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Von Sabine Schicketanz: Empörung über Schäuble-Äußerungen
Griebnitzsee: SPD nennt Bundesfinanzminister „unüberbietbar zynisch“ / Böttcher warnt vor Präzedenzfall
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Babelsberg - Im Konflikt um den Griebnitzsee-Uferweg sinken die Chancen für die Stadt Potsdam, die 51 Ufergrundstücke des Bundes zu erwerben: Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) hat sich dafür ausgesprochen, die Grundstücke meistbietend zu verkaufen. Veräußere der Bund zum Höchstpreis, komme dies „allen Steuerzahlern und damit auch den öffentlichen Händen zugute“, so Schäuble in einem Schreiben an Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD). Nach seinem Verständnis sei es „gerade die Erzielung des vollen (Markt-)Wertes, () die dem Allgemeinwohl und Allgemeinnutzen am meisten dient“, so der Bundesfinanzminister. Es werde außerdem der „von der verfassungsrechtlichen Ordnung vorgegebene Weg der Aufgabenverteilung zwischen Bund, Ländern und Kommunen“ nicht verlassen.
Schäubles Brief, der vom 20. Juli datiert und dieser Zeitung vorliegt, sorgte gestern im SPD-regierten Potsdam für Entrüstung. „Unüberbietbar zynisch“ nannte SPD-Generalsekretär Klaus Ness die Äußerungen. Die Stadt Potsdam fühle sich von Schäuble im Stich gelassen, ließ Oberbürgermeister Jann Jakobs (SPD) erklären. Der Bundesfinanzminister beachte offenbar nicht, dass es für die Uferflächen am See nur einen Markt gebe, weil Seeanrainer einen öffentlichen Weg auf dem ehemaligen Mauerstreifen verhindern wollten. Mit seinen Äußerungen unterstütze Schäuble die Anrainer – obwohl Potsdam ein berechtigtes öffentliches Anliegen habe. Die Stadt werde sich aber „nicht beeinträchtigen“ lassen: „Wir setzen weiter auf die politische Unterstützung von Bundestag und Bundesrat.“
Um die 51 Ufergrundstücke des Bundes mit 31 700 Quadratmetern Fläche hatte es ein monatelanges Tauziehen zwischen Bund und Stadt gegeben. Potsdam hatte die Flächen direkt erwerben wollen, gemeinsam mit der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben (Bima) wurde ein Verkehrswert von 2,6 Millionen Euro ermittelt. Kurz darauf ging bei der Bima ein Angebot einer Gruppe von Seeanrainern über drei Millionen Euro ein. Daraufhin entschied der Bund, ein Bieterverfahren zu starten. Dies ging am 13. August zu Ende, derzeit wertet die Bima die mindestens 30 Gebote aus. Angeboten hatte der Bund die Flächen mit und ohne Wegerecht für die Öffentlichkeit. Über den Zuschlag entscheidet der Haushaltsausschuss des Bundestags Mitte September. Der Erlös fließt in den Mauerfond. Das Geld aus dem Fond wird für wirtschaftliche, soziale und kulturelle Zwecke in den neuen Bundesländern eingesetzt.
Potsdam hält das Bieterverfahren für rechtswidrig und hat eine Klage gegen den Bund angekündigt. Um keine Chance auszulassen, hat die Stadt dennoch ein Gebot über drei Millionen Euro abgegeben. Sie hat allerdings damit gedroht, bei Zuschlag 400 000 Euro zurückzufordern. Außerdem soll Potsdam eine Stundung des Kaufpreises für fünf Jahre verlangt haben. Seeanrainer, die insgesamt 3,6 Millionen Euro geboten haben sollen, hatten deshalb gefordert, die Stadt aus dem Verfahren auszuschließen.
In dem Bieterverfahren sieht Potsdam auch einen Präzedenzfall, der deutschlandweit alle Kommunen betreffen könne: Am Griebnitzsee wolle der Bund anders als bisher der Gemeinde trotz öffentlichen Interesses die Grundstücke nicht zum Verkehrswert überlassen. Karl-Ludwig Böttcher, Geschäftsführer des Städte- und Gemeindebunds Brandenburg, sagte gestern, er habe bereits Signale aus Thüringen und Sachsen, wo Bima und Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH (BVVG) nur auf den Abschluss des Griebnitzsee-Verfahrens warteten, um dann ähnlich zu verfahren. Betroffen seien auch landwirtschaftliche Flächen und Seen. Das Bundesfinanzministerium scheut nach Ansicht von Böttcher in Potsdam die Auseinandersetzung mit den Privateigentümern. „Doch wenn wir vor dem Kapital kapitulieren, sind wir als öffentliche Hand schlecht beraten.“
Linke-Oberbürgermeisterkandidat Hans-Jürgen Scharfenberg nannte Schäubles Äußerungen gestern „nicht hinnehmbar“. Nicht das Höchstgebot diene dem Allgemeinwohl am meisten, sondern der freie Uferweg am Griebnitzsee. Die Potsdamer CDU dagegen unterstützt Schäuble weitgehend. Das Bieterverfahren sei richtig, hieß es. Die CDU-Stadtfraktion macht einen konkreten Vorschlag für eine Teillösung zum Uferweg: So solle die Stadt per Vorkaufsrecht das Ufer zwischen Truman-Villa und erstem Stichweg an der Virchowstraße erwerben – dies koste rund 600 000 Euro, das Geld sei im Haushalt eingestellt, so CDU-Fraktionschef Michael Schröder. Alles andere sei „Irrsinn“, Potsdam könne Enteignungen der Privatanrainer nicht bezahlen, bereits jetzt habe die Stadt geschätzt mehr als eine Million Euro für juristische Verfahren zum Uferweg ausgegeben: „Dafür könnten wir eine neue Schule im Norden bauen, die ist bisher nicht finanziert.“
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