Landeshauptstadt: Eine elegante Manipulation
Studio Babelsberg feierte die größte Party seit Jahren – und vielleicht die außergewöhnlichste der Berlinale
Stand:
„Who are those men?“ Die dunkelhaarige junge Frau bestaunt die Szene andächtig. Sie scheint irritiert, aber auch amüsiert. Direkt vor ihr, im kargen Eingangsbereich des früheren Berliner Postpaketamtes an der Luckenwalder Straße, herzen sich zwei Männer mittleren Alters. Der eine trägt ein rotes Samtjackett zur grünen Karohose, der andere gediegen Anzug und Krawatte. Um das ungleiche Paar drängen sich Fotografen und Kamerateams. Wer diese zwei Männer sind? Als sie es erfährt, bricht die Beobachterin von auswärts lauthals in Lachen aus. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit Wange an Wange mit Modeschöpfer Wolfgang Joop – „that is Berlin“, das ist Berlin, das gibt“s nur in Berlin, stellt sie fest.
Ob es wirklich so ist? Unwesentlich. Was zählt, ist die Wahrnehmung. So ist Berlin, so ist die Stadt, in der jeder Regisseur, jeder Produzent unbedingt seinen nächsten Film drehen muss. Auf diese Botschaft hat das Potsdamer Studio Babelsberg am Sonntagabend mit seinem Empfang zur diesjährigen Berlinale gesetzt – und sie scheint angekommen. Das Vorhaben, für sich selbst zu werben und den eigenen 95. Geburtstag zu feiern, hat das Studio – Nachfolger der DDR-Defa, seit Mitte 2004 in der Hand zweier Privatinvestoren und seit Frühjahr 2005 börsennotiert – höchst elegant umgesetzt. Vorstandschef Carl L. Woebcken und sein Vize Christoph Fisser bedienten sich eines Kunstprojektes: Sie ließen den US-Fotografen Bruce Weber, seit seiner Unterwäsche-Kampagne für Calvin Klein weltbekannt, eine Woche in Berlin und Potsdam fotografieren. Weber porträtierte Schauspieler, Artisten, Tänzer, Künstler, Eisbär Knut, uniformierte Studenten aus dem japanischen Osaka vor Schloss Sanssouci. Speziell für das Studio klebte Weber zum 95-jährigen Bestehen eine Collage zusammen, Schauspieler Rupert Everett schrieb ein Berlin-Essay.
Zu finden sind die Aufnahmen und Texte im „The Manipulator“, dem aus diesem Anlass wiederbelebten ehemaligen Kultmagazin aus den USA (PNN berichteten). David Colby und Willhelm Moser brachten es Anfang der 1980er Jahre erstmals heraus, im Mega-Format von 50 mal 70 Zentimetern. Knapp zehn Jahre später wurde es wieder eingestellt, bis heute. In einer Auflage von 10 000 Stück und denselben Riesen-Maßen ließ Studio Babelsberg seinen eigenen „Manipulator“ drucken und stellte ihn nun am Sonntagabend auf der Berlinale vor: Die Vernissage für die „Manipulator“-Fotoausstellung geriet zur größten Party, die das Potsdamer Traditionsunternehmen seit langen Jahren gefeiert hat – und vielleicht zur außergewöhnlichsten der diesjährigen Berlinale.
Mehr als 1600 Gäste, darunter zahlreiche Prominente und internationale Filmproduzenten, bevölkerten die meterlangen Industriehallen des ehemaligen Postpaketamtes, heute hipper Veranstaltungsort namens „The Station“. Sie pausierten auf weißen Sitzlandschaften, schlenderten vorbei an Fotografien und Kunst, tanzten bis morgens um halb Fünf. Aus Potsdam kam nicht nur Modeschöpfer Joop, sondern auch Top-Model Nadja Auermann und die ehemalige „Vogue“-Chefredakteurin Angelica Blechschmidt. Gemeinsam betrachteten die beiden Mode-Spezialistinnen die Fotografien. Es sei eine „liebevoll gemachte Ausstellung“, sagte Auermann. Allein dass nicht klar sei, welche Bilder von Bruce Weber und welche von Willhelm Moser seien, ließe sich bemängeln, waren sich die beiden Frauen, die durchaus auch in ihrer Wahlheimat Potsdam Gemeinsames unternehmen, einig. Nur um die Fotos ging es ihnen aber nicht: Dass Studio Babelsberg mit zahlreichen internationalen Filmproduktionen „so ein Revival erlebt, ist ein Gewinn für Potsdam“, meinte Nadja Auermann, die in Jeans und Turnschuhen einen außerordentlich gelassenen Eindruck machte.
Babelsbergs Studio-Chefs Woebcken und Fisser dagegen mussten sich mühen, im Trubel niemanden zu übersehen: Berlins Regierender Klaus Wowereit und sein Lebensgefährte Jörn Kubicki blieben bis nach Mitternacht, genauso Wolfgang Joop und „Der Vorleser“-Regisseur Stephan Daldry. Star-Fotograf Jim Rakete schaute vorbei, um die Arbeit seines Kollegen zu betrachten, und das erste deutsche „Supermodel“ der 1960er Jahre, Veruschka von Lehndorff, war nicht nur im Herbst Protagonistin für Bruce Weber, sondern auch Gast der Vernissage. Gleiches gilt für Schauspieler Clemens Schick, bekannt als Bösewicht aus dem neuesten Bond-Film „Casino Royale“. Ihn lichtete Weber auf roten Bar-Polstern ab, mit nachdenklichem Blick.
Ein Höhepunkt des Abends war für einen Großteil des Publikums ganz offensichtlich der Auftritt des schwulen New Yorker Performance- und Drag-Künstlers Joey Arias. Er schien alle Erwartungen der Szene-Insider an eine provokante Show zu erfüllen. Allein das Gerücht, Arias würde seine gute Bekannte Sängerin Kylie Minogue mitbringen, bewahrheitete sich nicht – ebenso wenig erschien Superstar Madonna, die zwar erst heute zur Berlinale anreisen soll, über deren Überraschungsbesuch unter den Gästen aber spekuliert worden war.
Dennoch: Es lässt sich getrost behaupten, dass der „Manipulator“ und seine Vernissage tatsächlich „manipuliert“ haben – bei den internationalen Kreativen und Filmemachern ein Berlin-Bild geschaffen, vielleicht verändert haben. Für Studio Babelsberg ist das in harten Verhandlungen um neue Aufträge für Millionen-Produktionen entscheidend: Neben Geld und Können zählt der „weiche Faktor“, die Attraktivität des Standorts. Deshalb wird das „Manipulator“-Magazin bald auch allen Hollywood-Studios zugestellt – mit besten Grüßen aus Babelsberg und Berlin.
The Manipulator Exhibition, bis 17. Februar täglich 10 bis 18 Uhr, „The Station/Premium“, Luckenwalder Straße 4-6, 10963 Berlin.
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