
© Manfred Thomas
Landeshauptstadt: Ein Tagesmarsch zur Klinik
Elisabeth Albig ist Internistin am „Ernst von Bergmann“. Für „Ärzte ohne Grenzen“ war sie nun im Kongo
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Das Krankenhaus, in dem Elisabeth Albig in Zentralafrika arbeitete, 100 Betten und das drittgrößte in dem Land mit fünf Millionen Einwohnern, war tatsächlich ein Haus. „Mit Wänden und Dach“, erklärt Elisabeth Albig auf Nachfrage. „Also keine Zeltstadt.“ Das ist eine Errungenschaft, die sie erwähnen muss. Ein halbes Jahr arbeitete die junge Internistin dort und hängte später noch einen dreimonatigen Einsatz in einem Krankenhaus im Nachbarland Kongo dran – für die internationale Organisation „Ärzte ohne Grenzen“, die medizinische Nothilfe in fast 80 Nationen leistet. Die Region ziemlich mittig in Afrika ist nicht gerade das, was man als politisch stabil bezeichnen würde. Immer wieder gibt es hier Bürgerkrieg und Unruhen. „Ich hatte einen Einsatz in Krisengebieten nicht ausgeschlossen“, sagt Albig jetzt, nach ihrer Rückkehr aus dem Kongo.
Seit einigen Wochen arbeitet sie wieder als Assistenzärztin in der Notaufnahme des Potsdamer Bergmann-Klinikums. Im kommenden Jahr will die 31-Jährige ihren Facharzt in Innerer Medizin machen. Die Auszeit für „Ärzte ohne Grenzen“ konnte sie gut mit ihrem Chef abstimmen. Schon während ihres Studiums hatte sie Auslandspraktika in Ghana, Indien und Peru absolviert. Mit 16 Jahren verbrachte sie ein ganzes Jahr als Austauschschülerin in Brasilien. „Da habe ich das erste Mal erlebt, wie in anderen Ländern Sozialsysteme funktionieren und wie ungerecht manches ist“, sagt sie. Jetzt war es ihr ein Bedürfnis, ihr Wissen als Ärztin auch anderswo als in Deutschland einzusetzen. „Dort, wo es nur wenig gut ausgebildetes Personal gibt.“
Während in der Potsdamer Notaufnahme für jeden Krankheitsfall zu jeder Zeit alle möglichen Spezialisten hinzugezogen werden, war Albig in den Krankenhäusern in Zentralafrika und Kongo meistens auf sich allein gestellt. „Da lernt man schnell, eigenverantwortlich zu arbeiten“, sagt sie. Bei komplizierten Fällen könne man sich aber immerhin per Telemedizin mit Fachärzten, die weltweit irgendwo sitzen, austauschen. Das funktioniere sehr gut.
Die Organisation arbeitet aber auch mit einheimischem Personal zusammen, bildet Ärzte und Pfleger aus. Und längst werden nicht nur Ärzte geschickt – in der Regel muss zudem das ganze infrastrukturelle Umfeld aufgebaut werden: Krankenhausausrüstung und Labor, Haustechnik, Verwaltung. Es gibt eine Intensivstation mit den wichtigsten medizinischen Apparaten, aber es sei kein Vergleich mit deutschem Standard, so Albig.
Die größten medizinischen Probleme in den Regionen, in denen sie war, sind Malaria, Mangelernährung, Parasiten, Entzündungen und Meningitis, „sehr interessant“, findet sie. Besonders im Kongo, wo es immer wieder bürgerkriegsähnliche Kämpfe gibt, Menschen vertrieben und auf der Flucht sind, gibt es zudem viele Fälle sexueller Gewalt gegenüber Frauen. Es sei dann ein riesiger Schritt für die Frauen, das nicht einfach hinzunehmen, sondern nach einer Vergewaltigung ins Krankenhaus zu kommen, erzählt Albig. Die meisten Frauen bräuchten anschließend auch noch psychologische Betreuung – aber wie soll man das leisten in einem Land ohne nennenswerte Infrastruktur und mit weiten Wegen? Wenn die Feldarbeit wichtiger ist als ein Tagesmarsch zur Klinik. Das habe sie schon sehr betroffen gemacht. Sie habe sich vor ihrem Einsatz oft gefragt, ob eine Arbeit in Regionen mit solch schwierigen Bedingungen über überhaupt sinnvoll sei.
„Es ist sinnvoll“, sagt sie heute. Es gebe dort so viele behandelbare Krankheiten, bei denen man dann schnell Erfolge sieht. Wenn ein unterernährtes Kind nach drei Tagen Aufpäppeln mit Spezialnahrung wieder anfängt zu spielen, sei das sehr bewegend. „Es wird versucht, solche Familien langfristig zu begleiten, aber das klappt nicht immer, vor allem nicht, wenn die Familien auf der Flucht sind.“ Das sei ein großes Problem, auch für chronisch Kranke wie Diabetiker. Vieles werde verschleppt, Lungenentzündungen zum Beispiel oder äußere Verletzungen.
Vom Land selbst hat Albig nicht viel gesehen. Das internationale Team der „Ärzte ohne Grenzen“ war in einem Extra-Lager untergebracht – eingezäunt. Dahinter, in einem Fluss, lebte eine Nilpferdfamilie, die haben sie oft beobachtet. Weite Ausflüge in Afrikas Natur waren aber nicht möglich, das wäre viel zu gefährlich gewesen. „Wir gingen höchstens mal auf den Markt.“ In den Wohnhütten gab es Fitnessgeräte, eine Tischtennisplatte und eine gut sortierte Gesellschaftsspielesammlung. „Jeder, der zurück nach Hause flog, hat was dagelassen.“
Das Essen kochten Einheimische, die versuchten, aus lokalen Zutaten europäische Mahlzeiten zuzubereiten, Maniokbrei mit Fisch und Fleisch und eine Art afrikanischer Spinat etwa. Zu Weihnachten wurden Stollen und Marzipan eingeflogen und man baute sich aus Holzlatten einen Weihnachtsbaum.
„Ich würde sehr gern noch mal zu einem Einsatz fahren, egal in welchem Land“, sagt Albig. Jetzt wieder in Deutschland zu arbeiten, unter normalen Umständen, in einem bestens ausgestatteten Krankenhaus, sei aber nicht weniger spannend. „Ich muss die Menschen hier, mit ihren Problemen, genauso ernst nehmen wie einen Notfall irgendwo in der Welt. Sonst könnte ich hier nicht mehr arbeiten.“
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