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Sicher in der Vogelschutzstation. Ein Schreiadler in einer Voliere in Woblitz nahe dem nordbrandenburgischen Himmelpfort. Noch kommen jedes Frühjahr nach einer Reise von 10 000 Kilometern die Schreiadler zu ihren angestammten Brutplätzen in Mecklenburg- Vorpommern, Brandenburg und Sachsen-Anhalt zurück.

© Patrick Pleul/dpa

Von Anja Sokolow: Frische Mäusefilets auf dem Speiseplan

Schreiadler in Not: „Jungvogel-Management“ gegen das Aussterben

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Woblitz/Berlin ­ Zuerst stehen frische Mäusefilets auf dem Speiseplan, später wandern die Nager ganz in den Magen – etwa 50 Tage lang werden so oft ausgehungerte Schreiadler-Küken aufgepäppelt.

Die Naturschutzstation Woblitz (Oberhavel) sorgt sich um den Nachwuchs, den erstgeborene Geschwister sonst in der Regel durch Attacke und Abdrängen vom Futter zu töten versuchen. Es ist dieser sogenannte Kainismus, wo Vogelschützer ansetzen, um die seltene Vogelart vor dem Aussterben zu bewahren. Der Begriff leitet sich vom alttestamentarischen Brudermord Kains an seinem Bruder Abel ab.

Deutschlandweit gibt es nur noch knapp 100 Schreiadlerpaare (Aquila pomarina). Bis auf ein Brutpaar in Sachsen-Anhalt leben sie ausschließlich in Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern. Mit einer Körperlänge von bis zu 66 Zentimetern ist der Schreiadler der kleinste in Deutschland heimische Adler. Er hat ein überwiegend bräunliches Gefieder und erreicht eine Flügelspannweite von bis zu 168 Zentimetern. Besonders in seinem Brutevier macht der Vogel mit „tjück“-Rufen auf sich aufmerksam.

Seit 2004 versuchen Tierschützer in Brandenburg, den Bestand zu retten. Er ist in der Bundesrepublik laut Roter Liste „stark gefährdet“. Um den typischen Geschwistermord zu verhindern, nehmen Mitarbeiter des Landesumweltamtes und andere Tierschützer die zweitgeborenen Jungvögel aus den Nestern.

„Durch das Jungvogel-Management wurden von 2004 bis 2008 in Brandenburg schon 23 Jungvögel zusätzlich flügge, in Mecklenburg- Vorpommern drei. Damit konnte die Fortpflanzungsziffer in Brandenburg um 34 Prozent gesteigert werden“, erklärt der Vorsitzende der Weltarbeitsgruppe Greifvögel, Bernd-Ulrich Meyburg. Das Management geht auf Erfahrungen des Berliners zurück, die er bereits in den 1960er Jahren in der Slowakei sammelte. Ein weiterer Schwerpunkt des Projektes ist die Überwachung der Flugrouten der Vögel ins Winterquartier, das südliche Afrika, per GPS-Sender. „Ein besenderter Jungvogel ist bereits im ersten Jahr aus dem Süden zurückgekehrt. Wie viele ihm noch folgen, ist ungewiss“, berichtet der Biologe, der für die Technik und Datenauswertung zuständig ist. Mit etwa 10 000 Kilometern legt der Schreiadler die weiteste Zugstrecke aller heimischen Greifvögel zurück ­ eine Herausforderung vor allem für unerfahrene Jungtiere. Hinzu kommt der illegale Abschuss in Ländern Südeuropas und des Nahen Ostens. Aber auch andere, noch unbekannte Gefahren lauern auf die Tiere. „Auf der Sinai-Halbinsel wurden 27 tote Vögel gleichzeitig gefunden, darunter auch einer der hochgepäppelten. Ohne den Sender wären wir nie dahinter gekommen“, sagt Meyburg. Er will jetzt die Todesumstände erforschen. 2007 begannen die Deutsche Wildtier Stiftung und die Deutsche Bundesstiftung Umwelt eine für fünf Jahre ausgelegte Förderung des Projekts.

„Bis langfristige Schutzkonzepte greifen, könnte der Schreiadler in Deutschland ausgestorben sein“, begründet Projektkoordinatorin Margit Meergans von der Deutschen Wildtier Stiftung die Notwendigkeit sofortiger Hilfe. Langfristig könne das Jungvogel-Management aber nur sinnvoll sein, wenn die Tiere in Deutschland auch den passenden Lebensraum finden, sagt Meergans. Schreiadler benötigten urwüchsige Laubmischwälder mit nahe gelegenem feuchtem Grünland, in dem sie auch zu Fuß jagen können. Ein Großteil dieses Lebensraums sei durch intensive Landnutzung und die Entwässerung oder forstliche Eingriffe beeinträchtigt worden. Die Stiftung setzt sich daher auch für die Einrichtung geheimer Brutbiotope ein. Außerdem sollen Abschussverbote in den Ländern auf der Flugroute durchgesetzt werden.

Weiteres im Internet:

www.deutschewildtierstiftung.de

www.dbu.de

Anja Sokolow

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