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Ein Expertenteam um Cindy Perscheid (l.) aus Deutschland, den USA und Nigeria hat geholfen, Ebola zu bekämpfen. 

© KAY HERSCHELMANN

Potsdamer Wissenschaftlerin: Erst Ebola, dann Corona auf der Spur

Cindy Perscheid und ihr Team entwickelten am Hasso-Plattner-Institut Sormas, ein System zur Kontaktnachverfolgung. Es war für Ebola gedacht, heute nutzt es ganz Deutschland für Corona.

Von Carsten Holm

Potsdam - Eigentlich begann alles mit Nigeria. Cindy Perscheid, damals 25 Jahre alt, hatte 2013 nach dem Bachelorstudium am Hasso-Plattner-Institut (HPI) ihren Master of Science-Titel im Fach IT-Systems Engineering erworben, als Spezialistin für die Entwicklung hochkomplexer Software. Als Tochter einer Hausverwalterin und eines Finanzverwalters in Klein Glienicke aufgewachsen, hatte sie nach dem Abitur auf der Lenné-Gesamtschule die ersten großen Schritte einer Wissenschaftskarriere am HPI getan. Und ohne es damals ahnen zu können ein Programm mitentwickelt, das heute bei der Bekämpfung der Corona-Pandemie wichtige Dienste leistet: Sormas, eine Software zur Nachverfolgung von Infektionsketten.

2014 brach Ebola aus. Es war zunächst nicht abzusehen, dass die Fieber-Epidemie in Nigeria und weiteren afrikanischen Staaten das Institut am Griebnitzsee beschäftigen würde. Und schon gar nicht, dass die Potsdamerin Teil eines Expertenteams aus Deutschland, den USA und Nigeria werden würde, das mit einem neuen Programm made in Potsdam helfen könnte, die hochgefährliche Seuche zu besiegen.

Etwa 70 Prozent der Infizierten starben

Cindy Perscheid war damals Doktorandin, sie betreute Studenten des Bachelorprojekts am HPI-Lehrstuhl „Enterprise Platform and Integration Concepts“, wo verschiedene Software mit großen Datenmengen für Anwendungen in Unternehmen zusammengeführt wird. Das Institut erfuhr, was in Nigeria passierte. Schließlich taten sich die Potsdamer Forscher mit Experten des Braunschweiger Helmholz-Zentrums, des Berliner Robert Koch-Instituts (RKI), des Hamburger Bernhard-Noch-Instituts, des Software-Entwicklers SAP und mit Kollegen aus Nigeria zusammen.

Cindy Perscheid.
Cindy Perscheid.

© Andreas Klaer

Der Flächenstaat am Golf von Guinea, ungefähr 2,6 mal so groß wie die Bundesrepublik und mit rund 200 Millionen Bürgern der bevölkerungsreichste Staat des Kontinents, hatte am 8. August 2014 den nationalen Notstand ausgerufen. In den ersten Monaten verdoppelte sich die Zahl der gemeldeten Neuinfektionen alle drei bis vier Wochen, die Dunkelziffer war hoch. Etwa 70 Prozent der Infizierten starben, Grenzen wurden geschlossen.

Ein großes Problem war – den Deutschen heute durch die Corona-Pandemie geläufig – die Ausbreitung des Virus zu stoppen und die Nachverfolgung der Kontakte von Infizierten und deren Kontaktpersonen zu sichern. „Die Mitarbeiter der nigerianischen Gesundheitsbehörden leisteten Unglaubliches. Sie waren nicht selten tagelang unterwegs, um Kontakte zu ermitteln und zu entscheiden, wer isoliert werden muss“, erzählt Perscheid den PNN, „sie klärten, ob sich die Nachbarin eines Infizierten, die krank aussah, angesteckt haben könnte und regelten, dass Begräbnisse kontaktarm stattfanden.“ Doch insbesondere die Daten zur Nachverfolgung der Kontakte mussten die Nigerianer auf Papier notieren, weil es noch keine Computerprogramme für deren Erfassung gab.

System zur Nachverfolgung der Kontakte entwickelt

Ein Studententeam des Instituts entwickelte ein Programm, mit dem dies systematisch passierte. Dieses Bachelor-Projekt entwickelte unter der Leitung von Cindy Perscheid einen Prototyp für das sogenannte Contact-Tracing. Sie selbst entwarf Prozessmodelle für den Ablauf eines Ebola-Ausbruchs, „es waren die Blaupausen für das System, was es heute gibt“. Vom Griebnitzsee aus habe sie „zwei Monate lang ständig mit Kolleginnen und Kollegen in Nigeria telefoniert, nicht selten eine Stunde am Tag“, sagt Perscheid. Der Projektleitung stellte das HPI dafür keine Rechnungen aus, Hasso Plattner hatte darauf gedrungen.

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Gern erinnert sich Perscheid, die mit ihrem Ehemann Michael, inzwischen Stellvertreter Hasso Plattners an dessen Lehrstuhl, und der fünfjährigen Tochter in Bornstedt lebt, an die internationalen Treffen der Forscher in Deutschland. Im Herbst 2014 etwa hatte sich das Konsortium gebildet, bei Treffen kamen später Experten von SAP aus den USA wie auch aus Nigeria. Das Programm bekam einen Namen, als „Surveillance Outbreak and Response Management System“ kam es unter dem Kürzel Sormas zu internationalem Einsatz. Im Januar dieses Jahres beschlossen Bund und Länder, Sormas bundesweit in allen Gesundheitsämtern einzuführen.

Sormas auch in Potsdam installiert

Stand Freitag ist es in 347 Ämtern installiert, seit dem 1. Juni auch in Potsdam. Wie das Gesundheitsamt auf PNN-Anfrage mitteilte, lassen sich mit dem Programm „mehr Daten strukturiert erfassen und die Meldungen der Zahlen an das RKI vereinfachen“. Nur: Die durchschnittlichen Bearbeitungszeiten hätten sich im Vergleich zu der vorherigen, Potsdam-internen Lösung namens EliP „spürbar verlängert“. Seit dem 2. Juni bis zum 21. Oktober seien mit Sormas 5030 Kontaktpersonen erfasst worden.

Als das HPI als Konsortialpartner ausschied, waren die Plattner-Mitarbeiter, so Perscheid, „etwas traurig, aber bis heute schlägt mein Herz auch für meine Doktorarbeit, für genetische Daten“. Sie blickt dennoch zufrieden zurück auf diese Zeit: „Ich habe nicht erahnen können, dass Sormas zu einer solchen Bedeutung kommen würde. Ich habe immer geglaubt, für Deutschland habe es keine Relevanz. Doch dann kam Corona.“

Für ihre Doktorarbeit, die sie bis zum Jahresende einreichen will, liegt ihr Forschungsinteresse auf der „frühen Integration von biologischem Kontext in die Biomarker-Analyse“. Das heißt, es geht um die Frage, welche Gene bei bestimmten Krankheiten eine tragende Rolle spielen.

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