Landeshauptstadt: Es frisst die Leute schleichend
Dem Rheumatologen Martin Bohl-Bühler wird in Potsdam die Zulassung verwehrt. Dabei ist der Bedarf vorhanden. Das Berliner Rheumaforschungszentrum sieht die Zulassung daher als „zwingend geboten“ an
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Martin Bohl-Bühler ist ein Puzzlespieler. Ein Sammler und Jäger jener Teile, die aus dem Chaos der Symptome ein Bild entstehen lassen, das Bild einer Krankheit, die unterschätzt wird: Rheuma. Er könne im Einzelnen nichts besser als jeder andere Arzt. Besonders gut sei der Rheumatologe nur im Erkennen von Rheuma – durch zusammenfügen vieler Einzelinformationen. Die Krankheit stellt sich dar wie das Durcheinander eines 1000-Teile-Puzzles einer Dorfkirche. Man zeigt dem Architekten ein Stück vom Himmel oder von der Wiese – er hat keine Ahnung. Man zeigt dem Gärtner ein Teil der Kirchenmauer – es sagt ihm nichts. Der Rheumatologe aber sieht blau, grün, rot und diagnostiziert: Das kann nur eine Dorfkirche aus rotem Backstein sein, davor die Wiese, darüber der Himmel – also Rheuma.
Bohl-Bühlers Vermieterin hat das Hinterhof-Gebäude in der Friedrich- Ebert-Straße für die Zwecke einer Arztpraxis aufwändig sanieren lassen. Sieben Jahre stand das Haus leer. Nun laden offene Flügeltüren zum Eintritt in ein modernes Office, in dem sich der wartende Patient an kostenlosen Getränken bedienen oder an einem Internet-Punkt online gehen kann. An einer Wand hängt Gesundheitsministerin Ulla Schmidt als Clown. Sie wackelt mit den Armen und Beinen, wenn man an der Strippe zieht. In einer Hand hält sie einen Zehn-Euro-Schein; auf einem Schildchen steht „Der Nächste bitte“. Ein Fahrstuhl verbindet das Office mit den Behandlungsräumen. In einem zeigt Bohl-Bühler ein modernes Gerät zum Messen der Knochendichte vom Typ „Lunar prodigy“. „Der Vorläufer steht im Klinikum beziehungsweise im Gesundheitszentrum“ sagt er. Der Rheumatologe hat in Potsdam einen Rheumatologen-Traum verwirklicht und ein Zentrum zur Behandlung der Krankheit aufgebaut – doch zugelassen ist Bohl-Bühler als ganz normaler Hausarzt. Seinen Antrag hat der Zulassungsausschuss für Ärzte bei der Kassenärztlichen Vereinigung Brandenburg (KV) im August 2005 abgelehnt. Begründung: Die rheumatologische Versorgung der Bevölkerung Potsdams sei durch vorhandene Ärzte sichergestellt. Es gebe in der Stadt zwei Rheumatologen und zwei Orthopäden mit dem Schwerpunkt Rheumatologie.
Dieser Angabe widerspricht Bohl-Bühler. Er hat gegen die Ablehnung Widerspruch eingelegt. Seine Zulassung habe er damit begründet, dass der Rheumatologe Dr. Götz seine Arbeit im Gesundheitszentrum in diesem Jahr aufgibt. Und tatsächlich ist Dr. Jana Naumann mit dem Ausscheiden von Dr. Götz seit dem 1. Juli die einzige zugelassene Rheumatologin im Gesundheitszentrum und in der 144 000-Einwohner-Stadt Potsdam. Und dies nur zu 80 Prozent, denn an einem Tag in der Woche hält sie Sprechstunde in Treuenbrietzen. „Rheumatologen sind relativ selten gesäht“, sagt Klaus-Peter Linke, Geschäftsführer des Gesundheitszentrums. Nach Dr. Götz wieder einen zweiten Rheumatologen anzustellen sei nicht geglückt. Nun wolle die zum Klinikum „Ernst von Bergmann“ gehörende Einrichtung „mehr in die Breite gehen“; es wurde eine Gastroenterologie zur Behandlungen von Erkrankungen des Magen-Darm-Trakts aufgebaut. Eine Kardiologie für Herz-Kreislauf-Erkrankungen soll folgen. Eine Rheumatologin genüge, argumentiert Linke. Die Wartezeiten für einen Termin im Gesundheitszentrum bei Frau Dr. Naumann betrage auch nach dem Weggang von Dr. Götz nie mehr als vier Wochen, in dringende Fälle sei nach Rücksprache mit einem Hausarzt auch ein Termin nach nur zwei Wochen drin.
