Von Henri Kramer: Entschleunigt in Babelsberg
Er Potsdamer, sie aus Quickborn – kennengelernt haben sich beide auf Mallorca, inzwischen wohnen sie mit ihren Kindern in einem Weberhaus in Babelsberg. Ein Tag mit Familie Beyersdorff.
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Wo ein Klingelknopf sein sollte, ragen zwei Drähte aus der Mauer. Auf eine elektronische Bimmel verzichtet Familie Beyersdorff. Besucher müssen einen altmodischen Klopfer mit stilisierten Flügeln gegen die Holztür schlagen. „Eigentlich hatten wir die Klingel mit einer Telefonanlage für das ganze Haus verbinden wollen, aber es gab Probleme mit dem Elektriker – und für etwas Neues konnten wir uns noch nicht entscheiden“, sagt Maren Beyersdorff.
Doch die Sache mit dem antiquaren Klopfer passt zu den Beyersdorffs. Mutter Maren und Vater Thomas geben offen zu, dass sie ein „Faible für Altes“ haben. Hier in der Karl-Gruhl-Straße haben sie vor sechs Jahren ein Weberhaus gekauft. Vor drei Jahren war die Sanierung beendet. „Zusammen mit dem Grundstück hinter dem Haus ist das der ideale Platz für uns“, sagt Thomas Beyersdorff.
Es ist 6.30 Uhr, Frühstückszeit. In der geräumigen Küche, die mit Fachwerkbalken aus massivem Holz vom Wohnzimmer abgetrennt ist, sitzen der siebenjährige Benedikt, seine sechs Jahre ältere Schwester Antonia und ihre Freundin Lilli Haderlein. Es gibt Müsli und Toast mit Marmelade gegen die Müdigkeit. „Wenn es geht, versuchen wir zusammen zu essen“, sagt Maren Beyersdorff.
Nicht immer gelingt das. Der 45 Jahre alte Thomas Beyersdorff ist als Manager bei der Netz AG der Deutschen Bahn für Schienen-Infrastruktur im Land Brandenburg zuständig, fast täglich pendelt er zwischen Potsdam und Berlin, schon jetzt trägt er Krawatte. Seine Frau, gelernte Buchhändlerin, arbeitet halbtags, in einem Projekt zur Integration chronisch kranker Kinder in Schulen an der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. Sie sagt: „Wir haben eine klassische Rollenverteilung: Ich kaufe ein, koche gerne, mache den Haushalt, wasche die Sachen und wenn ich um Hilfe bitte, bekomme ich meist auch welche.“ Sie kommt aus Quickborn bei Hamburg. Ihr Ehemann ist in der Waldstadt aufgewachsen. Auf Mallorca haben sie sich kennen und lieben gelernt.
Babelsberg als Zentrum ihres Lebens hat für das Ehepaar viele gute Seiten. Das fast dörfliche, ruhige Wohnen. Die Nähe zum Babelsberger Park und zu Klein Glienicke. Der Griebnitzsee. Entschleunigt von städtischer Hektik, außer wenn fast nebenan der SV Babelsberg spielt und etliche Fans vor ihren Fenstern stehen – der Fanladen des Fußballvereins liegt zwei Häuser weiter. Das Zusammenleben mit den meisten Nachbarn schätzen sie. „Es hat hier in Babelsberg natürlich teilweise einen Austausch der Bevölkerung gegeben“, sagt Thomas Beyersdorff. Und gerade Familien seien gezwungen, wenn wegen Kindern ein Umzug in eine größere Wohnung nötig ist, dann sofort auch Eigentum anzuschaffen oder eben wegzuziehen – der Markt für größere Mietwohnungen sei faktisch leer. Doch sei es ein Klischee, dass es deswegen Konflikte zwischen Zugezogenen und Ur-Babelsbergern geben müsse, sagt er. Maren Beyersdorff sagt: „Das hängt vor allem davon ab, wie man auf die Leute zugeht – in so einem Kiez muss schon ein Plausch vor der Haustür möglich sein.“
Inzwischen ist es 7.15 Uhr. „Tschüssi, Mama“, ruft Antonia. Sie und ihre Freundin Lilli machen sich auf den Weg zur Käthe-Kollwitz-Oberschule. Dass ihre Tochter auf eine Oberschule geht und dann auch noch nach Potsdam-West fahren muss, stört Maren Beyersdorff. „Antonia hat genug Fähigkeiten für eine Gesamtschule.“ Doch seien an ihren Favoriten, etwa die Lenné- oder die Voltaire-Gesamtschule, keine Plätze mehr frei. Aktuell gibt es aber auch noch einen weiteren Grund, verärgert zu sein: Der neue Fahrplan der Potsdamer Verkehrsbetriebe. „Die Umsteigezeiten liegen nun so, dass ich den Anschluss oft verpasse, wenn hier in Babelsberg der Bus zu spät kommt“, sagt Antonia Beyersdorff.
