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Der evangelische Pfarrer Martin Kwaschik.

© Andreas Klaer

ZUR PERSON: „Gorbatschow war das Werkzeug Gottes“

Martin Kwaschik, Pfarrer der Erlösergemeinde, wird am Sonntag in den Vorruhestand verabschiedet. Ein Gespräch über den Glauben in der DDR und seine Unzufriedenheit mit der Kirche im Fall Uwe D.

Stand:

Herr Pfarrer Kwaschik, Sie haben ja einen richtigen ordentlichen Beruf erlernt?

Ja, so ist es. Meine Mutter hat nach der zehnten Klasse zu mir und meinem Zwillingsbruder gesagt: Lernt erst einmal einen ordentlichen Beruf, wer weiß, wie lange es mit der Kirche noch gutgeht.

So viel Skepsis trotz 2000 Jahre Kirche?

Es gab Zeiten, so in den 1960er-Jahren, da befürchtete meine Mutter, dass die DDR-ZK-Riege aus unserer Kirche eine Staatskirche macht, so wie in der damaligen Tschechoslowakei, wo der Staat die Hand drauf hatte, wo die Pfarrer eingesetzt werden. Und da hat meine Mutter gesagt, das würde sie nicht mitmachen.

Maler ist ein krisenfester Beruf.

Ich hab so manches Pfarrhaus eigenhändig renoviert.

Sie haben die Tschechoslowakei erwähnt: Der Prager Frühling 1968, das müsste Ihre Jugendzeit gewesen sein.

Damals kam ich zum ersten Mal in einen ernsten Konflikt mit dem Staat: Ich war 16 Jahre alt und habe mit einem Freund in unserem Ort mit Kreide Losungen geschrieben wie „Es lebe Dubcek und seine Reformen“.

In welchem Ort war das?

Heringen an der Helme, das ist bei Nordhausen. Da war meine Mutter Pastorin.

Was passierte weiter?

Sie haben mich verhaftet. Ich bin ein Vierteljahr in Erfurt in Untersuchungshaft gewesen, bei der Stasi. Es war schon haarig für einen Jugendlichen, sag ich mal wenn man gar nicht weiß, wo es hingeht.

Die Haftbedingungen waren inhuman?

Aber ja. Ich wurde nicht gefoltert, aber psychisch hat man mich fertiggemacht.

Durch Einzelhaft?

Zum Teil, ja. Gut, müssen wir auch nicht mehr drüber reden, ist zu lange her. Das will ich noch sagen: Was hatten die für ein Menschenbild? Dass die einen 16-Jährigen so behandeln? Übrigens: Mein Klassenlehrer, der gab Deutsch und Staatsbürgerkunde und war ein Bonbon-Träger (Bonbon: das SED-Abzeichen – die Red.), der war mein bester Verteidiger. Es gab auch Anständige unter denen.

Es gibt Leute, die sagen, Jesus war der erste Kommunist

na ja

Christliche Werte sind soziale Werte.

Das ist richtig. Und heute stelle ich fest, dass die Linke die einzige Partei ist, die pazifistisch ist, die keinen Krieg will.

Wussten Sie, dass Brandenburgs linker Wirtschaftsminister den Umzug einer Rüstungsfirma vom Bodensee nach Wildau sehr begrüßte?

Das ist ja eine Sauerei. Wenn das so ist, braucht man aber auch nicht mehr wählen zu gehen Nein, nein, wir gehen wählen! Das wird bei meiner Verabschiedung am 22. September der erste Satz auf der Kanzel sein: „Wart Ihr denn auch schon alle wählen?“ (lacht herzlich)

Soviel Frustration kann die Demokratie gar nicht hervorbringen, dass man sein Wahlrecht nicht ausübt?

Wenn man es nicht tut, soll man sich auch nicht beschweren, wenn die Falschen an die Regierung kommen. Und das muss ich sagen als einer, der zu DDR-Zeiten nie wählen war: Mal kann man auch aus Protest nicht wählen gehen. Aber grundsätzlich sollte man wissen, wir leben, Gott sei dank, in einer Demokratie und da gehört das mit dazu.

Wenn Sie in der DDR nicht wählen waren, haben Sie am Wahlabend bestimmt Besuch bekommen?

Na klar, ich war junger Pfarrer in Latdorf bei Bernburg und da kamen dann immer die sogenannten Abholer. Ich hab dann immer gleich abgewunken.

Kirche im Sozialismus war eine schwierige Gratwanderung, denke ich.

Das wurde und wird mit Absicht auch missverstanden. Es ging nicht um eine sozialistische Kirche, es ging um eine Ortsbestimmung: Wir sind Kirche in der DDR. Dass wir uns so engagierten, hat auch etwas mit „gesellschaftlicher Diakonie“ zu tun, Dienst am Nächsten.