„Das ist faktisch nicht wahr“, widerspricht Bohl-Bühler. Er habe 120 Patienten direkt vom Gesundheitszentrum übernommen, die von dort gesagt bekommen hätten, dass Frau Dr. Naumann keine neuen Patienten annehmen könne. Nachdem eine Patientin bei ihr keinen Termin bekam, sei sie zur Kassenärztlichen Vereinigung gegangen. Die habe auf einen Dr. Kapelle in Hoyerswerda in Sachsen verwiesen. Auf die Frage, ob „es hier nicht doch noch was gibt“, habe die KV gesagt, da sei noch der Bohl-Bühler, der habe zwar nur eine Hausarzt-Zulassung, aber sie könne es bei dem „doch mal versuchen“. In einer Situation, wo die KV sagt, es gebe in Potsdam keinen Bedarf für ihn, habe er allein seit dem 24. April 500 Patienten behandelt. Bohl-Bühler: „Wenn es den Bedarf nicht gibt, wo kommen dann meine Patienten her?“
Bevor der Zulassungsausschuss gegen den Antrag Bohl-Bühlers entschied, befragte er Dr. Jana Naumann vom Gesundheitszentrum, ob sie den Bedarf für einen weiteren Rheumatologen in Potsdam sehe. Sie verneinte dies. Dazu der Kommentar Bohl-Bühlers: Wenn ich einen Schreiner frage, ob er für einen weiteren Schreiner in seiner Straße ist, sagt der auch, „Ach nein, ich schreinere hier schon ganz ordentlich.“
Sie habe sich zuerst für einen zweiten Rheumatologen im Potsdam ausgesprochen, sagt Dr. Jana Naumann. Doch dann erfuhr sie, dass beim Rheumatologen Dr. Jörg Kaufmann in Ludwigsfelde noch Kapazitäten frei seien. Ihm fehlten Patienten, er habe 400 im Quartal, wollte aber gern 1000 haben. Rheumatologen verdienten nicht gut. 900 bis 1000 Patienten sind nötig, so Dr. Jana Naumann. Sie habe 200 Patienten von Dr. Götz übernommen, weitere 400 könnten von Dr. Kaufmann weiter behandelt werden. Die 20 Kilometer von Potsdam nach Ludwigsfelde seien den Patienten zuzumuten. Im Flächenland Brandenburg seien die Wege zum nächsten Rheumatologen oft noch viel länger.
Selbst der Zulassungsausschuss sieht denn auch in seinem Ablehnungsschreiben an Bohl-Bühler für das Land „eine ausreichende insbesondere flächendeckende Versorgung der Patienten mit rheumatischen Erkrankungen – schon aufgrund der Verteilung der Praxisstandorte“ - als „nicht gewährleistet“ an. In Brandenburg gebe es elf zugelassene Fachärzte für Innere Medizin und neun Fachärzte für Orthopädie mit Schwerpunkt Rheumatologie. Zu den elf klassischen Rheumatologen zählt die Kassenärztliche Vereinigung auch Bohl-Bühler dazu. Dieser war zuvor in Brandenburg (Havel) Rheumatologe. Einen Nachfolger für ihn dort gebe es nicht. Laut Dr. Jana Neumann, Bohl-Bühlers Widersacherin in Potsdam, müssten nun zwei Ärzte aus der Rheumaklinik Treuenbrietzen für Bohl-Bühler in der Stadt Brandenburg aushelfen. Diese könnten aber nur die Hälfte der Sprechstundenzeit abdecken. Die anderen Patienten müssten nun nach Potsdam oder Treuenbrietzen fahren. Dass sie die vier Wochen Wartezeit für einen Patienten-Termin derzeit nicht einhalten könne, begründet sie mit ihrem dreiwöchigen Urlaub im August.
Für Jana Neumann kämpft Martin Bohl-Bühler „an verschiedenen Orten mit verschiedenen Waffen“. In Potsdam beklage er, dass Patienten nach Ludwigsfelde fahren müssen. Seine Brandenburger Patienten mute er aber durchaus zu, zu ihm nach Potsdam zu fahren.
