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Zeitzeuginnen. Martina Münch und Ulrike Poppe (v.l.) vor Schülern.

© Luana Malik

Landeshauptstadt: Geteilte deutsche Jugend

Ulrike Poppe und Ministerin Martina Münch beim Zeitzeugengespräch

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Zeitzeugen müssen nicht immer alte Männer sein. Beim Zeitzeugengespräch zum Thema „Jugend im geteilten Deutschland“ saßen vor dem Publikum diesmal Bildungsministerin Martina Münch und Brandenburgs Aufarbeitungsbeauftragte Ulrike Poppe, zwei Frauen im besten Alter. Die eine ist in der DDR, die andere in der BRD aufgewachsen, sie seien also durchaus Zeitzeugen, sagte Geschichtslehrerin Anja Kramer vom Einsteingymnasium. Zwei- bis dreimal im Jahr bietet die Schule ihren Schülern der Sekundarstufe II solche Veranstaltungen an, um den Geschichtsunterricht lebendiger zu gestalten. „Alle sind freiwillig hier“, sagte Kramer über die etwa 80 Teilnehmer der Klassen zehn bis zwölf.

Als Nachwende-Geborene spielt für 16- bis 18-Jährigen die Frage nach der Herkunft, ob aus DDR-Territorium oder der alten BRD, kaum noch eine Rolle. „Keine Ahnung, wie viele bei uns aus dem Osten oder Westen kommen“, sagt eine Elftklässlerin. „Das ist bei uns auch kein Thema mehr“, sagte sie. In der Familie werde des Öfteren noch Bezug genommen auf Ost und West – dann aber eher scherzhaft.

Für die beiden Gäste hatten die Schüler viele konkrete Fragen vorbereitet. Martina Münch, die ihre Jugend in Mannheim Ende der 70er-Jahre verbrachte, und Ulrike Poppe, die in Oranienburg zur Zeit der 68er zur Schule ging, zeichneten zwei sehr unterschiedliche Jugendszenarien. Und dennoch ähnelte sich vieles, was beide jungen Frauen erlebten. Unangenehme Lehrer gab es hüben wie drüben, „bei manchen dachten wir, die haben den Beruf verfehlt“, sagte Bildungsministerin Münch zum Amüsement der Schüler. Allerdings war es wesentlich ungefährlicher, sich im Westen der Republik kritisch zu äußern, über Lehrer oder politische Verhältnisse, als im Osten. Martina Münch hätte nur einen Verweis riskiert, Ulrike Poppe wäre damals fast von der Schule geflogen, als sie mit weiteren Schülern einen Brief an die Volkskammer schrieb. „Unsere Fragen zur deutschen Wiedervereinigung wurden als staatsfeindliche Aktion gewertet“, sagte sie.

Doch neben allen Problemen interessierten sich beide Frauen für Rockmusik, Poppe hörte Stones und Beatles, Münch schwärmte für Pink Floyd und Supertramp. „Kennt die noch jemand?“ fragte sie in die Runde. Die Schüler nickten. Auch die Rebellion gegenüber der Elterngeneration, dem spießigem Bürgertum, und vorgegebener Lebensführung, das kannten sie. Dass es einmal Zeiten gab, in denen man im Westen gegen atomare Aufrüstung demonstrierte, das war womöglich neu. „Die Umwelt- und die Friedensbewegung haben mich geprägt“, sagte Münch. Mit 17 Jahren sei sie in die SPD eingetreten, die damals noch als radikale linke Partei galt.

Ulrike Poppe war das Kind eines Parteimitglieds und glaubte lange Zeit daran, den Sozialismus im Osten verbessern zu können. Doch nach und nach spürte sie, dass das nicht geht, und spätestens, als die Stasi ihre Kinder bespitzelte, erwog sie, ihr Heimatland zu verlassen. Die Wende 1989 nahm ihr diese schwere Entscheidung ab, sagte sie. Im Westen tat sich die linke Martina Münch schwer mit Kritik an dem ostdeutschen Kommunismus-Experiment. Dass sie damals die Berichte von DDR-Flüchtlingen über deren Erlebnisse als politische Häftlinge nicht glauben wollte, tue ihr heute sehr leid. In der Frage, wie das perfekte politische System aussehen sollte, waren sich schließlich beide Frauen einig. „Es gibt nichts Besseres als Demokratie“, sagte Poppe. „Ich hoffe, ihr wisst, dass ihr jetzt schon mit 16 Jahren wählen dürft“, ergänzte die Ministerin. Steffi Pyanoe

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