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Behandelbar, aber nicht heilbar. Seit der Entwicklung der sogenannten antiretroviralen Medikamente im Jahr 1996 ist eine HIV-Infektion gut behandelbar, aber eine vollständige Heilung ist vorerst noch nicht in Sicht, sagt der Potsdamer Aids-Experte Doktor Wolfgang Güthoff.

© Manfred Thomas

Landeshauptstadt: „HIV hat mit Sicherheit an Schrecken verloren“

Der Potsdamer Aids-Experte Doktor Wolfgang Güthoff über die Verbreitung der Krankheit in Brandenburg, Probleme bei der Diagnose und Therapiemöglichkeiten „Im Land Brandenburg werden rund 80 Prozent der Patienten zu spät getestet“ „Die Dunkelziffer von HIV-Infizierten im Land schätze ich auf das Zwei- bis Dreifache“

Stand:

Herr Doktor Güthoff, früher kam eine HIV-Infektion einem Todesurteil gleich. Stimmt diese Gleichung noch?

Die stimmt heute Gott sei Dank nicht mehr. Aber in den Anfangszeiten, in denen wir zum ersten Mal mit HIV konfrontiert wurden – und zwar in den 80er Jahren - , hatten wir ein Riesenproblem, weil es da noch keine wirksame Therapie gegen HIV gab. Das heißt, wir haben die Patienten in den Endstadien gesehen, mit zusammengebrochenem Immunsystem, und konnten im Prinzip nichts für sie machen. Erst 1996, als es gelungen war, mehrere Medikamente zu entwickeln, die das Virus an verschiedenen Stellen angreifen und damit deren Vermehrungszyklus stören, war eine wirksame Therapie möglich.

Was ist eigentlich der Unterschied zwischen HIV und Aids?

Wenn man infiziert wird, bekommt man erst einmal ein akutes Krankheitsbild, welches mit hohem Fieber und eventuell auch Lymphknotenschwellung verläuft, was von den meisten – auch oft von Ärzten – so nicht erkannt wird. Viele gehen gar nicht erst zum Arzt, sind aber infiziert. Ihr Immunsystem bekommt nach dieser akuten Infektion die Erkrankung zunächst gut in den Griff und kann sie über einen längeren Zeitraum – über zwei oder sogar bis zu zehn Jahren – relativ gut kontrollieren. Aber das Virus hat eine ganz gemeine Eigenschaft: Es befällt genau die Zellen im Immunsystem - die sogenannten CD4-Zellen oder T-Helferzellen - , die eine Schlüsselfunktion haben. Damit wird das Immunsystem an einer ganz empfindlichen Stelle getroffen; und auf lange Sicht verliert unser Immunsystem diesen Kampf. Und dann treten sogenannte Aids-definierende Erkrankungen auf, wie zum Beispiel eine Pilzinfektion der Speiseröhre, Tuberkulose oder bestimmte bösartige Tumore. Dann redet man von Aids. Vorher, wenn die Menschen infiziert sind, aber noch keine Symptome tragen, nennt man das HIV-Infektion. Dieses Stadium der HIV-Infektion ist epidemiologisch so gefährlich, weil die meisten nicht wissen, dass sie infiziert sind. Wir wünschen uns eigentlich immer, dass die Infektion in einem relativ frühen Stadium diagnostiziert wird.

Derzeit gibt es in Brandenburg rund 780 gemeldete HIV-Infektionen. Steigt die Zahl der Neudiagnosen oder geht sie zurück? Und welche Rolle spielt Berlin dabei?

Deutschlandweit haben wir einen Anteil von 78 000 HIV-Infizierten, der größte Teil Männer. Da sind wir im Land Brandenburg mit rund 780 Fällen relativ gut dran – das ist noch überschaubar. Das liegt schon daran, dass wir ein Flächenland sind, allerdings müssen wir auch berücksichtigen, dass wir die Dunkelziffer nicht kennen, das sind die gemeldeten Fälle, die im Robert-Koch-Institut erfasst werden. Die Dunkelziffer schätze ich auf das Zwei- bis Dreifache. Berlin ist ja mit einigen anderen Großstädten Schwerpunkt, was sicherlich auch mit der Hauptgruppe, männliche Homosexuelle, zu tun hat. Wir haben aber seit zwei bis drei Jahren eine Konstanz in Bezug auf die Zunahme der Neudiagnosen – die haben sich so unter 3000 pro Jahr deutschlandweit eingepegelt. In den zehn Jahren davor, von 2000 bis 2008, hatten wir ansteigende Zahlen. Im Land Brandenburg wurden dieses Jahr 100 Neudiagnosen gemeldet. Durch die guten Behandlungsmöglichkeiten ist die Angst vor der Erkrankung verloren gegangen, weshalb sich auch speziell in dieser Risikogruppe das Sexualverhalten geändert hat. Da keine Angst mehr vorherrschte, würden auch keine Kondome mehr genommen.

