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Homepage: „Hoffnungsträger für Brandenburg“

Regionalforscher Gerhard Mahnken über Raumpioniere, schräge Vögel und Neues von den Dörfern

Stand:

Herr Mahnken, was bitte sind Raumpioniere?

In den ländlichen Regionen Brandenburgs sind das die großen Hoffungsträger, oftmals Künstler und Kulturschaffende, die in entlegene Teile des Landes gezogen sind – die Uckermark, die Prignitz. Sie bringen ihre Fähigkeiten mit, bringen sich ein, bringen Neues mit, verändern mitunter die Orte. Von den Raumpionieren wird viel erwartet, vielleicht manchmal auch zu viel. Mittlerweile gibt es Untersuchungen, die besagen, dass die Akzeptanz vor Ort oft schwierig ist. Menschen mit neuen Ideen werden nicht immer mit offenen Armen empfangen. Man darf das Thema Raumpioniere auch nicht schön reden, man muss auch über die Hemmnisse sprechen, mit denen sie zu tun haben.

Sie befassen sich mit dem Ansatz der „kulturellen Bildung“ für den Raum Brandenburg. Was ist darunter zu verstehen?

Es geht um die Idee, der Selbstbefähigung. Die Menschen sollen zur Teilhabe befähigt werden. Nicht nur zur Teilhabe an Kunst und Kultur, es geht um Befähigungsstrategien für den eigenen Alltag.

Worin liegt das Potenzial?

Vor allem darin, dass es sich nicht auf temporär begrenzte Lernsituationen wie die Schulzeit beschränkt, sondern dass es um lebenslanges Lernen geht, um reflexives Lernen. Das Lernen soll die Menschen begleiten, man spricht hier auch von Bildungsbiografien. Das ist für Brandenburg sehr interessant, weil es im Land die Entwicklungsidee der lernenden Regionen gibt, deshalb sind lernende Biografien wichtig. Das Individuum lernt nicht nur für einen bestimmten Zeitraum. Lernen begleitet das Leben.

Ist das auch ein Konzept für die Dörfer?

Gerade für die Dörfer! Die sind nach unseren Erfahrungen oft sehr stark daran interessiert, kulturelle Impulse von außen zu bekommen. Die Frage ist nun für die Zukunft, wie wir die Schnittstellen hinbekommen, zwischen den Dörfern, den Menschen, die dort leben und den Raumpionieren, die dort Neues einbringen. Dafür brauchen wir angemessene Kommunikationsformen. Man kann nicht erwarten, dass man die Raumpioniere einfach irgendwo implementiert, und dann passiert von selbst etwas. Wir müssen ganz genau hinschauen, wo die Schnittstellen sind, wie man die dort aufgewachsenen Menschen mit den Zugezogenen in Gespräche, in Situationen bringt, die Vertrauen schaffen. Vertrauen ist in diesem Prozess eine ganz wichtige Ressource. Bei der kulturellen Bildung geht es um einen neuen Bildungstypus, der sehr viel auch mit Vertrauen, mit Kommunikation und Konfliktfähigkeit zu tun hat. Von der Idee, Bildung nur von oben abzugeben, damit sie in einer Region Früchte trägt, müssen wir uns verabschieden.

Und stattdessen?

Wir müssen viel stärker darauf schauen, welches Wissen vor Ort ist. Menschen, die auf einem Dorf leben, haben viel zu erzählen. Sie wollen, dass ihr Wissen eingebracht wird. Es geht um diese Schnittstelle, zwischen Dorf und regionaler Entwicklungspolitik. Kulturelle Bildung ist da ein ganz wichtiges Instrument. Das hat das Land Brandenburg erkannt. Jetzt muss auf der lokalen Ebene, zwischen Künstlern, und Schulen beispielsweise die Kommunikation verbessert werden. Lokale Bildungsträger, Künstler und bestenfalls auch Unternehmen können hier eine fruchtbare Mischung schaffen. Dafür gibt es nun die Plattform „Kulturelle Bildung“ im Internet.

Wird das angenommen?

Nach unserer Beobachtung gibt es eine große Zustimmung, kulturelle Bildung in Brandenburg über einen längerfristigen Zeitraum zu implementieren.

Es soll dabei auch um die Entwicklung der Wissensgesellschaft gehen. Ist das nicht eine Domäne der Großstadt?

