Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam: Erhebliche Umbrüche
100 Jahre Oktoberrevolution: Das Potsdamer ZZF untersucht, warum Revolutionen keinem festgeschriebenen Muster folgen.
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Der Historiker Jack A. Goldstone meint genau zu wissen, mit welcher historischen Persönlichkeit der amerikanische Präsident Donald Trump Gemeinsamkeiten aufweist: mit dem italienischen Faschisten Benito Mussolini. Allerdings sei der wohl erheblich intelligenter gewesen, vermutet Goldstone. Beiden Staatsmännern gemeinsam sei jedoch, dass sie die Zertrümmerung demokratischer Institutionen anstrebten und eine konservative Revolution in Gang setzen wollten. Mussolini sei bekanntermaßen zunächst recht erfolgreich bei der faschistischen Umgestaltung Italiens gewesen, später nicht mehr. Trump schicke sich derzeit an, die rechtsstaatliche Gewaltenteilung Amerikas in Frage zu ziehen.
Dass Revolutionen nicht notwendigerweise einen gesellschaftlichen Fortschritt bedeuten und auch keineswegs nach einem vorhersehbaren Muster verlaufen, war das Thema eines Symposiums des Zentrums für Zeithistorische Forschung Potsdam (ZZF) und der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Die russische Revolution im Jahre 1917 habe die Welt nachhaltig verändert, stellt der Historiker und Co-Direktor des ZZF, Frank Bösch, fest. Dementsprechend fände derzeit eine breite historische Diskussion darüber statt, sogar in Süddeutschland. „Bayern und die russische Revolution“ sei das Thema einer Veranstaltung im südlichsten Bundesland gewesen. Revolutionen stünden häufig am Anfang einer gesellschaftlichen Umwälzung, die dann aber viel länger dauere und weitere gewaltsame Umbrüche mit sich bringen könnten, so Bösch.
Was nun Revolution und was Terrorismus sei, das werde von Fall zu Fall neu ausgehandelt. Revolutionäre als legitime Weltverbesserer blickten auf eine lange Tradition zurück, die von der französischen über die russische Revolution bis hin zu Kuba und Nicaragua reichen würden. Verklärte Bilder von revolutionärem Pathos, wie sie beispielsweise Che Guevara als bekannte Ikone der kubanischen Revolution liefere, würden darüber hinweg täuschen, dass mit der gewaltsamen Machtergreifung die Gewalt häufig nicht beendet sei.
Goldstone erinnert an die russische Revolution, bei der zwar im Oktober 1917 die Bolschewiki erfolgreich die Macht an sich rissen, damit jedoch noch längst nicht die zerrissene russische Gesellschaft befriedet hatten. Habe sich zuvor die provisorische Regierung in der Duma seit Februar 1917 als zu schwach erwiesen um Russland zu regieren, so hätten doch auch die Bolschewiki lange Jahre gebraucht, um die russische Gesellschaft neu zu strukturieren. Denn auf die Oktoberrevolution sei ein langer Bürgerkrieg gefolgt. Stalin habe mit politischen Säuberungen und seiner Neuen Ökonomischen Politik geradezu einen Krieg gegen das eigene Volk geführt. Schließlich allerdings sei das kommunistische Regime in der UDSSR derart etabliert gewesen, dass im Jahre 1989 niemand mit dessen Zusammenbruch gerechnet hätte. Was dann mit dem Zerfall Russlands und dem Anschluss der DDR begann, gerate derzeit ins Kippen. Denn in Polen, Ungarn und der Türkei artikulierten sich nun politische Regime mit einem ausgesprochen autoritären Staatsbegriff.
Auch Wolfgang Thierse erinnert auf der ZZF-Tagung daran, dass mit der Abschaffung eines autoritären Regimes wie der DDR gesellschaftliche Umbrüche in Deutschland nicht beendet seien. „Die DDR hatte jede Daseinsberechtigung verloren. Gegründet aus einem antifaschistischen Impuls heraus war sie zum Schluss ökonomisch und gesellschaftlich vollständig gescheitert“, konstatiert Thierse. Allerdings gingen augenblicklich mit der Globalisierung erhebliche Umbrüche einher. „Arbeitsbiografien werden unsicher, eine Sehnsucht nach einfachen Lösungen macht sich breit“, so Thierse. Die sozialen Medien würden sich in der demokratischen Diskussion häufig nicht als eine Erweiterung der Informationsbasis, sondern als Echoräume der eigenen Vorurteile erweisen. Nur offene Gesellschaften seien jedoch produktiv, dies entspreche auch dem revolutionären Impetus von 1989. Gerade weil der damalige Umbruch in der DDR und in den osteuropäischen Staaten friedlich verlaufen sei, habe sich gezeigt, dass echte Revolutionen nicht notwendigerweise mit Blutvergießen einhergehen müssen.
Auch die russische Historikerin Ljudmila Novikova betont, dass die russische Revolution im Jahre 1917 jedenfalls im Februar erst einmal weitgehend unblutig verlaufen sei. Welche historischen Chancen die damalige provisorische Regierung gehabt und verspielt habe und wie diese Phase der russischen Geschichte letztlich zu bewerten sei, das werde gegenwärtig nicht nur in Russland breit diskutiert. Die Revolution habe sich jedenfalls nicht auf die „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“ beschränkt, von denen der amerikanische Journalist John Reed geschrieben habe. Vielmehr sei die Zeit des revolutionären russischen Umbruchs wenigstens auf den Zeitraum von 1914 bis 1922 zu beziffern. Wohin die gegenwärtige Neubewertung der russischen Geschichte führe, wie sie auch von Russlands Präsident Wladimir Putin initiiert werde, müsse sich erst noch zeigen. Richard Rabensaat
Richard Rabensaat
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