Hat sich der Schrecken quasi abgenutzt, verleiten die guten Behandlungsmöglichkeiten sogar zum Leichtsinnigsein?

Ja, da ist was dran. HIV hat mit Sicherheit an Schrecken verloren. Wir können heutzutage einen HIV-Patienten, wenn wir ihn – was leider auch der Fall ist – im späten Stadium diagnostizieren, mit der uns zur Verfügung stehenden Therapie gut behandeln. Wir haben im Gegensatz zu den Entwicklungsländern die Möglichkeit, die HIV-Therapie gut und regelmäßig zu kontrollieren und eventuell sich entwickelnde Medikamenten-Resistenzen schnell zu erfassen und die Therapie darauf einzustellen, weshalb die Patienten kaum noch eine eingeschränktere Lebenserwartung haben als ein Nichtinfizierter. Eine gut geführte Therapie bedeutet aber auch eine bessere Prävention. Wenn es uns gelingt, die Viruskonzentration im Körper des Patienten unter die Nachweisgrenze zu bringen, dann ist er gar nicht mehr so infektiös. Wir wissen zum Beispiel durch eine Studie der Schweizer Aids-Gesellschaft, dass ein gut behandelter HIV-Positiver, bei dem das Virus unter der Nachweisgrenze ist, eigentlich nicht mehr infektiös ist. Der Gebrauch des Kondoms wird dort – in einer festen Beziehung – gar nicht mehr so empfohlen. Nun, wir sind da anderer Meinung, und das ist eine kontroverse Diskussion.

Im Land Brandenburg gibt es nur zwei Spezialisten, Sie und Frau Doktor Ines Liebold. Sie beide arbeiten am Ernst von Bergmann Klinikum in Potsdam. Ist die medizinische Versorgung trotzdem gewährleistet?

Wir haben ja in der Infektionsabteilung unserer Klinik auch Ärzte, die auf dem Gebiet der HIV-Infektion und er Aids-Therapie erfahren sind. Die arbeiten aber stationär. Frau Doktor Liebold und ich sind die Einzigen, die auch ambulant arbeiten. Wir betreuen dort 126 Patienten. Die kommen aus allen Teilen des Landes: aus Cottbus, aus Angermünde, aus Perleberg, die müssen also weit fahren. Einige Patienten werden aber auch in den Berliner Schwerpunktpraxen versorgt. Wenn sich künftig schwerpunktmäßig noch mehr Patienten in Cottbus oder Frankfurt (Oder) zeigen, wird sich die Notwendigkeit ergeben, dass sich auch dort ein Schwerpunktarzt niederlässt.

Anlässlich des Welt-Aids-Tages 2011 hat man sich in Brandenburg das Ziel gesetzt, die einzelnen Akteure im Land besser zu vernetzen. Welche Aufgaben sehen Sie darüber hinaus?

Entscheidend für mich ist es, Neuinfektionen zu verhindern. Die zweite große Aufgabe ist eine frühere Diagnose von HIV. Bundesweit werden etwa 60 Prozent der Patienten zu spät getestet, im Land Brandenburg sind es sogar rund 80 Prozent. Wir müssen die Ärzte für das Thema sensibilisieren, weshalb wir regelmäßig Fortbildungsveranstaltungen in Krankenhäusern durchführen, zu denen niedergelassene Ärzte eingeladen werden. Wir wollen sie dazu motivieren, dass sie schneller mal einen HIV-Test machen, wenn ein Patient mit einer Aids–definierenden Erkrankung oder mit Aids-Indikator-Symptomen in die Praxis kommt. Ein ganz wichtiger Punkt ist zudem die freiwillige Beratung und Testung. Da gab es in den letzten Jahren große Fortschritte.

