zum Hauptinhalt

Landeshauptstadt: Eine Ode an die Freiheit

Wolfgang Joops zweite „Wunderkind“-Kollektion

Stand:

Wolfgang Joops zweite „Wunderkind“-Kollektion Von Sabine Schicketanz Wolfgang Joop zieht zu Felde gegen die hauptamtlichen Bedenkenträger. Das seien sie nämlich, die Deutschen. Ein Volk, das nicht nur seine modische Freiheit dem Zaudern und Zagen zu Füßen geworfen habe. Der Ausweg? Pure Bedenkenlosigkeit. Rein und frech und unverfroren. Genau so kommt sie daher, Joops neue Kollektion seines neuen Labels „Wunderkind Couture“. Entstanden unter akutem Sauerstoffmangel in einem alten Haus in der Potsdamer Seestraße, dessen Fenster sich kaum öffnen lassen, und präsentiert am regnerischen Freitagabend in der St. Johannes-Kirche in Berlin-Mitte. Der Altar zugestellt von grauen Wänden, sammelt sich in der sakralen Halle unter den drei Rundbögen alles, was in der haupt- und landeshauptstädtischen Gesellschaft von Rang und Namen ist. Der Regierende Klaus Wowereit kommt, Talkerin Sabine Christiansen, FDP-Chef Guido Westerwelle und Popstar Bryan Adams, der nur ein paar Minuten auf dem weiß verpackten Stuhl Platz nimmt, bevor er vor den Blitzlichtern der Dutzenden Fotografen hinter die Kulissen flüchtet. Das Geplapper aus mehr als dreihundert Kehlen, angeschwollen zu einer ohrenbetäubenden Geräuschmixtur, verebbt auf einen Schlag. Das Licht ist aus, die Scheinwerfer flackern, bevor sie eine gleißende Helle auf den grauen Betonfußboden schicken. Urwaldklänge schallen aus den Lautsprechern, unterbrochen vom nahezu tosenden Applaus, der das erste Model auf seinem Weg durch die Stuhlreihen begleitet. Auf gefährlich hohen Absätzen stolzieren sie heran, die Schönheiten, so hoch, dass einem Mädchen der goldene Schuh von der Ferse rutscht, in schillernden Strumpfhosen, grün, weinrot, lila, in Kostümen, deren Stoff glänzt wie Fische im Wasser. Eine Hommage an die Vierziger- und Fünfzigerjahre liefern Wolfgang Joop und seine Crew von der Berliner Universität der Künste, Plisseeröcke in Pink und Rüschen überall. Souverän tragen die Models ihn zur Schau, den nachlässigen Luxus, den Joop kreiert hat, offene Säume, mit Rosen besteckte Pelzkragen, Farben, die sich kreischend gegeneinander wehren, weil sie nie und nimmer zueinander passen werden. Aber auch Abendmode, so raffiniert, dass sie traumwandlerisch sicher balanciert auf dem dünnen Grat zwischen Eleganz und Langeweile, schwarze Kostüme, lange Kleider. Gezeigt werden die Stücke in willkürlicher Reihenfolge, auf grelles Violett folgt anmutiges Gold, auf elektronische Beats ein Charthit der Achtziger. Jedes Teil der Kollektion sei ein Gemälde, sagt Wolfgang Joop, mit noch festeren Pinselstrichen gemalt als vor nicht einmal einem Jahr, als in der Potsdamer Villa Rumpf am Heiligen See „Wunderkind Couture“ seine Premiere erlebte. Allerdings scheinen die Künstler diesmal mehr Rücksicht genommen haben auf den Ort, an dem ihre Werke gezeigt werden. Erst am Körper würden sie zum Leben erweckt, sagt Joop, und aller Unverfrorenheit zum Trotz entscheidet deshalb allein der Geschmack der Frauen. Wollen sie denn Pelz? Alle Leute tragen Lederjacken, sagt Joop, und die hatten auch mal Haare. Und wollen sie mit grünen Beinen in die Bedenkenlosigkeit schreiten? Davon ist, den Verkaufszahlen der ersten Kollektion zufolge, auszugehen. „Wunderkind Couture“ sei bereit, den Weltmarkt zu erobern, meint sein Schöpfer, es gebe Anfragen von überall her, selbst in Russland wachse das Bedürfnis nach Luxus, nicht zu vergessen seien die Frauen dort sehr schön. Doch der neue Joop wird nicht der alte sein, verspricht Joop. Aus dem weltweit agierenden Unternehmen mit seinem Namen ist er längst ausgestiegen, es sei immer nur Marketing gemacht worden, statt ein Produkt. „Wunderkind Couture“ dagegen funktioniere umgekehrt: Ein Produkt, kein bezahltes Marketing. Anders, sagt der Modeschöpfer, werde er es nicht tun. Wie seinem Romanhelden aus „Im Wolfspelz“ habe er auch sich selbst eine „Back to the Roots“-Kur verordnet. Nicht umgucken, keine Trends scouten, keine Stylisten einstellen. Nicht in Berlin-Mitte schneidern, wo er eine Wohnung hat, sondern in der Villa Rumpf, dem einstigen Refugium der schillernden, intellektuellen Salonkultur. Dort werde „Wunderkind“ einziehen und bleiben, eine Ode an die Freiheit, ein Manifest gegen die Bedenkenträger.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
console.debug({ userId: "", verifiedBot: "false", botCategory: "" })