Für Bohl-Bühler ist es unverständlich, dass sein Antrag abgelehnt wurde, Dr. Kaufmann in Ludwigsfelde aber zugelassen wurde – obwohl er seinen Antrag nach ihm eingereicht hat. Dr. Kaufmann wurde im Januar dieses Jahres zugelassen, Bohl-Bühler bereits im August 2005 abgelehnt.
„Dr. Kaufmann ist in einem anderen Planungsbereich, in Teltow-Fläming“, begründet Ralf Herre von der Kassenärztlichen Vereinigung die Bevorzugung Dr. Kaufmanns. Seit dem Beschluss der Zulassungsausschusses im August 2005 habe es „eine Veränderung“ gegeben: Die Stelle von Dr. Götz wurde nicht wieder besetzt. Der Berufungsausschuss werde sich Herre zufolge im August mit dem Fall Bohl-Bühler beschäftigen. Der Zulassungsausschuss sei „ein autarkes Gremium“; ob er dem Wegfall der Rheumatologen-Stelle am Gesundheitszentrum eine Bedeutung beimisst oder nicht, werde sich zeigen. „In der Beurteilung“ könne sich der Antrag Bohl-Bühlers „differenzierter darstellen“, so Herre.
Eine aktuelle Bewertung der Potsdamer Situation nimmt Prof. Angela Zink vom Deutschen Rheumaforschungszentrum der Charité Berlin vor: „Bei einer Einwohnerzahl von 144 000 ist der Bedarf daher spätestens seit der Praxisaufgabe (von Dr. Götz – d. Red.) nicht mehr gedeckt. Rheumapatienten sind zu einem großen Teil in ihrer Mobilität eingeschränkt; viele davon sind ältere Frauen, die nicht unbedingt über ein Auto verfügen. Die rheumatologische Versorgung muss daher wirklich wohnortnah angeboten werden.“ Sie teilt weiter mit: „Nach den Berechnungen der DGRh (Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie – d.Red) wären für Potsdam idealerweise 3 bis 4,5 internistische Rheumatologen, nach internationalen Mindeststandards mindestens 1,5 internistische Rheumatologen vorzusehen.“ Es komme hinzu, dass Potsdam angesichts der fast fehlenden rheumatologischen Versorgung in der Fläche auch große Teile von Brandenburg mitversorgen müsse. Das gravierendste Problem in der rheumatologischen Versorgung sei, dass mindestens die Hälfte der Kranken „nie einen speziell ausgebildeten Arzt erreichen“. Zu Bohl-Bühler schreibt die Professorin: „Die Zulassung von Herrn Bohl-Bühler als fachärztlicher Rheumatologe ist daher aus epidemiologischer und versorgungspolitischer Sicht zwingend geboten und äußerst wünschenswert.“
Die gesellschaftlichen Kosten und humanistischen Defizite der Unterversorgung rechnet Bohl-Bühler vor: Es dauere im Schnitt 1,6 Jahre nach Beginn einer rheumatoiden Arthritis, bis ein Patient einem Rheumatologen vorgestellt wird. Viele hätten da schon die komplette Tumordiagnostik hinter sich. Nach drei Jahren seien 50 Prozent der Rheuma-Patienten erwerbsgemindert, nach fünf Jahren die Hälfte berentet.
Dabei seien die Zerstörungen, die die Krankheit anrichtet, im ersten Jahr am Größten. Bei einer frühzeitigen aggressiven Behandlung bestehe dagegen sogar eine 30-prozentige Chance auf vollständige Heilung. Neuesten Erkenntnissen, so Bohl-Bühler, widersprechen der These, Rheuma sei zwar unangenehm, aber man sterbe nicht daran. Tatsächlich verkürze Rheuma die Lebenserwartung um zehn Jahre. Nur man sterbe nicht spektakulär wie ein Patient mit Herzgefäßverengung, der sich plötzlich an die Brust fasst. „Rheuma frisst die Leute schleichend“, sagt Bohl-Bühler. Er setzt sich für Früharthritissprechstunden beim Rheumatologen ein. Damit der die Chance hat, das zu tun, was er gut kann: Die roten, grünen und blauen Puzzleteile zum richtigen Bild zusammen zu setzen.
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