Öffentliche Verkehrsmittel gehören zum Selbstverständnis der Beyersdorffs. Autos nicht. Vater Thomas legt seinen Weg zur Arbeit mit der S-Bahn zurück. Und Maren Beyersdorff verlässt sich auf ihr Fahrrad. „Wir möchten nicht ständig auf das Auto angewiesen sein“, so Thomas Beyersdorff. Denn sowieso eigne sich gerade Babelsberg nicht unbedingt für Fahrzeuge – schon allein wegen der wenigen Parkplätze. Doch „leider“, sagt Mutter Maren, sei auch die Situation für Fahrradfahrer ungünstig. „Wenn ich mit Ben auf dem Rad unterwegs bin, nehmen wir oft den Bürgersteig – auf den meisten Straßen hier ist es wegen des Kopfsteinpflasters zu huckelig, und wegen des Verkehrs auch zu gefährlich.“
Der Zeiger der Holzuhr in der Küche bewegt sich in Richtung 8 Uhr. Jetzt muss Benedikt, der gerade noch am Küchentisch mit Legosteinen hantiert hat, in die Schule. Seine Bruno Bürgel-Grundschule liegt fast um die Ecke, Vater Thomas schafft ihn dorthin. Maren Beyersdorff bleibt zurück im Haus.
Das Haus. Viel können die Beyersdorffs über die Zeit der Sanierung erzählen, bis sie in solchen Verhältnissen wie jetzt wohnen konnten. Zwei Jahre davon brauchten allein die Abstimmungen für Arbeiten in dem denkmalgeschützten Bau, auf einige Mitarbeiter in der Potsdamer Verwaltung sind die Eheleute immer noch nicht gut zu sprechen. „Wir haben immer wieder das Gefühl, dass die Bereitschaft, für ein Problem eine Lösung zu finden, nur gering ist“, sagt Maren Beyersdorff. Doch nach etlichen Wirrungen wirkt das zweistöckige Haus nun gemütlich, Holz und unverputzte Ziegel neben cremefarben gestrichenen Wänden versprühen Charme. Die Küche hat raumhohe Fenster, ein knapp 600 Quadratmeter Grundstück mit einem Schuppen und einem noch unsanierten Remisen-Bau schließen sich an. Maren Beyersdorff zeigt auf die verwitterten Wände des Baus, an dem sich Gehölze empor schlängeln: „Das ist unser nächstes Projekt.“
Nach der Sanierung ihres Weberhäuschens können die Beyersdorffs solche Feststellungen treffen – sie sind „Bauprofis“ geworden. Auf Einiges haben sie während der Bauarbeiten, während denen sie in einer nahen Ausweichwohnung lebten, verzichten müssen. Vor allem auf die Dusche. „Unser Waschbecken war heilig“, scherzt Mutter Maren. Und wird schnell wieder ernst: „Damals hat auch die Zeit mit den Kindern gelitten.“
Der Entwicklung hat das wohl keinen Abbruch getan. Benedikt wirkt, wie sich viele Eltern einen sieben Jahre alten Sohn vorstellen. Nur etwas schüchtern ist er. „In der Schule mag ich am meisten Mathe, Deutsch und Sport.“ In der Freizeit spielt er am liebsten Fußball. Er ist brav. Seine Schwester Antonia bewegt sich gerade in Richtung Pubertät. Das bleibt nicht ohne Konflikt, wie ein Zettel am Küchenbrett zeigt: „Hausaufgaben erledigen. Schulmappe packen“, sind einige der Aufgaben bis zur Freizeit. Zwist gibt es neben dem Grad der Schminke, die Antonia auflegen darf, vor allem um den Fernseher, den die Eltern mit einem Code ausgestattet haben. „Ich will wissen, was meine Kinder sehen“, sagt Maren Beyersdorff. Antonia sagt, dass sie mehr Action-Serien gucken will, gerade die K11-Kommissare auf Sat1. Da aber tagsüber die Angebote bewegter Fernsehbilder nun einmal rar für sie sind, trifft sie sich oft mit Freunden in der Stadt, beim Eis oder McDonalds. Ihre Freundin Lilli darf regelmäßig bei ihr schlafen – und umgedreht. Die Familie hat sich beim Satori-Fitnesscenter in Babelsberg angemeldet, dazu bei einigen Sportvereinen.
Gerade das Engagement in solchen Institutionen finden die Eltern Beyersdorff wichtig. Vater Thomas ist ehrenamtlicher Schöffe und beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland. Mutter Maren ist Schriftführerin bei der Babelsberger SPD und aktiv in den Fördervereinen der Schulen von Antonia und Benedikt. „Für sie will ich mich einsetzen“, sagt Maren Beyersdorff. Später fügt sie nachdenklich hinzu: „Es ist natürlich für die Kinder nicht immer einfach nachzuvollziehen, wenn mein Mann und ich wegen Terminen abends einmal weg sind.“
An diesem Abend ist es nicht so. Die Eltern sind da, bereiten zusammen ein Menü für eingeladene Gäste vor. Antonia schnippelt Spargel, Ben schneidet Erdbeeren, Maren und Thomas stehen am Herd. Entspannung. Gleich wird jemand den Klopfer an die Haustür schlagen.
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