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Landeshauptstadt: Eine Stadt klickt sich durch das Internet

Das Netz wächst und bietet auch für die Potsdamer immer neue Angebote. Autofahrer können von der Couch aus ihren neuen Wagen im Amt an- oder bei der Polizei gestohlen melden, die Kirche twittert und auch das Rathaus schreibt auf Facebook

Stand:

Das Internet lässt sich nicht aufhalten: In einer Sekunde werden weltweit rund 14 000 Texte, Bilder oder Links zu anderen Webseiten über das soziale Netzwerk Facebook geteilt. In gleicher Zeit melden sich etwa ein Dutzend neuer Mitglieder in dem Netzwerk an. Gleichzeitig laden wieder andere Nutzer in diesen 1000 Millisekunden eine ganze Stunde neues Filmmaterial auf die Rechner des Videoportals Youtube und etwa 40 000 Internetnutzer starten dort ein Video. Auch Potsdams Internetnutzer sind aktiv: Sie teilen sich in Blogs mit, schreiben auf Facebook, teilen Nachrichten auf Twitter, beschweren sich vom Sofa aus beim Rathaus über Schlaglöcher vor der Haustür oder melden bei der Polizei ihr Fahrrad als gestohlen. Die Potsdamer leben interaktiv.

Mit einem Mausklick im Rathaus

Wurden die Laubsäcke mal wieder nicht abgeholt oder geht die Straßenbeleuchtung nicht? Anwohner müssen schon lange nicht mehr direkt zur Behörde, wenn es mal wieder irgendwo hakt. Nicht einmal der Griff zum Telefonhörer ist nötig: Über den „Mecker-Service“ Maerker sichert auch das Potsdamer Rathaus schnelle Hilfe zu. So ziemlich jede Sorge ist hier seit dem Start des Systems vor rund zweieinhalb Jahren zu finden. Eifrige Stadtmitarbeiter sind bemüht, die Ärgernisse zu beseitigen – selbst den toten Igel auf der Straße. Auch der Internetauftritt der Stadt Potsdam selbst hält trotz seines drögen Aussehens einiges an Web-Service vor: Autofahrer können sich hier mit einigen Mausklicks ihr Wunschkennzeichen sichern. Bauherren können sich über den Stand ihres Bauantrages informieren und wer einen neuen Pass beantragt hat, erfährt, wann der Ausweis abgeholt werden kann. Wohnungsunternehmen, Banken, Inkassobüros oder Rechtsanwaltskanzleien können zudem online eine Melderegisterauskunft erhalten.

Seit Oktober vergangenen Jahres gibt es mit Madleen Köppen im Potsdamer Rathaus zudem eine Social-Media-Koordinatorin. Facebook und Twitter sind auf dem Arbeitsrechner der 28-Jährigen immer geöffnet – „um aktuell reagieren zu können“, sagt sie. Auf Facebook informiert die Stadt über Veranstaltungen oder Neuigkeiten, wie neue Stationen für das öffentliche Fahrradverleihsystem. „Da ich die sozialen Netzwerke auch am Wochenende und abends nutze, habe ich praktisch immer auch ein Auge auf das offizielle Portal unserer Stadt“, sagt Köppen. Pausen gibt es nicht – die Internetfreunde freut das. Fast jeden Tag abonnieren neue Potsdamer oder Interessierte aus aller Welt die Meldungen der Stadt, die über Facebook und Twitter laufen. Künftig sollen über die sozialen Netzwerke auch Umfragen stattfinden, verrät Köppen. „Wir wollen unsere Aktivität ausbauen.“

Vorsicht, Polizei!

„Unser Internetauftritt wird rege genutzt“, sagt auch Polizeisprecherin Anja Resmer. Ist das Fahrrad gestohlen, machen sich heute immer weniger Menschen auf den Weg ins Revier. Die Anzeige ist nur ein paar Mausklicks entfernt. Auch Demonstrationen können so angemeldet werden. Aber: Über das soziale Netzwerk Facebook ist die Potsdamer Polizei – anders als die zum Beispiel in Hannover – nicht zu erreichen. Noch würden in Brandenburg Datenschutzrechtliche Bedenken gegen das Experiment Facebook sprechen, sagt Resmer. Man wolle zunächst die Erfahrungen der Hannoveraner Polizei abwarten. Dort klickten schon über 100 000 Nutzer auf den „Gefällt mir“-Knopf. Kupferdiebe, Prügelknaben und Vergewaltiger wurden so überführt. Auch zahlreiche Hinweise auf andere Verbrechen gingen über die Seite ein. „Wir schließen das auch für uns nicht aus“, sagt Polizeisprecherin Resmer – noch sei aber keine Entscheidung gefallen. Zumal dafür in Brandenburg zusätzliches Personal notwendig sei.

Gefällt mir

Viele Potsdamer haben die Scheu vor dem sozialen Netzwerk Facebook indes abgelegt. So folgen dem Einkaufszentrum Stern-Center mittlerweile über 3000 Internetnutzer auf Facebook. Hier gibt es Informationen über Rabatte, die Autogrammstunde von Fernsehserienstars oder einfach nur Meldungen über gutes Wetter. Auch wer wissen will, welcher Laden als nächstes eröffnet, ist hier gut aufgehoben. Selbst das Potsdamer Möbelhaus Porta rührt im Netz kräftig die Werbetrommel: Unter den rund 800 Fans werden Tickets oder I-Pads verlost. Auch die Uni Potsdam ist im sozialen Netzwerk Facebook zu finden: 2300 Internetnutzern gefallen die täglichen Meldungen über Veranstaltungen in der Studienszene oder Möbelangebote der Mitstudenten. Auch der Nikolaisaal, das Hans-Otto-Theater, das Extavium, Turbine Potsdam oder der SV Babelsberg sind über Facebook in einem regen Austausch mit ihren Fans.