Es ging wohl auch um „friedliche Koexistenz“ zwischen Kirche und DDR-Staat.

Ja, auch, in den Märzgesprächen ist der Kirche einiges zugestanden worden, Neubaukirchen, die gab es vorher nicht.

Wer bekommt, muss auch geben

Eine gewisse Loyalität. Das war nicht meine Kritik. Meine Kritik richtete sich gegen Kirchenmänner und -frauen, die opportunistisch sich haben einkaufen lassen. Es gab Pfarrer, die schickten ihre Kinder zur Jugendweihe. Oder die Kinder waren in der FDJ! Das wäre für mich schier unmöglich! Das hätte für mich „mit den Hunden heulen“ bedeutet.

Vielleicht wollten sie nur, dass ihre Kinder Abitur machen und studieren dürfen?

Sicherlich auch. Aber es gab Pfarrer, die waren fest davon überzeugt – „Jesus, der erste Kommunist“ und so Ich habe heute nichts gegen die Jugendweihe, aber damals war sie eine ideologisierte Form, den Atheismus zu huldigen. Ja das kann doch ein Pfarrer nicht machen!

Ab wann begann die Kirche sich gegen das System zu stemmen?

Ich weiß nicht, ob es so, wie Sie es beschreiben, ganz richtig ist. Wir Kirchenleute, die gesellschaftskritisch waren, waren schon überzeugt, dass wir den Sozialismus verbessern können. Es war keine pure Antihaltung. Unsere Themen sind ja viele Themen, die man auch links besetzen kann, was Sie schon ansprachen. Damals habe ich gern aus Spaß gesagt – damals bitte, damals! – na, wir werden die Linken schon noch links überholen.

Aber irgendwann wussten Sie, dass der DDR-Gesellschaftsentwurf nicht trägt?

Natürlich, damals war ich im Friedenskreis und wir haben den Schwerpunkt gesetzt auf die Militarisierung der Gesellschaft – ooh, ein heißes Thema. Nach der Wende habe ich 34 Stasi-IMs ausgemacht, die auf mich angesetzt waren.

Sie kamen 1988 nach Potsdam. Wann regte sich in Potsdam der Widerstand?

Richtig knackig wurde es, als wir hier in der Erlöserkirche Tag und Nacht die Klagetrommel schlugen nach der Niederschlagung der Protestbewegung in Peking. Da ging was los. Studenten wurden von Panzern überfahren und Herr Egon Krenz stellt sich hin und verkündigt, dass sei richtig! Und neulich hat sich Helmut Schmidt in einer Talkrunde auch so geäußert – ich denk, ich hör nicht richtig. Aber zurück: Wir hatten die Türen Tag und Nacht offen und die Besucher brachten Blumen und Kerzen – das gab es meines Wissens so vorher noch nicht. Und dann erinnere ich mich: Die Kommunalwahl im Mai 1989 war Betrug hoch geht nicht mehr. Das war auch einer der Auslöser, zu protestieren.

Die Stasi hatte Sie stets im Blick?

Es soll nicht der Eindruck entstehen, ich wäre der Einzige gewesen. Es gab mehrere Gruppen. Ich verstand mich so, wie die Stasi es für mich bedachte, als „Pate“. Ich hatte ja bei denen den Namen „Pate“. (lacht). Das muss man ihnen ja lassen, wenn es um die Decknamen geht, waren sie sehr kreativ. In Bernburg hieß ich „Ormig“, wie diese Druckmaschinen. Ich war ein großer Drucker vor dem Herrn, ich hab viel gedruckt, auch Flugblätter.

Und hier in Potsdam waren Sie der „Pate“.

Und ich würde sagen, zu Recht. Ich habe Pate gestanden.

Pate klingt auch nach gut vernetzt.

Ja, genau. Ich denke mal, dass ich zu denen gehört habe, die es immer wieder geschafft haben, Gruppen wieder zusammenzubringen. Es gab viele Diskussionen, etwa vor der ersten Demo. Die einen sagten, jetzt müssen wir aber raus auf die Straße. Andere fragten: Könnt ihr das verantworten? Was ist, wenn Blut fließt? In dem Stil lief das. Ich habe allen immer wieder eingeschärft: ziviler Ungehorsam ja, aber gewaltfrei.

Sie waren im Neuen Forum aktiv, sind aber nicht Politiker geworden. Warum nicht?

Ich hab mir gesagt, Martin, wenn du weiterhin Pfarrer bleiben willst, dann kannst du dich nicht so intensiv engagieren. Ich stellte fest, dass ich nicht für alle Pfarrer sein kann, wenn ich mich parteipolitisch engagiere. Da habe ich mich zurückgezogen. Und ich habe festgestellt, dass ich als Pfarrer viel erreichen konnte.