Was muss sich sonst noch ändern? Stimmen die politischen Rahmenbedingungen im Land?

Ich bin erst einmal damit zufrieden, dass wir in Brandenburg noch Gesundheitsämter haben, die kostenlose HIV-Tests anbieten.

Das ist längst kein Standard in Deutschland?

Nein. Das ist also etwas, auf das wir sehr stolz sein können und das hoffentlich auch noch lange erhalten bleibt. Allerdings haben 34 unserer 126 Patienten einen Migrationshintergrund, und gerade diese Gruppe wird zu spät diagnostiziert. Hier wünschen wir uns, dass die Zentrale Aufnahmestelle in Eisenhüttenstadt gleich am Anfang über HIV aufklärt. Wir haben ja auch kulturelle Schranken zu überwinden. Frau Doktor Liebold und ich wollen im Dezember nach Eisenhüttenstadt, um dort eine Fortbildung zu machen und das Personal zu schulen in der Hoffnung, dass sich das einmal verbessern wird.

Die Entwicklung der antiretroviralen Medikamente 1996 ist, wie Sie bereits gesagt haben, ein Meilenstein. Wie wirken diese?

Die durch HIV angegriffenen Zellen haben einen sogenannten CD4-Rezeptor auf der Oberfläche. HIV dockt an alle Zellen an, die diesen Rezeptor an der Oberfläche haben. Das sind Zellen in der Darm- und der Vaginalschleimhaut, vor allen Dingen aber die wichtigen CD4-Lymphozyten, die sogenannten T-Helferzellen. Und in diesen Zellen vermehrt sich auch das HIV, indem es in die Zelle eindringt und das eigene genetische Material, die RNA, mithilfe eines Enzyms in das Erbgut der Wirtszellen, die DNA, einbaut. Danach kann die Zelle entweder ruhen oder sofort aktiv werden, also als Virusfabrik missbraucht werden. Dabei stellt die Zelle virale Proteine im Überschuss her. Diese werden mithilfe eines weiteren Enzyms zusammengebaut, wobei neue Viren entstehen. Die Medikamente blockieren die Enzyme dieser Viren.

Sie blockieren also die Reproduktion?

Genau. Wir blockieren mit der antiretroviralen Therapie die Vermehrung der Viren in der Zelle. Es gibt sogar schon Medikamente, die können den Eintritt des Virus in die Zelle verhindern.

Kann der Ausbruch Aids-relevanter Erkrankungen sogar verhindert werden?

Bei einer Frühdiagnostik von HIV können wir, wenn wir die Patienten vierteljährlich sehen, nachweisen, wie schnell die Konzentration der CD4-Zellen abnimmt und wann die Gefahr besteht, dass sich das Virus unkontrolliert vermehrt und Aids-definierende Erkrankungen ausbrechen. Diesen Zeitpunkt gilt es, nicht zu verpassen. Deshalb haben Patienten, die wir früh diagnostizieren, eine gute Prognose. Bei diesen wird hoffentlich nie eine AIDS-definierende Erkrankung ausbrechen.

Was weiß man über die Nebenwirkungen?

Diese sind gut erforscht. Alle Patienten werden beobachtet. Aber es ist so, dass wir da eine gewisse Langzeittoxizität haben. Die Medikamente haben natürlich auch toxische Nebenwirkungen.

Zum Beispiel?

Es gibt zum Beispiel ein erhöhtes Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen, also Herz-Kreislauf-Erkrankungen. Manche Medikamente haben auch Einfluss auf die Knochendichte, auf lange Zeit auch Leber- und Nierenschäden.

Immer wieder hört man von hoffnungsvollen Ansätzen aus der Forschung, doch nach wie vor gilt HIV als unheilbar. Sehen Sie Anzeichen für einen Durchbruch?

Es gibt vielversprechende Forschungen auf diesem Gebiet. Man versucht etwa, das schon in den Zellkern eingebaute genetische Material des Virus wieder zu entfernen, was in Tierversuchen bisher gelungen ist. Wir sind aber noch weit davon entfernt, dass man solche Medikamente auch beim Menschen anwenden kann. In naher Zukunft sehe ich dafür keine Chance. Und bis dahin gilt: HIV ist gut behandelbar, aber nicht heilbar. Die Patienten müssen nach dem jetzigen Stand ihr Leben lang Medikamente nehmen.

Das Gespräch führte Matthias Matern

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