Wissen zum Mitteilen

Hätten Sie es gewusst? Mit der ersten Dampfmaschine Potsdams wurde Anfang des 19. Jahrhunderts Rohrzucker am Havelufer raffiniert. „Die Jacobsche Zuckerfabrik, auch als Zuckersiederei bezeichnet, befand sich in der Innenstadt von Potsdam. Das Fabrikgelände reichte bis zur Alten Fahrt der Havel“, heißt es auf der Internetseite des Potsdam-Wiki. Seit fünf Jahren gibt es die Online-Enzyklopädie. Gefüllt wird sie vom Wissen zahlreicher Internetnutzer. „Monat für Monat zählen wir etwa 140 000 Seitenaufrufe“, sagt Fides Mahrla. Die Werbeberaterin gehört neben Bolko Bouché zu den Mitbegründern des Online-Lexikons. Die Besonderheit: Das Potsdam-Wiki wird niemals fertig, denn jeder kann mitschreiben und sein Wissen einbringen. Über 1400 Artikel sind auf der Seite bereits gespeichert. „Vor allem Wissen, das nicht im Reiseführer steht“, sagt Mahrla. Das Angebot ist kostenlos, Pflege und Wartung wird von den rund 300 angemeldeten Nutzern übernommen. Geprüft werden die Texte erst, nachdem sie geschrieben sind. Bestünden Zweifel an der Richtigkeit, dann würden sie gelöscht, sagt Mahrla. Sie selbst schreibt übrigens so gut wie gar nicht für das Wiki. „Ich kümmere mich um Fotos.“

Unser tägliches Gezwitscher

Aushänge am Kirchenbrett – das war einmal. Auch die Kirche hat das Internet für sich entdeckt, wie der Potsdamer Pastor Christoph Funke beweist: Gott lässt sich auch über 140 Zeichen transportieren, dachte er sich und twitterte kurzerhand einen Bibelvers. „Paulus:Gott, d ich diene, wird euch alles geben, w ihr braucht, so gewiss er euch durch Jesus Chr a Reichtum s Herrlichkeit teilhaben lässt.“ Der Kurznachrichtendienst Twitter ist für den Pastor der freien Evangelischen Gemeinde „Kirche für Potsdam“ zum modernen Kirchenschaukasten geworden. „Ich bin nicht der absolute Twitter-Benutzer, aber so erreichen wir junge Leute.“ Außer Bibelverse versendet Funke auch jede Menge Termine über Twitter oder er bedankt sich mit einigen Worten bei seinen Helfern. Alles ist öffentlich. „Nein, für die Kirche ist das nicht normal“, sagt Funke. Aber für seine noch in Gründung befindliche Gemeinde, ohne festen Sitz in der Stadt, ist das Internet eines der wichtigsten Kommunikationsmittel. „Die Leute finden auf diesem Weg zu uns“ – zu Gott.

Leck in der Festplatte

Verfehlungen, Filz und Verflechtungen in Potsdam aufdecken – das wollten die anonymen Macher der Internetplattform „PotsdamLeaks“. Mitte Dezember ging die Webseite nach dem Vorbild der weltbekannten Enthüllungsplattform „WikiLeaks“ ans Netz. Ähnlich wie der große Bruder, der weltweit für Aufsehen sorgte und politisch massiv attackiert wurde, ist das Potsdamer Pendant seit geraumer Zeit nicht mehr erreichbar. Die Sanduhr, durch die das Potsdamer Stadtlogo von oben nach unten tropfte, wird nicht mehr angezeigt, auf geheime Dokumente gibt es keinen freien Zugriff mehr. So hielt sich die Aufregung um die Plattform in Potsdam in Grenzen. Vor dem Aus fanden sich hier vor allem Behauptungen und Nacherzählungen bekannter Vorwürfe. Belege und Dokumente wurden kaum publik.

Neuigkeiten aus dem Kiez

Mit ihrer Arbeit gerade begonnen, hat Martina Wilczynski. Die 49-jährige Potsdamerin bezeichnet sich selbst als die „aktivste Bloggerin Brandenburgs“. Seit Anfang März ist sie als Kiezreporterin für schlaatz.de unterwegs. Die Internetplattform der Schlaatzer Allianz lädt alle Anwohner im Netz zum Mitmachen und Mitschreiben ein. „Das Internet lebt und bebt“, sagt Wilczynski. Als Kiezreporterin hat sie beim Gang vor die Haustür praktisch immer einen Fotoapparat dabei. Findet sie eine Müllecke, dann wird die dokumentiert. Ein Text mit Foto findet sich dann später auf der Webseite wieder. Auch Spaziergänge an der Nuthe oder ein Bericht über den Besuch beim Waschsalon sind hier zu finden. „Wir sind Pioniere“, sagt Wilczynski. Die Kiezreporter arbeiten ehrenamtlich und informieren auch über Feste und Veranstaltungen im Schlaatz. Ähnliche Projekte gebe es in anderen Stadtteilen Potsdams bislang nicht. „Wir schreiben, was Spaß macht“, sagt Wilczynski. Ein Leben ohne Internet kann sich die Potsdamerin nicht mehr vorstellen. „Obwohl ich früher nie mit dem Internet zu tun haben wollte, surfe ich heute darin mit einer Leichtigkeit, als hätte ich nie etwas anderes gemacht.“

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