Zum Beispiel?

Ich bin im Collarhemd in den Landtag gerannt, als Regine Hildebrand das Asylgesetz verteidigte. Das muss man sich einmal vorstellen, die ist SPD und in dem Punkt schwärzer als die Bayern!

Regine Hildebrandt?

Ich habe sie ja sehr geschätzt. Aber an dieser Stelle verstand ich sie nicht. Also: Regine Hildebrandt redete, die CDU klatschte Beifall und sie dann: „Das verstehe ich ja nicht, dass ich von Ihnen Beifall bekomme.“ Und da rief ich dazwischen: „Da wundern Sie sich noch!“ Sie müssen wissen: Wir in der Erlöserkirchgemeinde waren die Ersten, die Kirchenasyl gemacht haben, das kam sogar in der „Tagesschau“. Vier Roma-Frauen. Dass wir das mit Bravur hingekriegt haben, hab ich Manfred Stolpe zu verdanken.

Was waren die seelsorgerischen Herausforderungen nach der Wende? Die Folgen der Deindustrialisierung nach 1990?

Da ist viel Ungerechtigkeit passiert. Das war keine echte Hilfe, diese ganzen Abwicklungen! Ich hab in der Zeit oft gedacht, mein Gott, kann man das nicht anders lösen? Sehen Sie, ich wollte schon die deutsche Vereinigung, aber langsamer, nicht so schnell. Damals war ich schon sehr unzufrieden. Das war doch eine Übernahme, auch wenn ich heute vieles besser nachvollziehen kann. Eines muss ich noch sagen: Das Werkzeug Gottes zu DDR-Zeiten war Michael Gorbatschow. Der hat uns erst ermutigt. Wir Engagierten in der Kirche konnten uns plötzlich auf einen Michael Gorbatschow berufen. Das ist doch unser Bruder!

Es gab keinen besseren Schutzheiligen.

So ist es! (lacht) Was ich auch noch sagen will, ich bin sehr dankbar, 25 Jahre in dieser Erlöserkirchgemeinde tätig gewesen sein zu können. Ich konnte mich hier voll entfalten. Eine tolle Gemeinde!

Ihre Entscheidung für den vorzeitigen Ruhestand hat etwas mit den Vorwürfen des sexuellen Missbrauchs von Jugendlichen gegen den Pfarrer Uwe D. zu tun, dessen Nachfolger Sie wurden?

Mir geht es nicht so um U. D., sondern um den Gemeindekirchenrat der Heilig-Kreuz-Gemeinde. Es ist das schärfste Urteil, den eine Kirche ehrenamtlich arbeitenden Leuten zumutet, dass man ihren Gemeindekirchenrat einfach auflöst. Da hätte man auch mal reden können. Oder wen einladen, das wäre ihre Pflicht gewesen. Das hat man nicht gemacht.

Es muss doch eine Begründung für die Auflösung gegeben haben.

Es wurde gesagt, wir müssten schärfer vorgehen gegen U. D.. Dafür hatten wir gar keine Handhabe. Wir sollten den Mietvertrag kündigen. Ging aber nicht, der hatte einen wasserdichten Mietvertrag, den hat er bis zum heutigen Tag, dafür kann man uns nicht haftbar machen. Wir haben einiges gemacht, um das Ganze ins richtige Lot zu bringen. Doch das ignoriert man. Wir haben auch Formfehler gemacht. Wir sind keine Juristen! Die Vorwürfe, die man uns macht, kann ich auch dem Kreiskirchenrat oder der Landeskirche machen: Alle haben irgendwie was gewusst!

Ist es schwer, gegen einen Pfarrerskollegen vorzugehen?

Ich war mit ihm befreundet. Wir haben zusammen Doppelkopf gespielt. Das tut schon weh. Sehen Sie, die Staatsanwaltschaft hat das Verfahren wegen Verjährung eingestellt. Das hat U. D. zu sagen veranlasst, seht ihr, ich habe gar keine Schuld. Das haben wir anders gesehen.

Das Interview führte Guido Berg

Martin Kwaschik wurde 1952 in Torgau (Elbe) geboren. Er absolvierte zunächst eine Malerlehre und studierte dann Theologie an der Universität Leipzig. Wegen Unterstützung des Prager Frühlings 1968 saß Kwaschik als 16-Jähriger drei Monate lang in Untersuchungshaft der DDR-Staatssicherheit in Erfurt. Zur Wendezeit unterstützte Kwaschik das Neue Forum. Am Sonntag, dem 22. September, wird der langjährige Pfarrer der Erlöserkirchgemeinde ab 15 Uhr in der Erlöserkirche von Superintendent Joachim Zehner in den Ruhestand verabschiedet. gb

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