wiedemann, eher nicht. Selbst die eigenen Studenten hätten schließlich oft keinen Verdacht mehr, wer das sein könne. Und das Ausland? Sollte ein Institut, das sich profilieren will, nach einem Defa-Regisseur heißen, noch dazu nach einem Kommunisten?
Konrad Wolf war der Mann, der die Filmhochschule nicht wollte. Aufgewachsen in Moskau, rückte er 1945 als Soldat mit der Roten Armee auf Berlin vor. Im April wurde er der erste sowjetische Stadtkommandant von Bernau, da war er neunzehn Jahre alt. „Ich war neunzehn“ heißt der Film, der neben „Solo Sunny“ und „Goya“ zu seinen eindringlichsten zählt. Die entscheidenden Dinge im Leben und in der Kunst sind nicht lehrbar, glaubte er. Der Charlottenburger Großbürgerssohn Kurt Maetzig widersprach. Er hatte über das „Rechnungswesen einer Filmkopier-Anstalt“ promoviert und vor dem Krieg ein Trickfilmatelier in der Friedrichstraße betrieben. Film sei nicht zuletzt Handwerk, und Handwerk sei lehrbar!, konstatierte Maetzig: Wir brauchen die Hochschule! Er drehte gerade die Filme „Ernst Thälmann, Sohn seiner Klasse“ und „Ernst Thälmann, Führer seiner Klasse“, die genauso waren wie sie hießen, Handwerk mit Klassenbewusstsein.
Aber seit wann brauchen Handwerker „Universitäten“? Die Hochschule hat heute 550 Studenten, die meisten in den Fächern Regie, Schauspiel und Drehbuch/Dramaturgie. Aber man kann auch Studiengänge in Filmproduktion, Animation oder „digitale Medienkultur“ belegen. Die HFF stellte in den letzten Jahren auf Bachelor und Master um, das glaubt sie ihrem neuen Titel schuldig zu sein. Natürlich ist diese Verschulung an einem Kunstinstitut eine Maßnahme von begrenzter Sinnhaftigkeit, schon weil jeder Absolvent sein eigenes Zukunftsrisiko trägt, das nicht durch Zeugnisse gemildert wird.
Die HFF hatte schon immer eine stark theoretische Seite, schließlich mussten ihre Studenten in die Weltanschauung der Arbeiterklasse eingewiesen werden. Heute hat die digitale Revolution ihren Platz eingenommen. Und die eigene Geschichte. Eine Universität forscht, so wie der Filmwissenschaftler Tobias Ebbrecht-Hartmann. Er sichtet die Abschlussfilme aller HFF-Jahrgänge, ist das lebende Gedächtnis der Hochschule.
Aber für Lukas, Seraina und die anderen sind Vergangenheit und Zukunft des bewegten Bildes höchstens Hintergrundwissen. Sie kritisieren gerade Serainas Drehbuch „Umzüge Lehmann“, Aufstieg und Fall eines Familienunternehmens. Torsten Schulz sagt, er halte es für durchaus „primetimetauglich“. Sorayas Gesicht beginnt von innen zu leuchten: Sie alle hier wissen um ihr Risiko und haben doch diesen starken Traum von sich.
Übelmeinende glauben, die Hochschule bringe vor allem Taxifahrer hervor. Das sei nicht richtig, erklärt Schulz, die meisten Absolventen könnten von ihrer Arbeit gut leben, nur habe diese oft nicht mehr viel mit Film und Fernsehen zu tun.
Am Dienstag war es nun so weit. Nach siebenjährigem Anlauf wurde aus der Hochschule für Film und Fernsehen „Konrad Wolf“ die Filmuniversität „Konrad Wolf“. Ihre Präsidentin ist die Volkswirtschaftlerin Susanne Stürmer. Der Name Wolf blieb, denn ein Sturm der Entrüstung hatte sich erhoben, als die Namenstilgungspläne bekannt wurden. Es gab doch noch immer zu viele Menschen, die wussten, wer Konrad Wolf war.
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