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Im studentischen Kulturzentrum erzählen Potsdamer Migrantinnen ihre Geschichten – in Wort und Bild
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„Bin ich Deutschland? Ja, na klar!“ Es war vor der „patriotischen Wende“ der Fußballweltmeisterschaft, dass Adela diese Zeilen geschrieben hat. Selbstbewusst lächelt sie in die Kamera. Auf dem Foto liegt sie mit einer Freundin lässig auf einer Treppe, jede hat einen Arm aufgestützt. Zwischen den beiden eine bunte Einwegkamera. Bei genauerem Hinschauen erkennt man die Stufen vor Schloss Sanssouci. Die 21-jährige Adela ist in Bosnien geboren und wohnt seit 12 Jahren in Deutschland. Ihr Asylantrag läuft immer noch. Zusammen mit ihrer Schwester Mirela und den Eltern zog sie vor drei Jahren von Berlin nach Potsdam und begann eine Ausbildung.
Bilder und Texte von ihr und von acht anderen Potsdamer Migrantinnen sind jetzt in der Kneipe des studentischen Kulturzentrums (Kuze) in der Hermann-Elflein-Straße 10 zu sehen. Die Ausstellung „Migrationsgeschichten aus Potsdam“ eröffnet heute Abend (19 Uhr) mit Buffet, Musik und einer Lesung.
Die 39 Fotos und 20 Texte sind das Ergebnis eines dreimonatigen Workshops der „Medienwerkstatt für Migrantinnen“. An den ersten Termin im April 2006 erinnert sich die 19-jährige Mirela noch genau: „Es war super, so viele Leute zu treffen und einfach willkommen zu sein.“ Bei Kaffee und Kuchen trafen sich im Dachgeschoss des sanierten Hauses in der Elflein-Straße mehr als zehn Frauen. „Fast jede aus einem anderen Land“, erzählt Linda Pelchat. Die Architekturstudentin ist Mitorganisatorin des Projektes. Aus dem Kosovo, aus Russland, Aserbaidschan, Kirgisien, der Ukraine, Vietnam und Südamerika kamen die Migrantinnen, die ihre Geschichten in Bilder und Worten erzählen wollten. „Junge Frauen haben solche Angebote am nötigsten“, findet Pelchat. „Männer finden eher Anschluss über die Arbeit oder einen Sportverein“, erklärt die 24-Jährige.
„Migranten sind sichtbarer als Migrantinnen“, das ist auch die Erfahrung von Juliane Cieslak. Die Idee zu dem Projekt kam ursprünglich von ihr. Während eines Urlaubssemesters 2005 machte die Soziologie- und Sozialpädagogikstudentin ein Praktikum beim Fachberatungsdienst für Zuwanderung, Integration und Toleranz in Brandenburg. Danach hatte sie Lust, selbst etwas auf die Beine zu stellen. Also schrieb sie zusammen mit einer Freundin den Projektantrag an die EU. Der Antrag kam durch, und die 24-Jährige fand noch drei Mitstreiterinnen für ihre Idee. Im April, Mai und Juni trafen sich die vier Studentinnen jeden Freitag mit den Migrantinnen im Kuze.
Am Anfang fotografierten die Teilnehmerinnen sich selbst, ihre Freunde oder Familien und ihre Heimat Potsdam – mit Einwegkameras. Es sei der günstigste Weg gewesen, allen Fotoapparate zur Verfügung zu stellen, erklärt Cieslak. Einen Monat lang wurde fotografiert.
Einen speziellen „Migrantinnenblick“ merkt man den Bildern kaum an. Die Portraits und Szenen aus dem Alltag lassen sich nicht als „ausländisch“ oder „fremd“ einordnen. Ist das vielleicht ein Fazit der Projektarbeit? Juliane Cieslak nickt zustimmend. „So viel anders sind wir nicht“, sagt die Bosnierin Mirela und zuckt mit den Schultern.
Anders verhält es sich dagegen mit den Texten. Das Thema Integration und die Auseinandersetzung mit der neuen Heimat spielen hier eine große Rolle. Zum Beispiel in den Alphabeten, die den Migrantenalltag von A bis Z durchbuchstabieren. H wie „Heimweh“ steht da neben S wie „Sprachschule“. Ungewöhnlich „fremd“ ist auch das Ende von Mirelas Geschichte zum Thema „rot“. „Rote Lippen soll man küssen“, beginnt der Text mit einem Schlagerzitat. Die vermeintliche Liebesgeschichte schlägt in nur wenigen Zeilen um in eine grausame Chaos-Situation, vielleicht eine Kriegsszene. Die geliebten Lippen sind dann nicht mehr rot, sondern blass und der Geküsste muss sterben. Sie habe öfter eine Gänsehaut bekommen, wenn die Texte vorgelesen wurden, erzählt Linda Pelchat. „Es sind sehr berührende Texte entstanden.“
Die Schreibwerkstatt war die zweite Etappe des Workshops. Die Organisatorinnen holten sich dafür professionelle Anleitung von einer Dozentin der Universität Frankfurt/Oder. Dann probierten sie verschiedene Techniken aus. Geschrieben haben die Frauen nicht nur unter dem Kuze-Dach, sondern auch draußen in der Stadt, im Café, in der Straßenbahn, im Klamottenladen.
Durch den Workshop sei sie selbstbewusster geworden, sagt Mirela. Wie es nach ihrem Abitur weitergehen wird, weiß sie noch nicht. Aber ihr Lachen klingt zuversichtlich.
Die Ausstellung ist bis Ende Juli in der Kneipe im Kuze, Hermann-Elflein-Straße 10, zu sehen, täglich ab 21 Uhr.
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