Auf gar keinen Fall. Wir haben ja seit Jahren schon die Diskussion, wie man für die ländlichen Räume neue Impulse geben kann. Dabei ist das vorhandene Wissen vor Ort ein sehr wichtiger Faktor.

Auch vor dem Hintergrund der demografischer Entwicklung?

Auch das. Die Infrastruktur für kulturelle Bildung wird in der Kulturpolitik schon länger diskutiert. Es geht um Bibliotheken, Volkshochschulen aber auch freie Bildungsträger, die gerade in der sogenannten Peripherie um ihre Existenz kämpfen. Dafür ist das Konzept der kulturellen Bildung sehr nützlich. Zum Beispiel kann sich eine Bibliothek mit einer Geschichtswerkstatt oder mit Musikern verbinden. So kann man gemeinsam Publikum gewinnen, und das Wissen darüber, was andere Träger beschäftigt, erweitern. Hier entstehen Synergien. Durch Vernetzung lässt sich das erweitern. Dass interessiert uns auch als Regionalforscher sehr: wie Akteure kultureller Bildung sich vernetzen, wie sie vor Ort akzeptiert werden, welche Beispiele es gibt.

Also eine relativ junge Bewegung?

So ist es. Der durch die demografische Entwicklung hervorgerufenen Ausdünnung kultureller Infrastruktur wird mit Erfindergeist und neuen Methoden begegnet. So kann man die Menschen ganz anders motivieren, als es vor zehn Jahren noch der Fall war. Man ist hier gerade sehr, sehr kreativ in Brandenburg.

Sie haben es mit „Dorfreportern“ und „schrägen Vögeln“ zu tun.

Die „schrägen Vögel“ erkunden mit Kindern im Grundschulalter alltags- und naturnah Poesie im Spannungsfeld klanglicher, bildlicher und sprachlicher Wahrnehmung. Über Farben, Geräusche und Anfassen soll so der Zugang zur Poesie gefunden werden. Das sind sehr innovative Methoden der Wissensvermittlung. Bei dem Projekt „Dorfreporter“ geht es darum, lokalen Geschichtsunterricht nicht mehr von oben zu betreiben. Schüler werden angeregt, Geschichte als Journalisten wahrzunehmen. Dadurch entsteht eine ganz andere Motivation bei den Schülern. Das fand im Vorjahr in dem Ort Stolpe an der berlin-brandenburgischen Landesgrenze statt, in dem es ein gewisses Spannungsfeld zwischen Alteingesessenen und neu Zugezogenen gibt.

Das Konzept „kulturelle Bildung“ steht und fällt aber auch mit der Finanzierung.

Die Plattform „Kulturelle Bildung“ denkt über die Förderpolitik nach. Das wird in der Landespolitik diskutiert. Das Vorhaben ist an verschiedenen Ministerien angedockt. Kulturelle Bildung ist sehr gut für Ressort übergreifende regionale Entwicklungsstrategien geeignet.

Welche Rolle spielt die Kommunikation?

Eine sehr hervorgehobene, gerade in einem Flächenland wie Brandenburg mit seinen großen Entfernungen. Hier sind neue Formen der Verständigung wichtig. Virtuelle Kommunikation wird wichtiger, Blogs, neue Medien und ähnliches. Wir brauchen eine gute Mischung aus Face-to-face-Kommunikation und virtueller Kommunikation. Das verfolgt die Plattform Kulturelle Bildung, die immer mehr Wissen ansammelt und von engagierten Leuten betrieben wird. Hier soll Wissen verbreitet, aber auch die direkte Kommunikation angeregt werden. Interessant ist, welche neuen Methoden und Aushandlungsformen sich gerade in Brandenburg dabei entwickeln.

Inwiefern?

Das Land könnte eine Art Vorreiterrolle bekommen. Der Synergiegedanke ist typisch für Brandenburg: Die Frage, was jenseits bisheriger Konzepte möglich ist und wie man sich dabei gegenseitig helfen kann.

Das Gespräch führte Jan Kixmüller

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Gerhard Mahnken ist stellvertretender Leiter der Forschungsabteilung Kommunikations- und Wissensdynamiken im Raum am Institut für Regionalentwicklung und Strukturplanung Erkner (IRS).

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